Demonstrationen in Tunis: „Eine
Der 13. August ist für Tunesierinnen eigentlich ein Festtag. Es ist der Jahrestag der Erlassung des "Code du statut personnel" (Gesetz zum Schutz der Person), auf dem Tunesiens Ruf als eines der fortschrittlicheren Länder in Sachen Frauenrechte in der arabischen Welt beruht. Dieser Gesetzeskanon, den Präsident Habib Bourguuiba nach der Unabhängigkeit Tunesiens von der Kolonialmacht Frankreich 1957 erlassen hat, schrieb bisher (zumindest auf dem Papier) die Gleichberichtigung zwischen Männern und Frauen fest. Mit ihm wurde unter anderem die Polygamie abgeschafft und das Persönlichkeitsrecht reformiert.
Die islamistische Ennahda-Partei, seit den ersten freien Wahlen im Oktober 2011 an der Macht, hat nun einen Verfassungsentwurf vorgelegt, in dem sie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern schlicht gestrichen hat. In dem Verfassungstext, der im April 2013 in Kraft treten soll, ist nicht mehr von Gleichheit, sondern von „Komplementarität“ die Rede: Die Frau als „Ergänzung“ des Mannes, die als seine "Assoziierte" an der „Entwicklung des Vaterlandes“ mitzuwirken habe.
Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet in dem Land, in dem mit dem Sturz des Präsidenten Ben Ali im Frühjahr 2011 der Arabische Frühling seinen hoffnungsvollen Anfang nahm, nun auch als erstes schwarz auf weiß festgeschrieben werden soll, wovor Frauenrechtlerinnen seit langem warnen: Einer Eiszeit für die arabischen Frauen.
„Die Rechte der Frauen werden Stück für Stück durch die islamistische Partei Ennahda in Frage gestellt und sind bedroht“, sagt Lina Ben Mhenni. „Ganz aktuell hängt sich die Debatte an der Formulierung der neuen Verfassung auf. Es ist absolut notwendig, dass diese Formulierung zurückgenommen wird. Denn man weiß nicht, wie und wofür die Regierung sie verwenden kann." Die 29-Jährige ist mit ihrem Blog "A tunesian Girl" bekannt geworden und war im Herbst vergangenen Jahres für den Nobelpreis im Gespräch.
Ben Mhenni beobachtet, wie sich die Stimmung unter Tunesierinnen in den vergangenen Monaten gewandelt hat. „Die Frauen fühlen sich bedroht“, sagt sie. „Sie zögern, im Kleid auf der Straße spazieren zu gehen. Dieselben Polizisten, die unter Ben Ali die verschleierten Frauen attackierten, nehmen sich nun die jungen Frauen im Rock vor!“ Sie selbst sei vor einigen Wochen von Polizisten zusammengeschlagen worden. Eine Freundin, die tunesische Schauspielerin Rim el Banna, sei von der Polizei attackiert und als „Hure“ beschimpft worden, weil sie ein Strandkleid trug.
Ben Mhenni ist eine von Tausenden tunesischen Frauen, die bereit ist, für ihre Freiheit zu kämpfen - und schon seit langem alamiert ist bar der Veränderungen in ihrer Heimat. „Der Schleier ist das Symbol der Unterwerfung der Frauen. Ich werde ihn niemals tragen! Sie können mich umbringen, ich bin bereit zu sterben. Aber ich werde meine Freiheit bis zum Letzten verteidigen!“ schrieb die Bloggerin im vergangenen Jahr.
Auch die Präsidentin des Demokratischen Frauenverbandes, Ahlem Belhaj, verlangt die völlige Annullierung des Artikels in dem Verfassungsentwurf. Die tunesische Frauenorganisation, die seit 1989 für die Gleichheit der Geschlechter und die Trennung von Religion und Staat kämpft, hatte im vergangenen Jahr folgenden Appell veröffentlicht: „Wir können es nicht fassen, dass reaktionäre Kräfte völlig ungestraft erklären, dass sie ein Kalifat gründen und die Polygamie einführen wollen!“ Und dann: „Unsere Rechte dürfen keine Verhandlungsmasse sein.“ Das war noch vor dem Wahlsieg der Islamisten. Danach sagte Souad Rejeb, Psychologin und Mitglied der Organistaion im Interview mit EMMA: "Als wir das Wahlergebnis Erfahren haben, haben wir geweint."
„Eine zweite Revolution“ - das forderten die Demonstrantinnen am Montagabend in Tunis. Eine, die auch für die Frauen gilt.
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