Abtreibung: Das tödliche Verbot
Die Zahnärztin Savita Halappanavar war 32 Jahre alt und in der 17. Woche gewollt schwanger, als sie das University Hospital Galway in Irland aufsuchte und über Rückenschmerzen klagte. Es war Sonntag, der 21. Oktober 2012. Eine Woche später ist Savita tot.
Das Abtreibungs-
gesetz: "eine katholische
Angelegenheit"?
Im Krankenhaus sagte man ihr, sie werde das Kind verlieren. Nach einem Tag mit unerträglichen Schmerzen baten Savita und ihr Ehemann Praveen die Ärzte darum, die Schwangerschaft zu beenden. Man erklärte ihnen, das sei in Irland illegal, weil der Fötus noch einen Herzschlag habe. Am nächsten Tag, an dem die Schmerzen immer schlimmer wurden, verlangte Savita noch einmal die Beendigung der Schwangerschaft. Die Ärzte weigerten sich erneut. Eine Krankenschwester erklärte Savita, dass das Abtreibungsgesetz in Irland eine „katholische Angelegenheit“ sei. Die Inderin Savita, die erklärte, sie sei weder Irin noch Katholikin, protestiere vergeblich.
Am nächsten Tag ging es ihr noch schlechter. Sie hatte Fieber und, wie wir heute wissen, eine beginnende Sepsis. An diesem Nachmittag stellte ein Arzt fest, dass Savita sterben würde, wenn die Schwangerschaft nicht beendet würde. Sie wurde in den OP gebracht, wo der Fötus abging. Am Abend verlegte man sie in die High Dependance Unit. Dort verschlechterte sich ihr Zustand. Man brachte sie auf die Intensivstation, wo aus der Sepsis eine schwere Sepsis wurde.
Am Freitag begannen die Organe der Frau zu versagen, am Samstag hatte sie einen septischen Schock und multiples Organversagen. Gegen ein Uhr nachts kam eine Krankenschwester zu Praveen. Er erzählt: „Auf dem Weg zur Intensivstation fragte sie mich: ‚Sind Sie bereit, in Savitas letzten Minuten bei ihr zu sein? Wir verlieren sie.‘ Ich sagte: Ja.“ Savita Halappanavar starb am 28. Oktober 2012 um 1.09 Uhr.
Die Irish Times berichtete knapp zwei Wochen später als erste über den Tod der Inderin. Bald darauf ging die Nachricht um die Welt.
Die irischen Frauen:
nicht mehr "als ein Gefäß"?
An diesem Abend des 14. November versammelten sich Tausende Menschen mit Kerzen vor dem irischen Parlament. Weitere Tausende entluden ihre Wut und Trauer bei einer Demo in den Straßen von Dublin am nächsten Wochenende. „Nie wieder!“ riefen die DemonstrantInnen. Es war ein Wendepunkt in Sachen Abtreibung in der irischen Geschichte.
Der Grund für Savitas Tod liegt 29 Jahre vor 2012. Im September 1983 entschied Irland qua Referendum, Abtreibungen weiterhin zu verbieten. Die Abstimmung mündete im 8. Verfassungszusatz. Dort heißt es: „Der Staat erkennt das Recht des Ungeborenen auf Leben an und garantiert – mit angemessenem Blick auf das gleiche Recht der Mutter auf Leben – dieses Recht mit seinen Gesetzen zu verteidigen.“ Das bedeutet: Abtreibung ist nur legal, wenn die Gefahr für das Leben der Mutter so groß ist, dass nur eine Abtreibung ihren Tod verhindern kann.
Die Folge: Zehntausende Frauen und Mädchen, die seither für einen Schwangerschaftsabbruch das Land verlassen mussten, darunter viele tragische Fälle. Einer der entsetzlichsten, der so genannte „Fall X“, wurde 1992 bekannt: Ein 14-jähriges Mädchen, das durch eine Vergewaltigung schwanger geworden und selbstmordgefährdet war, wurde daran gehindert, nach Großbritannien zu reisen, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
1997 folgte der „Fall C“: Eine 13-Jährige, ebenfalls schwanger nach einer Vergewaltigung, wurde gezwungen, das Kind auszutragen. Sie konnte gar nicht erst versuchen, über die Grenze zu kommen, weil sie in staatlicher Obhut lebte.
Es gab weitere Horror-Fälle wie „Fall D“, eine Frau, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollte. Sie hatte erfahren, dass der Fötus so schwer behindert war, dass er sterben würde. Sie musste für die Abtreibung nach Großbritannien fahren. Oder eine schwangere Litauerin mit einer schweren Krebserkrankung, die Irland ebenfalls verlassen musste, weil die Bekämpfung ihres Krebses den Fötus töten würde.
Doch mit dem Fall Savita war es anders. Während man von den anderen Frauen und Mädchen nur einen Buchstaben gekannt hatte, waren Savitas Name und ihr Gesicht nun in den Medien zu sehen. Und es gab einen Ehemann, dessen Herz in aller Öffentlichkeit gebrochen war. Und dann war da noch das Timing.
Savitas Tod – wegen einer „katholischen Angelegenheit“ – kam zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als hätte sich Irland aus dem Klammergriff der katholischen Kirche befreit. Eine ganze Serie von Skandalen um sexuellen Missbrauch durch Priester ab den 1990er-Jahren hatte die moralische Autorität der Kirche schwer erschüttert. Irlands Wirtschaft war – bis zum Finanz-Crash 2008 – rasant gewachsen und zum Zentrum einer boomenden Technologie-Industrie geworden, Tech-Giganten wie Facebook und Google hatten in Irland ihre europäischen Zentralen aufgebaut.
Wird die Regierung
die Fristen-
lösung einführen?
Die jungen Leute waren gut ausgebildet und durch die Welt gereist, während gleichzeitig viele junge Menschen aus aller Welt nach Irland kamen. Wir waren, dachten wir, eine cosmopolitische, moderne und kultivierte Gesellschaft.
Der Tod von Savita, eine junge, schöne und gut ausgebildete Frau mit Migrationshintergrund, zeigte auf furchtbare Weise, wie stark verwurzelt die orthodoxen katholischen Vorstellungen noch waren – und sind – besonders, wenn es um Frauen geht.
Der 8. Verfassungszusatz war damals das Ergebnis einer Kampagne ultra-konservativer katholischer Gruppen gewesen, darunter das Opus Dei und die Ritter des Heiligen Columbanus. Das hatte gewaltige Auswirkungen auf das Leben der Frauen und Kinder in Irland. Und es bedeutete, dass jede ungewollt schwangere Frau und jedes Mädchen nach Großbritannien reisen musste oder in die Niederlande.
Obwohl Großbritannien als eine Art „Sicherheitsventil“ für das irische Abtreibungsproblem funktioniert, ist der Preis dafür hoch. Eine Irin muss die Abtreibung im Ausland bezahlen, etwa 600 Pfund (684 Euro), plus Reisekosten. Schwangerschaftsabbrüche nach der 12. Woche kosten etwa das Doppelte.
Eine weitere Auswirkung des 8. Verfassungszusatzes: Immer wieder weigern sich Ärzte und Krankenhäuser, den schwangeren Frauen zu sagen, wenn der Fötus eine schwere Behinderung hat – aus Sorge, die Frauen würden sich dann für einen Abbruch entscheiden. Und bei Frauen, die Krebs haben, passiert es immer wieder, dass sie erst behandelt werden, wenn der Krebs schon weit fortgeschritten ist.
Denn die Ärzte vermuten, dass sie gegen das Gesetz verstoßen, wenn sie mit den Medikamenten den Tod des Fötus verursachen, ohne dass die Mutter bereits in akuter Lebensgefahr schwebt. Peter Boylan, der Vorsitzende des „Verbands der GeburtshelferInnen und GynäkologInnen“, berichtete mir, dass er Schwangere erlebt hat, die dringend medikamentöse Behandlung gebraucht hatten, aber „die sehr krank werden mussten, bevor wir eingreifen durften.“
In einem vernichtenden Kommentar zum irischen Abtreibungsrecht erklärte Sir Nigel Rodley, Mitglied des UN-Menschenrechts-Komitees, im Jahr 2014, Irland behandle Frauen „nothing but a vessel“ – als ein Gefäß. Dieser Satz wurde bald zum Slogan auf Plakaten bei Protesten gegen das irische Abtreibungs-Verbot: „I am not a vessel“ (Ich bin kein Gefäß).
Savitas Tod war ein Schlüsselmoment und ausschlaggebend dafür, dass sich eine gewaltige Bewegung für das Recht auf Abtreibung formierte. Schon vorher hatte sich die Pro Choice-Bewegung anlässlich des 20. Jahrestages von „Fall X“ wieder lauter zu Wort gemeldet.
Der Erfolg der
"Ja"-Kampagne
ist nicht sicher.
Aber nun schoss eine Gruppe nach der anderen aus dem Boden, um für das Recht auf Abtreibung zu kämpfen. Bald waren es Hunderte, darunter Gewerkschaften, Parteien oder Initiativen gegen Häusliche Gewalt. Sie alle taten sich zusammen zur „Coalition to Repeal the Eighth Amendment“. Diese Koalition lancierte im März 2018, gemeinsam mit dem „National Women’s Council“ und der „Abortion Rights Campaign“, die Kampagne „Together for Yes“.Für Ende Mai steht in Irland also wieder ein Referendum an. Diesmal, 35 Jahre später, für das Gegenteil: für das Recht aller ungewollt oder gesundheitlich bedrohten Schwangeren auf Abtreibung.
Obwohl jede neue Umfrage immer wieder einen Trend zum „Ja“ zur Abschaffung des Abtreibungsverbotes zeigt, ist der Erfolg der Abstimmung für die GegnerInnen des Verbotes nicht sicher. Sollte die Mehrheit der IrInnen mit Ja stimmen, will die Regierung die Fristenlösung einführen, also die straffreie Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Wochen.
Sollte die „Ja“-Kampagne jedoch nicht offensiv und einstimmig für die Fristenlösung einstehen und es zulassen, dass die neuerdings lauter werdenden „Bedenken“ gegen eine „uneingeschränkte Abtreibung“ sich verfestigen, dann werden sie verlieren. Ein paar Wochen bleiben noch.
Kitty Holland
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Die Autorin ist Redakteurin bei der Irish Times. Von ihr erschien das Buch „Savita: The Tragedy that shook a Nation“.