„Das passt nicht in die heile Welt!“
Frau Prof. Schröter, der Fall Susanna war der dritte Mord eines Asylbewerbers an einer Frau und eine Gewalttat in einer ganzen Reihe sexueller Gewalttaten. Würden Sie sagen, dass das Problem, dass es mit dem patriarchalen Frauenbild vieler geflüchteter Männer gibt, jetzt nicht mehr geleugnet werden kann?
Das kann man nur hoffen. Das Erschreckende ist ja tatsächlich, dass der Mord an Susanna ein Fall in einer Kette von Fällen ist. Wir haben seit der Grenzöffnung 2015 eine Zunahme an Gewalt gegen Frauen, die empirisch einfach nicht mehr zu leugnen ist. Ich spreche von sexueller Belästigung im öffentlichen Raum. Da hat sich etwas verändert. Für Frauen und Mädchen wird es jetzt womöglich nicht mehr nur auf dem Heimweg von der Party gefährlich – was skandalös genug ist -, sondern womöglich auch beim Besuch im Schwimmbad oder im Einkaufszentrum. Also an ganz normalen Orten, an denen niemand bis jetzt Angst haben musste. Der bisherige Höhepunkt, abgesehen von den Morden, war natürlich die Kölner Silvesternacht.
Ja, die Silvesternacht gilt heute international als turning point zum Flüchtlingsproblem. EMMA hatte damals ja ab dem dritten Tag online ausführlich berichtet und Alice Schwarzer hatte im Mai 2016 die Antologie „Der Schock“ herausgegeben - die Hälfte der acht AutorInnen waren muslimischer Herkunft. Trotzdem wurden wir als Rassistinnen diffamiert.
Auch mir wurde damals vorgeworfen, dass man diesen Vorfall nicht kulturalisieren dürfe. Das sei „Orientalismus“ oder „antimuslimischer Rassismus“. Dieser Vorwurf kam gern von den sogenannten intersektionalen Feministinnen. Die relativieren ja bis heute, was da passiert ist.
Wir haben es jetzt in allen drei Mordfällen mit einem eklatanten Behördenversagen zu tun. Der Widerspruch, den Ali B. gegen die Ablehnung seines Asylantrags eingelegt hatte, lag seit anderthalb Jahren unbearbeitet auf einem Aktenstapel. In der Zwischenzeit konnte er offenbar mehrfach Straftaten begehen, zum Beispiel eine Polizistin angreifen oder einen Mann ausrauben. Haben die Behörden womöglich auch deshalb keine Maßnahmen ergriffen, weil sie befürchteten, als rassistisch zu gelten?
Ja, davon gehe ich aus. Auf der einen Seite sind die Behörden natürlich allein aufgrund der Anzahl der Anträge überfordert. Auf der anderen Seite gibt es viele kleine Missstände, die nicht an die Öffentlichkeit kommen, die man unter den Teppich kehrt, weil man große Angst hat, als rassistisch abgestempelt zu werden. Diese Angst gibt es bei der Polizei, in der Sozialarbeit, in der Jugendarbeit. Die gibt es überall und sie verhindert sinnvolle Maßnahmen. Im Falle Ali B. Fall hätte es ja Möglichkeiten gegeben, ihn stärker unter Kontrolle zu bekommen. Man hat gesehen: Der Mann ist gewalttätig, aggressiv, selbst in seiner Aufnahmeeinrichtung nicht wohl gelitten, und er hat wegen des abgelehnten Asylantrags hier auch keine Perspektive und insofern auch keine Motivation, sich anständig zu benehmen. Aber einen jungen Geflüchteten festzusetzen, weil man das alles sieht, ist in dieser Situation eben schwierig. Es ist schon auffällig, dass alle involvierten Institutionen versagt haben: die Polizei, die Gerichte, das Sozialamt. Niemand hat eingegriffen. Alle haben geschlafen oder wollten nicht hingucken. So ein Fall passt ja auch nicht in die Vorstellung einer schönen heilen Welt, in der alle Schutzsuchenden unsere Werte so klasse finden.
Sie haben gefordert: Spätestens jetzt muss die deutsche Gesellschaft sich Konzepte im Umgang mit patriarchalisch geprägten und aggressiven Männern überlegen. Was heißt das konkret?
Das erste ist: Die Leute müssen über unsere Regeln des Zusammenlebens informiert werden. Bei uns in Hessen wird da vieles getan. Es gibt Integrationskurse und sogar Rechtsstaatsklassen, die ehrenamtlich von Richtern angeboten werden. Wir wissen aber auch, dass viele nicht in diese Kurse gehen.
Sind diese Kurse nicht verpflichtend?
Doch. Aber wenn jemand nicht hingeht, wird das nicht aufgedeckt, weil man über die Anbieter überhaupt keine Kontrolle hat. Es gibt ja mittlerweile eine lebhafte Integrations-Industrie, in der vor allem NGOs Geld mit Kursangeboten verdienen. Und wenn sie Klassen haben, in denen sich 20 Leute angemeldet haben, und nach dem zweiten Mal sind nur noch zwei Teilnehmer da, dann lässt man den Kurs häufig trotzdem als erfolgreich weiterlaufen. Da müsste dafür gesorgt werden, dass wirklich alle hingehen und dass die Anbieter dafür auch verantwortlich sind. Sollte dann jemand immer noch nicht teilnehmen, muss man mit Sanktionen arbeiten. Und wenn jemand gewalttätig wird wie Ali B., dann muss der ganz schnell in sein Herkunftsland zurückgeführt werden. Wir können doch nicht warten, bis Katastrophen passieren.
Sie haben kürzlich beklagt, dass die Debatte über Sexualgewalt immer dann „verdruckst“ wird, wenn diese Gewalt von Zuwanderern aus muslimischen Ländern ausgeübt wird.
Bei jeder anderen Bevölkerungsgruppe würde man sich den spezifischen Hintergrund der Täter anschauen und daraus entsprechende Schlüsse ziehen. Bei Muslimen gilt das in bestimmten Kreisen als anrüchig. Da gibt es Linke und zum Teil auch Kirchenleute, die das Thema schlicht und ergreifend ausblenden und jeden, der sich kritisch äußert, des Rassismus bezichtigen. Aber das ist ja Unsinn. Rassismus ist, wenn ein Mensch wegen seiner Hautfarbe, Augenfarbe oder Haarfarbe abgelehnt wird. Oder weil er aus einem bestimmten Land kommt. Dem derzeitig in Stellung gebrachten Rassismus-Vorwurf liegt eine Rassismus-Definition zugrunde, der zufolge man niemals eine Gruppe kritisieren darf, die sich nach bestimmten, äußerst problematischen Normen oder kulturellen oder religiösen Mustern verhält. Aber wenn man Rassismus so definiert, dann können wir soziale Phänomene gar nicht mehr benennen. Dann können wir nur noch sagen: Gewalt ist ein individuelles Problem. Wir können nicht mehr sagen: Es gibt gewaltlegitimierende Normen, es gibt Muster, es gibt Traditionen oder Auslegungen religiöser Texte, die Gewalt gegen Frauen und Mädchen begünstigen. Von daher macht diese Art der Rassismus-Definition überhaupt keinen Sinn. Sie ist dann letztlich nichts anderes als ein Zensur-Instrument.
Diese Zensur führt ja letztlich ins genaue Gegenteil: Die Rechtspopulisten nutzen die Lücke für ihre Propaganda aus.
Die Debatte ist stark polarisiert. Auf der einen Seite sind diejenigen, die das Problem leugnen. Auf der anderen Seite haben wir Rechtspopulisten, die ihr soziales Kapital gerade aus dem Umstand gewinnen, dass das Thema tabuisiert wird. Wenn sich niemand traut über Missstände zu sprechen, die mit kulturellen Normen oder einem bestimmten Islamverständnis in Verbindung stehen, können sie sich als Stimme der besorgten Bürger und Bürgerinnen präsentieren und ihre eigene Interpretation der Dinge problemlos durchsetzen. Deshalb ist es wichtig zu differenzieren zwischen denjenigen, die sich hier Mühe geben und sich gut integrieren und denjenigen, die dazu keine Lust haben. Das ist auch deshalb nötig, damit keine Pauschalurteile über Flüchtlinge gefällt werden. Es gibt ja bereits ein Teil der Bevölkerung, der sagt: Wir wollen überhaupt keine jungen Männer aus arabischen oder muslimischen Ländern. Doch da sollte man sich doch die Mühe machen genau hinzuschauen. Es gibt durchaus etliche, die sich Mühe geben, die erfolgreich die Sprache lernen, vielleicht einen Schulabschluss nachholen und selbst gegen patriarchale Normen sind. Anstatt unterschiedslos auf alle draufzuschlagen, sollte man Integrationsleistungen honorieren, auch bei Bleiberechts-Perspektiven. Das passiert leider nicht. Denn zum Teil werden Leute abgeschoben, die hier sehr gut angekommen sind. Und andere mit einer kriminellen Karriere bleiben hier, weil sie, oft mit anwaltlicher Hilfe, Schlupflöcher ausnutzen können.
Das Gespräch führte Chantal Louis.
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Alice Schwarzer (Hrsg.): Der Schock - die Silvesternacht von Köln (KiWi, 7,99 €). Im EMMA-Shop bestellen