Das Drama der abhängigen Frau
1998 wurde weltweit bekannt, dass Bill Clinton eine Affäre mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky hatte. Er hatte das bis zuletzt geleugnet. Auch seiner Frau Hillary gegenüber. Der Skandal eskalierte und hätte ihn beinahe zu Fall gebracht. Beinahe. Dabei wäre er leicht vermeidbar gewesen. Statt zu sagen, er habe mit der Praktikantin nichts am Hut, sie habe es ihm nur mal unter dem Schreibtisch besorgt, hätte er einfach zugeben sollen, dass das mit Lewinsky mehr war: nämlich eine romantische Affäre, zumindest aus ihrer Sicht. Damit wäre die 24-Jährige beruhigt gewesen und hätte vermutlich nie in der Öffentlichkeit geredet. So aber war sie tief verletzt und in ihrer Ehre gekränkt.
So wie jetzt auch Cora Schumacher. Die Ex-Frau des Rennfahrers Ralf Schumacher, der jüngst sein homosexuelles Coming Out hatte, redete jetzt im Spiegel ausführlich darüber, wie sehr sie das Verhalten ihres Ex-Mannes gekränkt habe. Er habe ihr nie ein Wort über seine Homosexualität und sein Verhältnis mit Etienne gesagt. Sie habe das alles erst aus den Medien erfahren.
Es hätte ja durchaus sein können, dass Schumacher bisexuell ist, und er einst Cora liebte, und jetzt eben Etienne. Aber so sieht es nicht aus. Und so stellt er selbst es heute auch nicht dar.
Schon zu Beginn der Ehe des jüngeren Bruders von Michael Schumacher gab es dieses Gerücht. Er sei in Wahrheit homosexuell und Cora sei nur sein „Covergirl“ (Spiegel). Er bestritt das immer vehement. Sie auch.
Dass Ralf Schumacher vor einem Vierteljahrhundert leugnete, homosexuell zu sein, ist verständlich. Nur einer hatte das Recht, das damals zu sagen: Er selbst. Denn in der Zeit war das noch so gar nicht angesagt, homosexuell zu sein und hätte es seine Karriere kosten können. Heute aber – und das in einer geradezu unheimlich kurzen Zeit – ist Homosexualität akzeptiert, zumindest im Westen, unter gewissen Umständen sogar chic.
„Vielleicht bist du zu fett.
Oder du genügst einfach nicht.“
Schumacher ist also jetzt frei. Er muss sich nicht länger verstecken und verbiegen, sondern kann zu seiner Neigung und seinem Lebensgefährten stehen. Aber hätte er dennoch nicht vorher mit der Mutter seines Sohnes darüber reden, ja sie vielleicht sogar einbeziehen können? Damit sie ihr Gesicht wahren kann und nicht rückwirkend als die Gedemütigte, nur Benutzte dasteht.
Dieses öffentliche Beziehungsdrama der Schumachers verrät nicht nur einiges über den Umgang speziell eines Mannes heute mit seiner Homosexualität (bei einer Frau sähe das schon anders aus), es verrät auch viel über die innere Verfassung von Frauen wie Cora Schumacher. Es sagt alles über ihre relative Existenz auch im 21. Jahrhundert.
Schon als der damals 25-Jährige die 24-Jährige heiratete, gab es das „böse Gerücht“ (Spiegel) über seine Homosexualität. Sie hat weggehört. Der Traum vom Einstieg in die Welt des Instant-Glamours war zu schön. Cora wurde in den Boulevardblättern „die Königin der Boxengasse“, Schumachers die „Beckhams der Formel 1“.
Wie sie das geschafft hat? Sie habe in einer Disco seine Aufmerksamkeit in „einem sehr sexy Kleid mit tiefem Rückendekolleté und hohem Seitenschlitz“ auf sich gezogen. Das habe ihr „die notwendige Selbstbestätigung gegeben, die ich gerade zu diesem Zeitpunkt so sehr gebraucht habe“. Und, ehrlich gesagt: „Ich wollte dieses Leben so sehr!“ Denn: „Ich habe stattgefunden.“
Rückblickend sinniert sie nun, es sei „nicht gut gewesen, dass man mich über mein Äußeres definiert und darauf reduziert“ hat. Nach der Geburt des Sohnes habe sie sich gefühlt „wie ein altes Paar Turnschuhe“ in der Ecke. Sie glaubte: „Das liegt an dir. Vielleicht bist du zu fett. Oder zu hässlich. Oder einfach nicht gut genug.“
Cora wurde immer dünner, wog schließlich nur noch 45 Kilo. Und sie machte mehrere Schönheitsoperationen. Mit Mitte zwanzig. Sie wollte wieder „gut genug“ sein. Doch woher sollte die Bestätigung kommen, gut genug zu sein, wenn nicht von ihm? „Sein Wort war mein Gesetz.“ Und sie? Sie war nur die Frau an der Seite eines in seinem Milieu bekannten Mannes.
Natürlich habe sie dennoch schon damals ihren Mann auf die Homo-Gerüchte angesprochen. Aber sie habe ihn so verstanden, dass sie sich „das alles nur einbilden würde, psychologische Hilfe brauche“, schreibt der Spiegel. Gaslighting nennt man das in der Psychologie, nach einem berühmten Film: Wenn ein Mann einer Frau einredet, ihre reale Wahrnehmung sei falsch – ja, dann glaubt sie es irgendwann auch selber. Sie ist eben verrückt.
Nach der Trennung rutscht Cora ab. Sie lässt sich für den Playboy nackt fotografieren, zieht bei „Promi Big Brother“ ein und ins „Dschungelcamp“. Zuguterletzt taucht sie auch noch auf der Pornoplattform „OnlyFans“ auf. Ihr Sohn hat sich längst für den Vater entschieden.
„All das hat was mit meiner Psyche, meinem Selbstwertgefühl gemacht“, sagt sie. Das mit dem Selbstwertgefühl war bei ihr ja noch nie famos. Wenn sie heute über die gemeinsame Zeit mit Ralf redet, lässt dieser ihr durch seinen Anwalt Grenzen setzen und auf den Schutz seiner „Privatsphäre“ verweisen.
Kann man überhaupt lieben,
Wenn man abhängig ist?
Nach seinem öffentlichen Coming Out habe sie „drei Wochen an die Wand gestarrt“, sagt sie. Und: „Also wenn ich heute lesen muss, dass ich eine vermeintliche Scheinehe eingegangen bin oder ein Arrangement hatte – nein, hatte ich nicht! Und ich verstehe nicht, warum er auch nicht im Geringsten etwas unternommen hat, um mein Bild in der Öffentlichkeit klarzustellen. Bei all diesem Hohn, diesem Spott, diesen bösartigen Gerüchten über mich…“ Unter anderem dem, die junge Frau sei damals eine gekaufte Prostituierte gewesen. „Hat er mich eigentlich jemals geliebt?“, fragt sie sich heute. Und sie? Hat sie ihn geliebt? Oder nur den Glamour? Kann man überhaupt lieben, wenn man abhängig ist?
Ja, warum versucht Ralf Schumacher nicht in seinem Coming-Out-Glück vor untergehender Sonne, seine Ex-Frau zu schützen? Nervt sie ihn? Hat er das einfach nicht bedacht? Ist sie ihm gleichgültig?
Das Einzige, was Cora Brinkmann, verheiratete und geschiedene Schumacher, wirklich hätte schützen können, wäre eine eigenständige Existenz gewesen, die Unabhängigkeit von ihm. Aber die liegt für eine Frau wie sie gerade im 21. Jahrhundert offensichtlich wieder in weiter Ferne. Und wird immer ferner, wenn It-Girls wie Shirin David bejubelt von „reichen Männern“ schwärmen. Wie arm.
Und traurig. Sehr traurig.
ALICE SCHWARZER