Alice Schwarzer schreibt

Das Private ist politisch

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Seit über 50 Jahren steht die Gewalt, die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder im Zentrum meines Engagements. Wie bei vielen echten Feministinnen. Denn diese Gewalt ist der harte Kern des Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen. Ohne ausgeübte oder angedrohte Gewalt keine Macht und Ohnmacht. Das gilt für das Verhältnis der Geschlechter wie für das Verhältnis von Klassen, „Rassen“ oder Völkern.

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Dank des Erstarkens und des Widerstandes von Frauen in der westlichen Welt hat sich seither einiges geändert. Relativ gesehen. Zwar wird die Männergewalt in Deutschland noch immer verschleiernd „häusliche Gewalt“ genannt (als würden Häuser schlagen), aber sie wird immerhin nicht mehr geleugnet. 

Als Feministinnen 1976 in Berlin das erste Fluchthaus für geschlagene Frauen in Deutschland eröffneten, war das öffentliche Gelächter noch groß. Geschlagene Ehefrauen? Hahaha. Als ob es das gäbe. Das Haus war innerhalb weniger Wochen überfüllt. Es folgten noch viele „Frauenhäuser“. Sie werden heute in der Regel staatlich unterstützt. Und längst ist klar: Die sexualisierte Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder ist kein individueller Ausrutscher, sondern epidemisch und strukturell. Sie geht quer durch alle Klassen, vom Fernfahrer bis zum Richter. In der Coronazeit wurde die Eskalation dieser Gewalt hinter verschlossenen Türen nicht länger verschwiegen.

Die sxualisierte Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder ist strukturell

So manches Mal eskaliert diese Gewalt, wenn die Frau gehen will, auch in deutschen Familien bis hin zur tödlichen Gewalt. Das heißt dann „Fami­liendrama“. Schlagende Häuser oder Schicksal Familie – Täter scheint es nicht zu geben. Das beginnt allerdings allmählich, sich zu ändern. Noch nicht wirklich in der Realität, aber immerhin im Bewusstsein. Die Männergewalt wird seit ein paar Jahren auch statistisch thematisiert. Gewalt gegen Frauen wird sichtbar gemacht. Ein erster Schritt.

Der Fall von Gisèle Pelicot (Seite 18) zeigt den Fortschritt. Zynischerweise. Denn dieser Ehemann machte seine Frau sogar bewusstlos, um sie missbrauchen zu können. Die bewusste Gisèle hatte sich geweigert, mit ihm – nach einem einmaligen Versuch –, nochmals in einen Swingerclub zu gehen. Und es darf angenommen werden, dass die ihrem Mann beruflich überlegene Frau sich generell weigerte, seine perversen Vorlieben mitzumachen. Er musste sie schon betäuben, um mit ihr machen zu können, was er wollte – und sie durch das Angebot an fremde Männer zusätzlich zu demütigen. Eine Rache an seiner selbstbewussten Frau.

Seit etlichen Jahren macht nun die Gewalt von zugewanderten Männern aus anderen Kulturen in Europa Schlagzeilen. Sie kommen aus Ländern wie Afghanistan, wo Frauen nach islamischer Rechtsprechung noch rechtlos sind und ohne männliche Autorität – und sei es der kleine Sohn – noch nicht einmal das Haus verlassen dürfen. Gewalt gegen Frauen und Kinder gehört zu den Sitten. Eine Ehefrau hat selbstverständlich auch sexuell zur Verfügung zu stehen. Von dem Recht auf Trennung kann sie nur träumen.

Das deutsche "Famiiendrama" findet hinter verschlossenen Türen statt

Wenn so eine Frau in diesen Ländern dennoch versuchen würde, sich zu trennen, endete das vermutlich tödlich. Allerdings anders als beim deutschen Familiendrama. Das findet hinter ­verschlossenen Türen statt, weil der deutsche Mann inzwischen weiß, dass er Unrecht hat – auch wenn er es trotzdem tut. Das wird neuerdings „Femizid“ genannt: Also ein Mord, dessen Opfer die Frau ist, weil sie eine Frau ist.

In den Kulturen jedoch, in denen die Frauen noch rechtlos sind, haben die Männer noch kein schlechtes Gewissen. Sie akzeptieren einfach nicht, dass ihre Frauen nicht ihr Besitz sein sollen. Und diese Erkenntnis klagt hierzulande auch kaum jemand wirklich bei ihnen ein. Sie fühlen sich also weiter im Recht und strafen darum ihre widerständigen Frauen demonstrativ öffentlich ab, als warnendes Exempel für alle.

So wie in dem Fall 2016 in Hameln. Da hatte sich die Kurdin Kader K. von ihrem gewalttätigen Mann getrennt. Der tauchte in ihrer neuen Wohnung auf, stach wild auf sie ein, band sie mit einem Strick an sein Auto und schleifte sie durch die Innenstadt. Eine wahre Hinrichtung. Eine öffentliche Hinrichtung. Zur Warnung für alle Frauen und Rekonstruktion seiner „Ehre“. Wie durch ein Wunder überlebte Kader K.

Männer aus patriarchalen Kulturen strafen widerständige Frauen öffentlich ab

Oder jetzt der Fall von Shadi A. in Essen. Der sehr mutmaßliche Täter hat zwei Wohnhäuser in Brand gesetzt und so 30 Menschen schwer verletzt, darunter Kleinkinder. Es hätte noch schlimmer kommen können. Das Motiv des Amok­läufers: Seine Frau hat ihn verlassen und lebt nun mit einem Anderen.

Erleichterung bei Polizei und Politik: Der Mann habe „kein politisches Motiv“, hieß es, sondern nur ein „privates“. Selbst NRW-Innenminister Herbert Reul sprach von dem „Werk eines Mannes, welcher möglicherweise die Trennung seiner Ex-Frau nicht verkraftet“ habe. Reul müsste es eigentlich besser wissen. Denn hier handelt es sich nicht um die individuelle Tat eines verzweifelten, durchgedrehten Ehemannes, sondern um eine für einen Mann aus seiner Kultur durchaus nicht atypische Machtdemonstration. 

Privat? Diese Gewalt gegen Frauen ist geschlechterpolitischer Terror, der die Hälfte der Bevölkerung bedroht. Diese Art Terror muss keine islamistische Organisation propagieren, muss kein IS anordnen. Sie ist Kern der Kultur aller patri­archalen Gesellschaften.

Dass ein Mann wie Shadi A., der 2015 nach Deutschland gekommen ist, diesen Terror auch mitten in Deutschland ausüben kann, das ist auch das Resultat des deutschen Totalversagens bei der Integration. Denn wie kann es sein, dass er davon ausgehen konnte, auch in Deutschland mit seiner Ex-Ehefrau umgehen zu können wie in seiner Heimat? 

Weil niemand ihm konsequent beigebracht hat, dass seine Frau nicht sein Besitz ist, sondern ein gleichberechtigter Mensch und gehen kann, wann und wohin sie will! Der alltägliche Terror gegen Frauen ist bis heute kein Kriterium für die Abschiebung solcher Männer.

Sicher, zum Glück gibt es auch andere Muslime. Es waren offensichtlich vor allem arabisch sprechende Migranten, die Shadi A. so mutig stoppten und von weiteren Verbrechen abhielten. Doch es sind zu viele, die weitermachen wie zu Hause, wie in Syrien, Afghanistan oder Marokko.

Männer die anders denken, stehen unter dem enormen Druck ihrer Community

Und diese Männer sind bisher kaum belehrt worden. Weder von ihren eigenen Landsleuten – die sich, wenn sie anders denken, dem Druck ihrer Community beugen – noch von deutschen Behörden. Die sind erstens überfordert und meinen es zweitens oft zu gut. Sie „tolerieren“ die Machoallüren und -gewalt der Zugewanderten als „andere Sitten“ („Das ist bei denen so“). Dass Frauen und Kinder die Opfer dieser Sitten sind, scheint sie nicht so wirklich zu stören.

Volker Schröder, der Anwalt von Shadi A., erklärte, bei dessen Fall handele es sich um ein „Familiendrama“. Hinzu käme, sein Mandant habe bedauerlicherweise „Wahnvorstellungen“. Die Strategie ist klar. Aber Wahnvorstellungen? Der deutsche Anwalt scheint noch nicht einmal auch nur zu ahnen, dass die Vorstellungen seines Mandanten für ihn normal sind, Kern seiner Kultur. Und dass in der Heimat des Syrers viele so denken – auch wenn sie nicht immer so ­brutal Amok laufen.

EMMA hat über Jahrzehnte mit Aufklärung und Empowerment der Frauen dazu beigetragen, dass ein solches Verhalten in Deutschland immer weniger als Privatsache angesehen wird, sondern als Verstoß gegen die elementarsten Menschenrechte, ja als Verbrechen. Das Private ist politisch. Genau das ist mit diesem Slogan gemeint.

ALICE SCHWARZER

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