Das soll eine Reform sein?
79 eng beschriebene Seiten legte das Frauenministerium Ende März im kleinen Kreis vor. Der Gesetzesentwurf soll künftig den „Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ regeln. Was er auf den ersten Blick auch tut. „Mindestalter für den Betreiber, mehr Rechte für die Polizei, strengere Auflagen für Bordellbetreiber!“, meldete Spiegel Online am 11. April. Mehr noch: Sogar „ein Grundrecht soll eingeschränkt werden“ (nämlich das auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ im Falle von Kontrollen in Wohnungsbordellen). Das klang ganz so, als würde das Frauenministerium es ernst meinen mit dem „Schutz für Menschen in der Prostitution“ und der Bestrafung sexueller Ausbeutung.
LobbyistInnen
jubeln über
das lasche
Prostitutions-
schutzgesetz
Dabei hätte der Spiegel es da schon besser wissen können. Denn bereits zwölf Tage zuvor, am 30. März, hatten drei Unions-Abgeordnete eine scharfe Pressemitteilung veröffentlicht: „Lobbyisten jubeln über lasches Prostitutionsschutzgesetz“, hieß es da und: „Der Triumph der Zuhälter und Bordellbetreiber ist eine Schande für die Bemühungen der Regierungskoalition zum Schutz von Frauen im Sexgewerbe!“
Die Kritiker haben leider recht. Die nun vorliegende Reform ist weniger als halbherzig. Zwar wird endlich auch vom Gesetzgeber festgestellt: „Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere.“ Und auch der Zugang der Polizei zu Prostitutionsstätten wird in Zukunft leichter sein, wenn auch nur „in dringenden Fällen“. Aber das ist auch schon fast alles.
Die entscheidenden Punkte jedoch fehlen oder sind bis zur Wirkungslosigkeit aufgeweicht. Als da sind:
- Die Anhebung des Mindestalters für Prostituierte von 18 auf 21 Jahre. Das große Geschäft läuft heute vor allem mit den ganz jungen, besonders Wehrlosen. Aber der Gesetzgeber scheint daran nicht rühren zu wollen.
- Die Anmeldepflicht. Der Entwurf definiert nicht, wo die Frauen angemeldet sein müssen. Die einzig effektive Anmeldung wäre die bei der Polizei und das an jedem Ort, an dem die Frauen tätig werden (Damit eine Kontrolle über die Verschiebung des „Frischfleisches“ von Stadt zu Stadt durch die Frauenhändler möglich ist). Doch all das ist im Gesetz nicht geregelt, da ist nur von einer einmaligen Anmeldung irgendwo im Hauptort die Rede. Pro-Prostitutionsländer wie z.B. NRW oder Berlin könnten die Anmeldung also bei den wirkungslosen Ordnungsämtern ansiedeln.
- Die Gesundheitsuntersuchung. Sie ist einmal im Jahr geplant und soll nur eine „Beratung“ sein, d.h. ohne Untersuchung. Das ist zum einen zu selten und zum zweiten würde eine „Beratung“ die häufig geschlechtskranken Frauen nicht schützen.
- Die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten. Hier fehlen die Wohnungen, die quantitativ längst das Angebot in den Bordellen übersteigen. Da Prostitution in Deutschland nicht mehr als „sittenwidrig“ gilt, kann nämlich heutzutage jeder eine Wohnung anmieten und dort Frauen anbieten. Die meist aber des Deutschen nicht mächtigen Ausländerinnen, denen von ihren Zuhältern häufig auch der Pass abgenommen wird, sind in diesen „Model-Wohnungen“ noch ausgelieferter und isolierter als in Bordellen oder auf dem Straßenstrich.
- Der Mietwucher. Laufhäuser wie das Pascha nehmen von den sich prostituierenden Frauen 160 Euro am Tag (also 4.800 Euro im Monat) für winzige Zimmer. Hier müsste dringend festgeschrieben werden, dass die Mieten „nicht die ortsüblichen Mieten für Gewerberäume überschreiten“ dürfen. Auch das ist nicht geschehen.
- Das Weisungsrecht. Zwar dürfen die Bordellbetreiber keine Weisungen „über Art und Ausmaß sexueller Dienstleistungen“ geben, aber das war schon immer so. Andere Weisungen – wie das Nacktgebot oder das Telefonverbot – sollen weiterhin erteilt werden können.
Außerdem wimmelt es von verfänglichen Formulierungen in Bezug auf die Bordellbetreiber: „Das Tolerieren von Ausbeutung und Zuhälterei darf nicht dauerhaft hingenommen werden.“ – Kurzfristig aber schon? Und es fehlt ganz die Regulierung der Gelegenheitsprostitution.
Kurzum, mit so einer „Reform“ wird Deutschland auch in Zukunft ein Eldorado für Frauenhändler und Einreiseland für Sextouristen bleiben. Das sehen auch die drei protestierenden Christsozialen so. Die CSU ist die einzige Partei, die bereits im Herbst 2013 sogar die Bestrafung von Freiern gefordert hatte, und das nicht nur bei „Zwangsprostituierten“.
So wird Deutschland auch in Zukunft ein Eldorado für Frauenhändler bleiben
Die drei CSU-Abgeordneten reagierten auf einen Spiegel-Bericht im März über die engen Verflechtungen zwischen dem Verband der Bordellbetreiber (UEGD) und dem Verband der so genannten „Sexarbeiterinnen“ (BesD), sowie die Rolle, die diese LobbyistInnen beim Hearing des Familienministeriums zur Prostitution im Juni 2014 gespielt hatten. Bordelllobbyist Holger Rettig war damals so zufrieden über seinen Auftritt im Ministerium gewesen, dass er sich anschließend gemeinsam mit seinen „Freundinnen“ vom Sexarbeiterinnen-Verband bei Manuela Schwesig bedankte. Spätestens das hätte der Ministerin zu denken geben müssen.
„Es hätte schlimmer kommen können“, kommentiert Rettig jetzt selbstgefällig dem Spiegel gegenüber den nun vorliegenden Gesetzesentwurf. In der Tat, alle entscheidenden Punkte, die der Prostitutionsbranche das Geschäft mit den Frauen vermiest hätten, scheinen vom Tisch oder mindestens stark abgeschwächt zu sein. Und schon wittern Rettig & Co. Morgenluft. Rettig kündigte an, dass man sich keineswegs das Geschäft mit den Gang-Bang-Partys (simulierte Gruppenvergewaltigungen) verbieten lassen wolle. Dafür will sein Verband „notfalls bis vors Verfassungsgericht“ gehen.
„Hat die Zuhälterlobby über den Rechtsstaat gesiegt?“, fragen Barbara Lanzinger, die Vorsitzende der CSU-Frauen, Hans-Peter Uhl und Volker Ullrich zu recht in ihrer Pressemitteilung. Sie bezeichnen den Gesetzesentwurf aus dem Hause Schwesig als „Triumph der Zuhälter und Bordellbetreiber“ und schreiben: „Es bleibt nur zu hoffen, dass von dieser Seite keine Gelder für die Entschärfung von gesetzlichen Regelungen geflossen sind“. Die Abgeordneten fordern die SPD-Fraktionsführung auf, sich zu „besinnen“ und neu in der Koalition zu verhandeln.
Doch die Parteispitzen der Großen Koalition halten sich bedeckt bei dem Thema Prostitution und Frauenhandel. Das ist in der Union nicht anders als bei den Sozialdemokraten. Auch aus dem Mund der Kanzlerin war bisher kein einziges Wort zur Prostitution zu hören. Dabei betrifft die nicht nur das Leben von Hunderttausenden von Elendsprostituierten in Deutschland, sondern auch das alle betreffende Frauenbild und Männerbild in unserem Land.
International steht das Pro-Prostitutionsland Deutschland heute fast allein da. Im Ausland ist man „entsetzt“ über die inhumanen Verhältnisse im deutschen Sexgewerbe, insbesondere über die Großbordelle und Praktiken wie Flatrate und Gangbang-Partys.
Im März bekam Merkel darum Post aus New York: über hundert Frauenorganisationen schrieben, initiiert von der weltweiten „Coalition Against Trafficking in Women“ (CATW), an die Kanzlerin.
Bleibt nur zu hoffen, dass keine Gelder für die Entschärfung geflossen sind
Die erinnerten die deutsche Bundeskanzlerin daran, dass Deutschland seit Jahren internationale Abkommen zum Kampf gegen die Prostitution schlicht ignoriert. Allen voran die „UN-Konvention zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Ausbeutung von Prostituierten“, in der es heißt: „Die Prostitution und das sie begleitende Übel des Menschenhandels sind mit der Würde und dem Wert des Menschen unvereinbar.“ Wer ein „Bordell unterhält, leitet oder wissentlich finanziert“, müsste laut UN strafrechtlich verfolgt werden. 91 Staaten haben die Resolution unterzeichnet. Deutschland nicht.
Die Unterzeichnerinnen des Appells lenken „die Aufmerksamkeit der Kanzlerin auch auf die Resolution des EU-Parlaments vom 26. Februar 2014“, nach der Prostitution eine „Verletzung der Menschenwürde“ ist, die im „Gegensatz zu Menschenrechten und Gleichberechtigung steht“ und daher „unvereinbar ist mit der Grundrechts-Charta der Europäischen Union“. Sie schreiben: „Die Welt schaut auf Deutschland und darauf, ob es sein Prostitutionsgesetz ändert.“
Was Deutschland wenig zu scheren scheint. Die Reform des Prostitutionsgesetzes von 2002 soll bereits am 1. Juni im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Heißt das, dass man sich mit dem vorliegenden Gesetzestext bescheiden will? Und sollen die notwendigen drei Lesungen im Parlament, wie üblich bei unbequemen Gesetzen, nach all den Jahren und Jahrzehnten der gesellschaftlichen Debatte etwa im Mai hastig durchgepeitscht werden? Das sollten alle, die für Prostituierte und gegen Prostitution sind, zu verhindern wissen!