Der Bergdoktor: Der neue Mann?

Von wegen Förster wom Silberwald. Foto: ZDF
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Lieber Hans Sigl, ich interviewe Sie, weil Alice Schwarzer nicht objektiv wäre. Schließlich hat sie in letzter Zeit reichlich Sympathiebekundungen, um nicht zu sagen Liebeserklärungen, an Sie rausgehauen. Wie fanden Sie das eigentlich?
Ich habe mich darüber natürlich sehr gefreut. Ich habe Alice mal bei einer nicht enden wollenden Fernsehaufzeichnung einer Spielshow persönlich kennengelernt. Als wir während der Umbaupausen ins Gespräch kamen, war es sehr unterhaltsam. Es ist mir überhaupt eine Ehre, von EMMA interviewt zu werden.

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Wieso ist es Ihnen denn eine Ehre?
Weil ich niemals damit gerechnet hätte, dass EMMA und „Bergdoktor“ im Ansatz einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt haben. Und natürlich ist Alice Schwarzer eine Institution, mit der ich mich schon zu Schulzeiten beschäftigt habe.

Worum ging es damals?
In den 1980ern wurde es für die Jungs in den Schulklassen unbequem, weil die Mädels (zu Recht und endlich) anfingen, diese Themen anzusprechen. An der Uni fiel dann – gerade bei den jüngeren Lehrkräften – öfter der Name Alice Schwarzer. Manche Jungs fanden das verstörend. Dabei war es offensichtlich, dass es an uns lag, neue Wege zu gehen. Mich hat damals gefuchst, dass viele Männer das nicht gesehen haben.

Richtig! Das ist der Hans (Sigl) alias Martin (Gruber). Der etwas andere Bergdoktor. - Foto: fotowunder
Richtig! Das ist der Hans (Sigl) alias Martin (Gruber). Der etwas andere Bergdoktor. - Foto: fotowunder

Hans, lassen Sie uns über Martin reden. Warum kommt Martin Gruber eigentlich so gut bei den Frauen an?
Vielleicht, weil er ein offener, moderner Mann ist, der über das Mann-Sein gar nicht so viel nachdenkt. Er ist sehr emotional und handelt stark danach. Ich glaube, dass er generell bei Menschen gut ankommt, weil er der Typus Arzt ist, den es heute fast gar nicht mehr gibt. Martin nimmt sich Zeit für seine Patienten, er nimmt sie ernst, und er gibt sie nicht auf. Wir sprechen hier natürlich von einer Klischeerolle in einem fiktionalen Format. Aber es ist ein Format, das Eskapismus bedient. Umso bedeutender ist es, wie man mit Klischees und Rollenbildern umgeht.

Und was schätzen Sie an ihm als Mann?
Ich mag seine Empathiefähigkeit, seine Besonnenheit. Er kann authentisch mit seinen Gefühlen umgehen. Es gibt keinen toxischen Überbau. Letzten Endes will er eigentlich nur, dass alle glücklich sind. Wenn er kämpfen muss, dann hauptsächlich darum, dass der Gruberhof nicht den Bach runtergeht und er seinen Ursprungsort halten kann. Was mögen Sie denn als Mann an ihm?

Mir gefällt seine entspannte Art mit Frauen, seine Bodenständigkeit, sein Sinn für Gerechtigkeit. Er ist grundanständig. Und gut anzusehen ist er schon auch.
Das lasse ich mal so stehen.

Sie sagten mal, Sie müssen in Bezug auf die Entwicklung der Rolle von Martin aufpassen. Auf was passen Sie auf?
Ich sorge dafür, dass er authentisch bleibt. Am Anfang, als wir noch für 45 Minuten gedreht haben, waren Martin und alle anderen Figuren ein wenig holzschnittartiger. Da hatten wir auch noch eine etwas typischere Rollenverteilung. Es war oft so, dass die Frauen leidend inszeniert waren und der Mann die Welt wieder in Ordnung brachte. Ich fand irgendwann, dass dieses Modell überholt ist. Seit wir die 90 Minuten haben, können wir die Figuren auch besser ausformen. Martin hat seitdem mehr Tiefe.

Gibt es Fälle, in denen Sie Ihr Veto einlegen wollen?
Das ist zum Glück noch nie passiert. Aber ich mache Vorschläge, wenn etwas nicht zu Martin passt. Zum Beispiel in der letzten Folge der letzten Staffel, als Martin Anne einen Heiratsantrag macht. Wir haben darüber diskutiert, ob Martin auf die Knie fallen soll. So ist er aber nicht. Er hat seine Anne aufrichtig angeschaut und gesagt: Heirate mich! Das scheint ein nichtiges Beispiel zu sein, aber ein Film lebt von Bildern und Kleinigkeiten. Und ich habe schon mal mein Veto eingelegt, als mir ein Autor ganz selbstverständlich einen Pastor auf die Intensivstation stellen wollte.

Sie arbeiten also am Drehbuch mit?
Ja und nein. In den Drehbuch-Besprechungen mit dem Regisseur achte ich generell darauf, dass bei uns nicht Geranien ins Bild hängen, wo keine hingehören.

Und das bedeutet?
Wir bedienen als Genre den Heimatfilm, wollen uns aber bewusst vom traditionellen Heimatfilm abgrenzen. Deswegen hat die Serie moderne Frauen und moderne Männer. Und die vermeintlich heile Welt ist gar nicht so heil. Harmonie und Idylle gibt es bei uns eher weniger. Die Grubers sind ja keine glückliche Familie. Bei ihnen kracht es ständig. Es geht auch nicht immer alles gut aus, Menschen sterben. Deswegen sind wir übrigens auch FSK 12.

Apropos FSK 12. Der aufmerksamen Zuschauerin fällt auf, dass Martin beim Sex nicht als der typische Jäger inszeniert wird. Er legt sich gern mal auf den Rücken …
Worauf Sie achten, ist interessant. Das ist eine sehr bewusste Entscheidung. Martin ist kein Jäger, der seine Beute reißt. Ich glaube, das würde ihn ja machohaft erscheinen lassen. Abgesehen davon: Er ist schon auch ein Genießer. Ich selbst möchte diesem Klischee ebenfalls ausweichen, weil ich das für total antiquiert halte. Was halten Sie denn als Frau vom typischen Jäger?

Nichts. Ich glaube, dass eine Beziehung auf Augenhöhe immer die bessere Variante ist, auch im Bett.
So ist es. Anne und Martin sind nicht nur ein Liebespaar, sie sind auch Freunde. Wir haben irgendwann aufgehört, uns süßlich anzulächeln und können auch rumfrotzeln. Anne und Martin sind auf Augenhöhe. Sie rettet und schmeißt den Hof, der sein Seelenheil bedeutet.

Dann wären da noch Martins Bruder Hans und sein Freund in der Klinik, Doktor Kahnweiler, mit seiner strengen Frau …
Hans ist instinktiv von derselben Bauart wie Martin, muss bei den Frauen aber erst ein paar Fehler machen, um zur Einsicht zu gelangen. Er ist zwar das Landei, aber letzten Endes will auch Hans mit seiner Frau Susanne alles richtig machen. Martins Freund Doktor Kahnweiler tut zwar so, als wäre er der typische Schürzenjäger, steht aber in Wahrheit total unterm Pantoffel von seiner Frau Vera, Frau Doktor Fendrich, die ja auch seine und die Klinik-Chefin ist. Die zwei sind unser Comedy-Faktor, um hin und wieder die Tragik der Diagnosen und Krankheiten abzufedern.

Wer die Serie nicht regelmäßig schaut, könnte denken, dass Tochter Lilli von einem schwulen Männerpaar erzogen wird. Die Grubers sind das Gegenteil der klassischen Kleinfamilie.
Das war unter anderem der Grund für mich, warum ich für diese Serie zugesagt habe. Ich fand, dass diese Setzung damals neu war. Ein Heimatfilm, in dem zwei Männer in dieser Gegend eine Tochter erziehen, schien mir höchstinteressant. Martin, der biologische, sein Bruder Hans der soziale Vater. Das gab es vor 13 Jahren in der öffentlich-rechtlichen TV-Welt nicht. Gibt es denn etwas, dass Ihnen am „Bergdoktor“ nicht gefällt?

Nicht gefallen wäre zu viel gesagt. Aber: Recht normal verdienende Leute haben oft Wahnsinns-Häuser in den Bergen. Es dürfte vielleicht manchmal ein Panorama-Fenster weniger sein. Dann weiß ich nicht, wie die Milchpreise in Österreich so sind, aber die Gruber-Milch muss wahres Teufelszeug sein, wenn sie den Hof rettet. Und ich muss immer ein bisschen lachen, wenn die Tür zu Martins Zimmer aufgeht. Er hat da ja eine relativ spartanische Kemenate mit 1,20er Bett, das Frauen nicht gerade zur Übernachtung einlädt …
Zu den Häusern: Also die sind schon auch ein Stilmittel. Wir wollen nicht ständig urige Berghütten zeigen, sondern auch das moderne Wohnen in Tirol. Ein weiterer Schritt das Format zu entkitschen. Zur Gruber-Milch ist zu sagen, dass wir ja keine Doku über einen Milchhof machen. Aber gut, ausstattungstechnisch kann man streiten, ob die Milchpumpe das alles leisten kann. Und zu Martins Zimmer: Er hat sich da eingelebt und muss nicht mühsam den ganzen Dachboden kehren. Vielleicht passiert ja jetzt in der neuen Staffel was … Vielleicht zieht er sogar um oder aus …

Die Film-Mutter Lisbeth ist ja eigentlich noch nicht so modern, oder?
Ich würde sie auch nicht zwingend als emanzipiert beschreiben. Ich finde, ihr wird zu oft ein schlechtes Gewissen untergejubelt. Zum Beispiel als Onkel Ludwig auftaucht und sie ihren Söhnen gesteht, den Vater betrogen zu haben. Einerseits wollen ihre Söhne es ihr recht machen, andererseits wird sie oft vor vollendete Tatsachen gestellt.

Mutter Lisbeth ist zwar das Herz vom Ganzen, aber der Hof gehört Sohn Hans. Immerhin fährt sie Traktor.
Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Als Österreicher sind mir Bäuerinnen, die nicht nur Traktor fahren, sondern noch ganz andere Ansagen machen, sehr geläufig. Da ist Köln augenscheinlich weit weg. Ich denke, Mutter Gruber lässt Sie bestimmt gern mal Trecker fahren!

Und der Mensch hinter der Rolle? Wie ist Hans Sigl aufgewachsen?
Ich bin 1969 geboren und in der Steiermark bei meiner Mutter, Großmutter und Tante aufgewachsen. Ich war viel auf Bauernhöfen und in den Bergen unterwegs.

Bei gleich drei Frauen?J
Ja. Meine Mutter war berufstätig, deswegen war ich hauptsächlich bei meiner Oma. Ich glaube, meine Generation Mann ist sehr weiblich erzogen worden. Die Väter waren da nicht vorhanden. Sie haben nicht das getan, was ich als Vater getan habe. Ich bin sehr geprägt von einem weiblichen moralischen Wertekompass.

Und wie sieht der aus?
Ich denke, es ist einfach die weibliche Sichtweise. Als Kind und Jugendlicher empfängt man Werte und Guidelines, die man übernimmt. Und da waren Frauen eben prägend. Dafür bin ich sehr dankbar.

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Sie haben sich jüngst in einer österreichischen Zeitschrift als Feminist geoutet.
Das sage ich eigentlich schon seit meinem Studium. Da stelle ich mich gern in die erste Reihe. Ich hatte das Glück, am Gymnasium und später auch an der Uni auf Lehrer und Dozenten zu treffen, denen Gleichberechtigung wirklich ein Anliegen war. Da hat in den 80ern eine Wende bei vielen jungen Männern stattgefunden, durch die Frauenbewegung und die Einflüsse der 68er natürlich. Alice Schwarzer gegen Esther Vilar war damals schon ein Thema für mich. Und ich finde es erbärmlich, dass wir die Diskussion über gleiche Rechte heute immer noch führen müssen.

In welchen Bereichen könnten wir Frauen denn Ihrer Meinung nach weiter sein?
Überall. Wir brauchen noch immer eine Frauenquote. Die Frage ist, ob unsere Gesellschaft diesen Kulturwandel endlich einmal begreifen und wirklich handeln will. In meiner Branche erlebe ich zum Beispiel oft, dass das Patriarchat als System noch voll etabliert ist und dann zwischendurch mal eine Frau als eine Art Tarnkappe vorangestellt wird. Das ist aber falsch verstandene Emanzipation und macht es für Frauen nicht besser. Aktuell wird gern das ferne Neuseeland als feministisches Paradebeispiel herbemüht. Oder eben Angela Merkel. Ja, es hat sich bestimmt einiges getan, aber noch lange nicht genug.

Sie scheinen ja in einer guten Beziehung zu leben und machen da auch keinen Hehl raus ...
Nein, warum auch? Ich liebe meine Frau und fertig.

 

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