Alice Schwarzer schreibt

Duell: Wovon war eigentlich die Rede?

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Der Morgen danach. Ich versuche, mich zu erinnern: Was ist eigentlich gesagt worden im Duell?

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Auf die in einer Demokratie überraschende Frage, ob die Kandidaten denn heute Morgen in der Kirche gewesen seien, antwortete der eine: „Ich war am Grab meines Freundes Frank Schirrmacher.“ (Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl an die bürgerliche Mitte.) Und die andere sagte zögernd: „Ich war gestern in der kleinen Kapelle meines Vaters.“ (Erinnerung an die Pfarrerstochter.)

Frage an die KandidatInnen: Waren Sie heute in der Kirche?

Und dann gab es eine erregende Passage über Telefonate. Der eine hatte gerade noch mit Schröder telefoniert, um ihm einen guten Rat zu erteilen (Moderatoren-Stimme aus dem Off: „Der tut aber nicht, was Sie ihm raten.“). Die andere hatte noch am Nachmittag mit Emmanuel Macron telefoniert und wird morgen, also heute, mit Putin und dem chinesischen Staatspräsidenten sprechen (Beeindrucktes Schweigen auf Moderatorenseite).

Die eine will für Nordkorea „auf jeden Fall eine diplomatische Lösung“ (Was wir alle richtig finden, außer Trump). Der andere will sofort die Verhandlungen mit Erdogan zum Beitritt der Türkei zur EU abbrechen und alle Gelder streichen (Ja!). Die andere war noch nie für den Beitritt der Türkei zur EU und will ebenfalls Wirtschaftshilfen streichen, aber weiter im Gespräch bleiben (vermutlich geschickt).

Islamistischer Terror? Dazu fällt der einen ein, die „hohen Geistlichen" sollten sich endlich distanzieren. Der andere zitiert einen hohen Schiiten aus dem Iran mit einer Lebensweisheit.

Flüchtlinge? Sie sagte nochmal, sie hätte alles „richtig gemacht“ (und verpasste so eine allerletzte Gelegenheit zu einer kleinen, einschränkenden Selbstkritik). Er tat so, als hätte er alles anders gemacht (Dabei war seine Partei ja als Koalitionspartner Teil der bisherigen Politik).

Alles in allem haben die JournalistInnen mit den KandidatInnen 60 Minuten von 90 über die Problematik Flüchtlinge, Islam, Terror und Türkei geredet. Zwei Drittel der Zeit! Dafür, dass genau diese Themen, die in der Tat die Menschen bewegen, im Wahlkampf bisher keine sonderlich große Rolle gespielt haben, war das bemerkenswert.

Und worum ging es eigentlich in den verbleibenden 30 Minuten? Sie erwähnte ganz en passant, in ihrer Amtszeit habe sich die Zahl der Arbeitslosen von 5 Millionen auf 2,5 Millionen halbiert (Hätte ich an ihrer Stelle ein wenig ausgebaut, ist ja kein unwichtiger Punkt). Und er fand ganz „toll“, dass sie in der Sendung versicherte, ihre Partei wolle keinesfalls die „Rente mit 70“. Die Obergrenze soll 67 bleiben. Es ging auch nochmal um die Autobahn-Maut. Aber da habe ich nur behalten, dass jetzt die Ausländer zahlen sollen, weil wir ja auch im Ausland zahlen. Fand ich gerecht.

Flüchtlinge, Islam, Terror und Türkei. Und was war alles kein Thema?

Frauen? Bei ihr fiel einmal das Wort „Alleinerziehende“. Und er streifte die „Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ beim Thema Flüchtlinge. Ansonsten: kein Thema.

Ökologie und Umweltschutz? Kein Thema.

Kultur und Bildung? Kein Thema.

Zuguterletzt hatte er ein gutes, aber zu offensichtlich einstudiertes Schlussplädoyer, in dem es einen beeindruckenden Vergleich gab zwischen dem, was eine Krankenschwester in der Minute verdient, und was ein Topmanager (Wieviel habe ich vergessen, aber auf jeden Fall ein unangemessen Vielfaches). Und sie möchte in den nächsten vier Jahren ihre Erfahrung einbringen und ihre Neugier. 

Danach verkündeten die Meinungsforscher: 51 Prozent hätten gefunden, dass „Schulz besser abgeschnitten habe als erwartet“. Dennoch kürten alle Umfragen Merkel zur Siegerin des Duells. Ja, so war das.

Alice Schwarzer

Eine kritische Auswertung aller Parteiprogramme - auch Linke, Grüne und AfD - in der aktuellen September/Oktober-EMMA. » Ausgabe bestellen

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Von Kormoranen & Imam*innen

© imago
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Bei der CDU gibt es auf Seite 27 was zu Lachen. Da wird gefordert: „Wir wollen mehr als bisher Vorfahrt für Familien und Kinder in Behörden und Einrichtungen; bzw. an Flughäfen, Fahrkartenschaltern und Museen“. Will sagen: Die Familienlosen bzw. diejenigen, die gerade nicht im Familienverband auftreten, sollen Familien nun immer vorlassen in der Schlange. Warum? Weil „Familien und Kinder das Fundament unserer Gesellschaft sind“. Wie billig – in jeder Beziehung. Grundsätzlich spielt die Familienpolitik im CDU-Programm eine viel größere Rolle als die Frauenpolitik – letztere kommt als Begriff schon gar nicht mehr vor. Es fällt auf, dass die Konservativen gerade eine Rolle rückwärts machen: Diskriminierung von Frauen im Beruf, Abschaffung des Ehegattensplittings oder Betreuung in Ganztagsschulen: kein Thema. Der Kampf gegen Sexualgewalt und Frauenhass schon gar nicht.

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Statt Ehegatten-Splitting ein Familientarif - aber nicht für bestehende Ehen

Die SPD ist in Sachen Frauenpolitik der Klassenprimus, Frauen kommen auf 25 von 116 Seiten des Programms vor, und zahlreiche feministische Forderungen sind eingeflossen. Das Problem ist nur: Die SPD verspricht immer viel, hält aber dann wenig oder nichts. Beispiel Ehegattensplitting. Diese Finanzierung der Hausfrauenehe, die Vater Staat alljährlich 20 Milliarden kostet, wollte die SPD laut Programm schon 1999 in der rot-grünen Regierung streichen. Es passierte: nichts. 2002, 2009, 2013 kündigte die SPD jedes Mal in ihrem Wahlprogramm erneut eine Reform des Splittings an. Es passierte: nichts. Nun also wieder: Aus dem Ehegattensplitting soll ein „Familientarif“ werden. Aber, keine Sorge, die Herren Abgeordneten im Hohen Hause: Für bestehende Ehen soll das auch bei der SPD nicht gelten, nur für zukünftige.

Das Schönste aber sind die Kormorane bei der FDP auf Seite 26. Da erklären die Liberalen programmatisch: „Wir brauchen ein Populationsmanagement für den Kormoran, das den Artenschutz im Blick hat und den Interessen der Menschen dient.“ 19 Seiten später, auf Seite 45, geht es dann auch mal kurz um Frauen („Mehr Frauen in Führungs-Verantwortung“). Christian Lindner, der Kandidat mit den coolsten Wahlplakaten hat also die Chance verpasst, einen auf Trudeau oder Macron zu machen.

Die Grünen sind in Sachen Frauenpolitik fast noch eifriger als die SPD. „Grüne Frauenpolitik unterstützt Frauen darin, wirtschaftlich unabhängig zu sein. Denn wer eigenes Geld verdient, kann sein Leben selbst gestalten“, heißt es im Programm. Die Partei denkt das Thema Frauen bei jedem Thema mit. Sogar bei den „Imam*innen. Ja mit *, damit sich nicht nur biologische Frauen und Männer berufen fühlen. Diese „Imam*innen“ sollten in Zukunft „an deutschen Hochschulen unter Wahrung der Freiheit der Wissenschaft ausgebildet werden“.

Auch Die Linke bemüht sich. Frauen auf 22 von 136 Seiten. Und ein Extrakapitel „Für einen linken Feminismus – sozial gerecht, sexuell selbstbestimmt und aktiv gegen Gewalt“. Sogar der Begriff „Cisnormativität“ hat es ins Programm geschafft: „Wir unterstützen alle Schritte, die dabei helfen, mit der staatlichen und gesellschaftlichen Heteronormativität, Cisnormativität und Zweigeschlechtlichkeit als Norm zu brechen.“ Na, geht doch.

Über das fatale Frauenbild der fundamentalistischen Muslime - kein Wort

Doch bei allen fünf Parteien ist ein Problem, das nicht nur die Frauen in Deutschland stark beschäftigt, überhaupt kein Thema: die Prostitution. Und dann der Islamismus. Dabei geht es nur um Terrorismus, Moscheen und Verbände (da gerne die Anerkennung als „religiöse Gemeinschaft“). Über das fatale Frauenbild der orthodoxen bis fundamentalistischen Muslime, die Geschlechtertrennung und die Unterdrückung von Mädchen und Frauen – kein Wort. Und nichts darüber, wie die Politik da gegenhalten und die Betroffenen schützen könnte.

Nur die AfD kümmert sich intensiv um das Thema. Und genau darum hat sie ja so einen Erfolg. Doch der Rest des AfD-Programms ist auch frauenpolitisch gesehen eine Katastrophe: gegen Anti­diskriminierungsgesetz und Quoten, für Einverdienerfamilien und „Schutz des Lebens“ bei Schwangerschaftsberatung etc. Das „Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend“ soll in ein „Bundesministerium für Familie und Bevölkerungsentwicklung“ umbenannt werden. Die Rechte der Väter sollen gestärkt, die Alleinerziehenden nur dann gefördert werden, wenn sie nicht „selbstverschuldet“ allein sind. Das Schuldprinzip bei Scheidung soll wieder eingeführt werden. Und die „Tötung Ungeborener“ soll, klar, kein Menschenrecht sein. Die AfD scheint, trotz Petry, fest in der Hand der „Männerrechtler“ bzw. „Väterrechtler“.

Was die Parteien wirklich TUN, wenn sie drankommen, hängt von dem Druck der Wählerinnen und dem Engagement einzelner ­Abgeordneter ab. Also, liebe Leserinnen: Setzt die Parteien eurer Wahl und eure Abgeordnete unter Druck, stellt Fragen und ­Forderungen. Verschenkt eure Stimme nicht!

Weiterlesen in der EMMA September/Oktober 2017: Die kritische Auswertung aller Parteiprogramme auf 8 Seiten im Heft, auch Linke, Grüne und AfD. » Ausgabe bestellen

 

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