"My body, my choice!"

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 Jahrelang konnten sie ihren „Marsch für das Leben“, der früher „Marsch der 1000 Kreuze“ hieß (jedes Kreuz ein „getötetes Kind“) unwidersprochen absolvieren. Jedes Jahr am vorletzten Samstag im September verkünden die sogenannten „Lebensschützer“ auf Einladung des „Bundesverbands Lebensrecht“ ihre frommen Wünsche: Ein „Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“, in dem Schwangere keine „Hilfe zum Töten“ mehr erhalten. Und wo wir schon beim Töten sind: Auch gegen die Sterbehilfe sind die „Lebensschützer“ kategorisch: „Jede Beihilfe zur Selbsttötung“ sei unter Strafe zu stellen, ausnahmslos.

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Ein breites Bündnis gegen die Abtreibungs-GegnerInnen

Zum vierten Mal hält nun ein breites Bündnis dagegen: von Terre des Femmes bis Pro Familia, vom Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) bis zum Lesben- und Schwulenverband (LSVD), von der Giordano Bruno Stiftung bis Pink Stinks. Ihr Motto: "Leben und lieben ohne Bevormundung.“

Den TeilnehmerInnen des „Marsches für das Leben“ halten sie entgegen: „Jedes Jahr sterben etwa 80.000 Frauen, weil sie keinen Zugang zu einem sicheren legalen Abbruch hatten. Abtreibungsgegner tragen eine direkte Verantwortung an diesen Todesfällen und daran, dass etwa 220.000 Kinder dadurch zu Waisen werden.“ Und wieder einmal stellt sich die Frage: Wer sind denn hier die Lebensschützer?

Start: 11.30 Uhr am Pariser Platz, Abschlusskundgebung um 13.30 Uhr am Gendarmenmarkt - www.sexuelle-selbstbestimmung.de

 

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Entscheidet die Abtreibung die Wahl?

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Fast wäre das Kalkül der fundamentalistischen Christen in den Vereinigten Staaten aufgegangen und hätten sie den tragischen Tod der 24-jährigen Tonya Reaves für die eigene Propaganda missbraucht. Als die Afroamerikanerin am 20. Juli nach einer Abtreibung bei Planned Parenthood, der amerikanischen Vorläuferin von Pro Familia, an einer Blutung starb, bliesen die konservativen ­Abtreibungsgegner zu einem Sturm. Der tobte wochenlang. Obwohl die Chicagoer Gesundheitsbehörden Reaves’ Tod nach Komplikationen bei einer Ausschabung als Unfall einstuften, verurteilte ­Catherine Davis, 64, prominentes Mitglied des „Netzwerks politisch aktiver Christen“ (NPAC), den Eingriff als „Gemetzel“. „Planned Parenthood hat eindeutig nichts unternommen, um ihr Leben zu retten“, unterstellte Davis und beschwor einmal mehr die „Holocaust-ähnlichen Auswirkungen“ des Rechts auf Abtreibung, besonders für die Schwarzen des Landes.

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Alveda King, die Nichte des ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr. und eine Freundin von Davis, schlug in dieselbe Kerbe. Auf der Website der konservativ-katholischen Abtreibungsgegner Priests for Life beklagte die Juristin das „Abschlachten“ von Reaves. „Planned ­Parenthood hat Tonya die Lösung ihres Problems versprochen und sie dann umgebracht. Tonya und ihr totes Baby sind Opfer!“, geißelte King. Die Realität spricht eine andere Sprache. Laut einer Studie des New Yorker Guttmacher-Instituts treten nur bei 0,3 Prozent aller ­Abtreibungen in Amerika ernsthafte Komplikationen auf.
Präsident Obama erklärte bei einer Wahlveranstaltung unmittelbar nach ­Reaves’ Tod, dass er Planned Parenthood auch weiterhin unterstützen wolle. Prompt attackierte die fundamentalistische Orga­nisa­tion Operation Rescue, Ende der 1970er Jahre von dem später zum Katholizismus konvertierten evangelikalen Abtreibungsgegner Randall Terry gegründet, den Präsidenten, der bei der Wahl am 6. November gegen den republikanischen Herausforderer Mitt Romney zum zweiten Mal antritt. „Wie hätte Obama wohl reagiert, wenn Malia oder Sasha auf diesem Abtreibungstisch verblutet wären?“, fragte Troy Freeman, der konservative Führer, in Anspielung auf die 14 und elf Jahre alten Töchter von Obama.

Das Bekenntnis des demokratischen Präsi­denten zum Recht auf Abtreibung heizte den Kreuzzug gegen die Abtreibung der fundamentalistischen Republikaner weiter an und machte sie zum zentralen Wahlkampfthema. Seit Präsident Richard Nixon im Jahr 1970 unter dem Druck der Frauenbewegung das Gesetz zu Familienplanung und Bevölkerungsforschung unterzeichnete, unterstützt Washington die Planned Parenthood Federation of America (PPFA). Jedes Jahr fließen etwa 400 Millionen Steuerdollar an die mehr als 800 Kliniken des Vereins, die vor allem ärmeren Amerikanerinnen Schwangerschaftsabbrüche anbieten, neben Krebsvorsorge, HIV-Tests und Verhütungsmittel. Die öffentlichen Mittel dürfen jedoch nicht für Abtreibungen ausgegeben werden. Die muss die Organisation mit Hilfe privater Spenden und Stiftungen finanzieren.

Da Planned Parenthood mit jährlich etwa 340000 Schwangerschaftsabbrüchen dennoch die erste Anlaufstelle für Abtreibung ist, blasen radikal-religiöse Gruppen wie Operation Rescue und Priests for Life immer wieder zum Kampf gegen das Aushängeschild der Pro-choice-Verfechter (Für die freie Entscheidung). Seit dem Aufbruch der rechtskonservativen „Tea Party“-Bewegung im Jahr 2009 und dem Einzug der republikanischen Mehrheit in das Repräsentantenhaus nach den Kongresswahlen 2010 sind die Rufe der Fundamentalisten nach Beschränkungen bzw. einem totalen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen noch lauter geworden. Gemäß des Mose-Satzes „Seid fruchtbar und mehret euch“ versuchen Republikaner wie der evangelikale Abgeordnete ­Michael Pence aus Indiana unermüdlich, mit immer neuen Gesetzesvorlagen den öffentlichen Geldfluss an Planned Parenthood zu stoppen.

„Das Unglaublichste daran ist, dass wir durch Empfängnisverhütung mehr ungewollte Schwangerschaften verhindern und auf diese Weise Abtreibungen vermeiden, als jede andere Vereinigung in Amerika“, entgegnet PPFA-Chefin Cecile Richards. Die 54-jährige Texanerin –  laut Magazin Time neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton eine der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt – befürchtet die Zunahme lebens­gefährlicher illegaler Eingriffe. Wie die Weltgesundheitsorganisation WHO schon vor vier Jahren in einer Studie belegte, machen Komplikationen bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen weltweit etwa 13 Prozent der Todesfälle bei Schwangeren und Müttern aus.

Da Obamas mormonischer Herausforderer Romney sich wiederholt gegen die Abtreibung und für das Ende öffentlicher Mittel an Planned Parenthood ausgesprochen hatte, geht Cecile Richards jetzt zum Gegenangriff über. Mit einem pinkfarbenen Bus fahren ihre Mitstreiterinnen durch alle Bundesstaaten, von New Hampshire bis Florida, um mit der Kampagne „Women are watching“ („Frauen passen auf“) auf den christlich verbrämten Kreuzzug gegen Frauen und ihre Rechte aufmerksam zu machen.

Vermutlich werden die Amerikanerinnen im Alter von 30 bis 50 Jahren die Präsidentschaftswahl 2012 entscheiden. Der Streit um das Recht auf Abtreibung könnte also tatsächlich entscheidend sein. Jetzt schossen die fundamentalistischen Hardliner ein Eigentor. Die Positionen des republikanischen Senats-Kandidaten Todd Akin zu Vergewaltigung und Abtreibung machte selbst seine konserva­tivsten Parteikollegen sprachlos. Der 65-Jährige Senator aus Missouri erklärte, Schwangerschaften seien bei „legitimen Vergewaltigungen“ eher selten. Denn: „Wenn ich die Ärzte richtig verstehe, hat der weibliche Körper Mechanismen, das Ganze zu beenden“, schwadronierte Akin, ein strenggläubiger Presbyterianer, in einem Fernsehinterview in St. Louis. Also sollte die Abtreibung selbst nach sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung nicht länger erlaubt sein.

Die Frauenverbände waren empört und Obama erklärte kategorisch: „Vergewaltigung ist Vergewaltigung“. Die Stimmung begann zu kippen. Pro Recht auf Abtreibung. Prompt versuchten der republikanische Präsidentschaftsbewerber und gläubige Mormone Mitt Romney und sein Vize Paul Ryan, das Abtreibungs-Problem runterzuspielen. Durch ihre Sprecherin Amanda Henneberg ließen sie wissen, dass sie Akins Meinung nicht teilen. Eine zukünftige Regierung Romney-Ryan würde den Abbruch von Schwangerschaften nach Vergewaltigungen nicht ablehnen.

Romneys Zugehörigkeit zu der Mormonen-Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (LDS) war während der Vorwahlen ausgeklammert worden. Doch wie das Washingtoner Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center for the People and the Press bei einer Befragung von Mormonen feststellte, spielt Religion in ihrem gesellschaftlichen Leben eine wichtigere Rolle als bei den meisten anderen Glaubensgemeinschaften der Vereinigten Staaten. Vier von fünf MormonInnen beten täglich, drei von vier besuchen mindestens einmal pro Woche einen Gottesdienst. Und 98 Prozent der MormonInnen vertreten die traditionell christliche Lehre von Jesus körperlicher Auferstehung.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als Brigham Young die Mitglieder der LDS-Kirche in die Wüste Utahs führte, heben die sechs Millionen Mormonen immer wieder die Einzigartigkeit ihres Glaubens hervor. Als die Kirche Mitte der 1980er Jahre Parallelen zum Glauben der Evangelikalen entdeckte, näherten sich einige Mormonen-Gruppen den christlichen Fundamentalisten an. Grund: Der gemeinsame Kampf gegen die Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen sowie das Recht auf Abtreibung.

Vor dem Nominierungsparteitag Ende August schienen die Republikaner sich in Sachen Abtreibung einen Maulkorb verpasst zu haben. Die Redner der National Convention sparten in Tampa die umkämpfte Abortion aus, bis das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in das Parteiprogramm aufgenommen wurde. Dass Romneys Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, der konservative Katholik Ryan, jahrelang Seite an Seite neben Akin um Gesetze gegen das Recht auf Abtreibung auch bei Vergewaltigungen und Missbrauch gerungen hatte, war kein Thema.

Nach der Beschränkung der Republikaner auf hanebüchene Abtreibungsthesen präsentierten die Demokraten bei ihrem Nominierungsparteitag Anfang September ein bewusst breitgefächertes Gleichstellungsprogramm. Von acht weiteren Senatorinnen unterstützt forderte Senatorin Barbara Mikulski, eine frühere Sozialarbeiterin, die bezahlbare Gesundheitsfürsorge für alle Frauen sowie Initiativen gegen häusliche Gewalt und für Lohngleichheit.

Die katholische Nonne Simone Campbell erntete in Charlotte tosenden Beifall, als sie Romneys Vize-Kandidaten Ryan den moralischen Ausverkauf christlicher Werte vorwarf. Die Haushaltspläne ihres Glaubensbruders, der Steuererleichte­run­gen für die Mittelklasse versprach, gefährde ärmere Familien und besonders Frauen. Da die Republikaner während der Vorwahlen einen Alleinvertretungsanspruch für die religiösen Wähler des Landes reklamiert hatten, hallte Campbells Rede besonders nach.

Tammy Duckworth, eine der ersten weiblichen Piloten im Krieg gegen den Irak, lobte auf der Bühne der „Time Warner Cable Arena“ Obamas Förderung von Frauen in den Streitkräften. Unter anderem hatte der Präsident Anfang des Jahres Janet Wolfenbarger als erste Vier-Sterne-Generalin der amerikanischen Luftwaffe nominiert.

Für einen Twitterrekord beim Nominierungsparteitag der Demokraten sorgte jedoch die 74-jährige Lilly Ledbetter. In breitem Südstaatenakzent erinnerte sie an das lang umkämpfte Gesetz für Lohngleichheit, das Obama Anfang 2009 als erste Weisung seiner Präsidentschaft unterzeichnet hatte. Nach fast 20 Jahren als Managerin des Reifenherstellers Goodyear Tire & Rubber in Alabama hatte Ledbetter erfahren, dass sie ein Viertel weniger verdiente als ihre männlichen Kollegen. Der Versuch, vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten eine Wiedergutmachung zu erstreiten, scheiterte, da Ledbetters Ansprüche nach Ansicht der Richter verjährt waren.

Die „Lilly Ledbetter Fair Pay Act“ ergänzt seit Obamas Unterschrift nun das amerikanische Bürgerrechtsgesetz aus dem Jahr 1964, das unter anderem die Rassentrennung in Bussen und Restaurants ­verbietet. Während der Supreme Court erklärt hatte, dass die Ansprüche unterbezahlter Frauen wie Ledbetter bereits 180 Tage nach der ersten Gehaltsabrechnung erlöschen, räumt das Gesetz für Lohngleichheit eine Halbjahresfrist nach dem letzten Gehalt ein.

Obwohl Gleichstellung und Frauenrechte im Zentrum des Parteitags standen, bemühten die Demokraten sich gleichzeitig um die Entschärfung der Abtreibungsdebatte. Präsident Obama beschränkte sich auf einen Seitenhieb in Richtung seines Herausforderers Romney, der versuche, „die Entscheidungen über Gesundheitsfürsorge zu kontrollieren, die Frauen selbst kontrollieren sollten“. Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden entwarf die dazu passende Vision einer Zukunft, „in der Frauen ihre Gesundheit und ihre Schicksal selbst bestimmen“.

Nach ihrem Einzug in das Weiße Haus hatte die Juristin Michelle Obama eine eher von Häuslichkeit und Familienleben dominierte Rolle übernommen. Jetzt präsentierte sich die 48-Jährige in Charlotte unerwartet als politische Persönlichkeit. Im Gegensatz zu Romneys Ehefrau Ann, die weder in Interviews noch während des Nominierungsparteitags der Republikaner Position zu heißen Themen bezog, diskutierte Obama die hart erkämpfte Reform des Gesundheitswesens, Steuererleichterungen für Arbeiterfamilien und das nach Ledbetter benannte Gesetz zur Lohngleichheit. Ihr Mann, so die First Lady in einem ärmellosen Brokatkleid der afroamerikanischen Designerin Tracy Reese, wolle auch anderen die Chance zur Verwirklichung des Amerikanischen Traums geben.

Und Michelle Obama ließ unmissverständlich wissen, dass das Recht auf Abtreibung zu dem politischen Programm des Präsidenten gehört: „Er ist davon überzeugt, dass Frauen  in der Lage sind, über ihren Körper zu entscheiden.“ Dass die Amerikaner die Positionen der First Lady längst nicht mehr als bloße Handreichung einer Politikergattin für ihren Ehemann werten, belegen diverse Umfragen. Nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup zur Beliebtheit der führenden Demokraten des Landes lag Michelle Obama Ende August gar mit 65 Prozent noch vor ihrem Mann Barack Obama, dem 53 Prozent der befragten Amerikaner Sympathie zollten.

Neben der Planned-Parenthood-Chefin Richards unterstützen auch prominente VertreterInnen der Pro-choice-Bewegung wie die Direktorin des Nationalen Verbands für das Recht auf Abtreibung (NARAL), Nancy Keenan, sowie die Schauspielerin Eva Longoria (Desperate Housewives) den frauenfreundlichen Kurs des Präsidenten. Doch als bester, wenn auch unfreiwilliger Wahlhelfer Obamas gilt weiterhin Todd Akin. Unter der Schlagzeile „Die republikanische Partei kann gefährlich für Frauen werden“ schmückt das Porträt des fundamentalistischen Republikaners bereits die Website des Präsidenten.

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Christliche Fundamentalisten: Im Namen des Herrn (2/2012)
 

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