DER DEUTSCHE SONDERWEG: Die Reform

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Sie kennen das Leben, vor allem das von Frauen. 390 kommunale Beauftragte für Gleichberechtigung (von 1.500 bundesweit) reisen an diesem Montag, dem 6. November, in Köln an. Zwei Tage lang diskutieren sie darüber, wie es weitergehen kann trotz der Widernisse und Sparzwänge: mit den Notrufen, den Beratungsstellen und den gleichen Chancen im Beruf. Über Prostitution und Ausstiegshilfen für Prostituierte sprechen sie nicht.

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Erst abends im Taxi zum Brauhaus auf ein frisches Kölsch dämmert ihnen, dass das eigentlich ein Thema wäre - und was für eines. Denn vor ihrer Nase an der Rückseite der vorderen Kopfstützen klebt Werbung für das Großbordell Pascha ("Pascha sein ist fein!"), plus Visitenkarten auf dem Rücksitz und Werbebannern an den Türen.

Köln ist eine der deutschen Hochburgen der Prostitution und rühmt sich, mit dem Pascha "Europas größtes Laufhaus" zu haben. Was nicht etwa unter peinlich verbucht wird - auch dann nicht, wenn die Polizei bei einer Razzia vier 14-jährige Afrikanerinnen aus dem Bordell holt, wie im April 2005 geschehen -, sondern unter weltstädtisch. Der Fan-Club des 1.FC Köln macht eigentlich nur noch damit von sich reden, dass er sich vom Pascha sponsern lässt. Und das alternative Kölner ‚Filmhaus' lud am 26. November zu einem "Kurzfilmabend in den Nightclub Pascha". Gezeigt wurden "Filme aus der Erotikrolle". Warum auch nicht? "Fast jedes Taxi wirbt doch schon fürs Pascha."

Das Verlagshaus DuMont Schauberg, bei dem alle Kölner Lokalzeitungen erscheinen, gibt darüber hinaus den "Online-Erotikführer" diskret.de heraus. Der sortiert Offerten von Bordellen und Prostituierten im Rheinland nicht nur nach Städten, sondern auch nach Alter, Typ, Haarfarbe und Art des Service: "anal aktiv", "anal passiv", "devot", "dominant", "französisch total", "Gesichtsbesamung", "Küssen", "Lack und Leder", "Lesbospiele", "Sadospiele" oder "Spermazungenküsse". Alles im Angebot. Mit gezielten Klicks kann sich der Freier eine auf seine ganz speziellen Wünsche zugeschnittene Frau auf den Bildschirm holen - wie beim Internet-Handel mit Autos.

Ist das normal, dass Bordelle in Taxen werben und Frauen in Lokalzeitungen wie Vieh angeboten werden? Nein, das ist ein deutscher Sonderweg. Auf der ganzen Welt gibt es Prostitution. Aber außer in Deutschland und Holland wird in keinem anderen Land so getan, als sei sie ein "Beruf wie jeder andere" - und werden Prostituierte erniedrigend und schutzlos, nämlich für Verkehr ohne Kondom, angeboten. Diese Entwicklung kündigte sich seit Anfang der 1980er Jahre an. Und der Gipfel des Zynismus: Es passierte auch noch im Namen der "Emanzipation".

Der vorläufige Höhepunkt der Enttabuisierung, ja Rehabilitierung der Prostitution und derer, die mit den Frauen im Gewerbe das große Geld verdienen, war die "Prostitutionsreform" von 2001. Damals wurde von Rotgrün ein Gesetz verabschiedet, das angeblich den Prostituierten nutzen sollte - aber wie voraussehbar nur dem Milieu genutzt hat. Das Prostitutionsgesetz (ProstG) trat am 1.Januar 2002 in Kraft.
Seither ist das einst als "sittenwidrig" geächtete, halblegale Geschäft für die nun legalen Bordellbetreiber und Zuhälter (sowie auch für die illegalen Menschenhändler) eine gesellschaftsfähige und noch gewinnbringendere Sache. Die Prostitution ist rausgekommen aus ihrer Schmuddelecke und eingezogen in die Mitte der Gesellschaft.

Prominente brüsten sich öffentlich mit Besuchen im Bordell. So ließ der amerikanische Rapper Eminem die Lokalpresse wissen, nach seinem Kölner Konzert sei er erst mal ins Pascha. Der britische Musiker Sting, heißt es, lasse sich immer Prostituierte aus dem Pascha aufs Hotelzimmer bringen. Und Boris Becker antwortete lässig auf die Frage, welche Kleidungsstücke ein Mann unbedingt haben muss: "Eine Jeans, die man im Flieger, im Nobelrestaurant und im Bordell schon getragen hat."

Um "die soziale und rechtliche Situation der Prostituierten zu verbessern", schaffte Rotgrün die so genannte Sittenwidrigkeit ab, die bis dahin gewisse zivil- und strafrechtliche Folgen gehabt hatte, und definierte Prostitution als "sexuelle Dienstleistung". Der Tag der Verabschiedung im Bundestag war ein Festtag für die Herren des Rotlichtmilieus.

Das Prostitutionsgesetz erlaubt ausdrücklich Arbeitsverträge und Festanstellung von Prostituierten. Zwar wird diese Möglichkeit so gut wie nie genutzt, doch dank ProstG sind Ausstiegshilfen für Prostituierte inzwischen kaum noch ein Thema mehr. Und Einstiegshilfen? Aber gerne!

Trotz einschränkendem Erlass sind staatliche Vermittlungen in den "Grenzbereich" der Prostitution gang und gäbe: Tänzerinnen für Tabledance, Servierinnen für Nachtclubs, Zimmermädchen und Reinigungskräfte für den Puff, Webmasterinnen für "erotische" Internet-Plattformen. An skandalösen Fällen mangelt es nicht.

So teilte die Aachener Arge (Zusammenschluss von Arbeitsagentur und Stadt) im Juli 2006 der arbeitslosen Thea S. schriftlich mit, sie habe sich "umgehend" bei einer "Medienagentur im erotischen Bereich" zu bewerben. Dort erklärte man der gelernten Kosmetikerin und alleinerziehenden Mutter ihre Aufgabe: Sie solle in den Rotlichtmilieus von Aachen, Düsseldorf und Köln Prostituierte für eine interaktive Internetplattform anwerben. Thea S. lehnte ab und informierte die Lokalpresse. Der erklärte der Aachener Arge-Geschäftsführer Marcel Raschke: Der "Erotikbereich" sei ein "wachsender Sektor", den die Arbeitsagenturen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit "nicht so einfach ignorieren können".

Der nächste bekannt gewordene Fall: Vor dem Amtsgericht Bad Iburg klagte die Hausfrau Marzena W. auf Unterhalt von ihrem geschiedenen Ehemann, der, als sie noch mit ihm verheiratet war, regelmäßig wochenlang verschwand und sie ohne Geld sitzen ließ. Marzena W. sah damals laut eigener Aussage "keinen anderen Ausweg", als sich zu prostituieren. Das wurde ihr zum Verhängnis. Als sie einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellte, befand das Gericht, sie sei nicht "bedürftig". Sie solle doch einfach weiter als Prostituierte arbeiten, denn so der Richter: Prostitution sei schließlich nicht mehr sittenwidrig. Und die Bundesagentur für Arbeit fördere sogar "die Gründung von Ich-AGs für Prostituierte".

Womit der Richter Recht hat. Zwar gibt es die Ich-AG und auch das Überbrückungsgeld seit August 2006 nicht mehr. Doch wer Arbeitslosengeld I bezieht und sich selbstständig machen will, kann heutzutage durch Vorlage eines "Businessplans" bei der Arbeitsagentur einen "Existenzgründungszuschuss" beantragen: auch zur Gründung einer "Existenz" als Prostituierte oder Bordellbetreiber. Wer ALG II bezieht (also Hartz IV) kann - nach Ermessen des Sachbearbeiters - "Einstiegsgeld" für die Freiberuflichkeit bekommen: auch auf dem Strich.

Prostitution war immer schon das Zerrbild der Beziehung zwischen den Geschlechtern. Aber immerhin wurde es früher auch als solches gesehen und manchmal auch benannt oder sogar bekämpft. Inzwischen jedoch ist Prostitution so "normal", dass Amtsrichter sie als Verdienstmöglichkeit empfehlen und Ehemänner ihre Ehefrauen, wie im Berliner Domina-Studio (s.S. 88), als Gelegenheitsprostituierte anbieten.

Neuerdings werden sogar Hausfrauen als "Hobby-Huren" im Internet à la eBay versteigert. Den Zuschlag bekommt der Höchstbietende. Das "erotische Online-Auktionshaus" gesext.de versichert, dass es neben professionellen Prostituierten auch zwischen 600 und 700 Hausfrauen im Angebot habe. Es liegt anscheinend "im Trend", dass Hausfrauen sich auf diese Weise etwas dazu verdienen: "in den eigenen vier Wänden, im Hotel oder auf dem Autobahn-Parkplatz" (laut Angebot). 15 Prozent vom Kaufpreis kassiert der Auktionator - eine wirklich moderne Form von Zuhälterei.

Früher konnte Werbung für Frauenkauf mit Bußgeldern geahndet werden. Das wäre theoretisch auch heute noch möglich, denn im Ordnungswidrigkeiten-Gesetz wurde die Sittenwidrigkeit von Prostitution bislang noch nicht gestrichen. Doch unter Berufung auf das ProstG stellte der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 13. Juli 2006 klar: Es könne nicht mehr von einem gewerblichen Verbot jeglicher Werbung für Prostitution ausgegangen werden; erforderlich sei vielmehr eine "konkrete Beeinträchtigung von Rechtsgütern der Allgemeinheit, namentlich des Jugendschutzes".

Und was ist mit dem Schutz der Frauen, mit denen auf allen Wellen und Kanälen multimedial gehandelt wird? Als sich Ende der 1980er Jahre das HIV-Virus rasant auszubreiten begann, bestanden deutsche Prostituierte zunehmend auf Kondome. Auch damit ist dank ProstG vorbei.

Beispiel Berlin: Für ihre Diplom-Arbeit über den ‚Zwang zu immer ungeschützteren Praktiken in der Prostitution' hat die Berliner Sozialarbeiterin Claudia Cohn in einer einzigen Ausgabe des Stadtmagazins Tip 72 Anzeigen gezählt, die den im Fachjargon des Rotlichtmilieus mit "französisch total" oder "tabulos" umschriebenen Sex ohne Kondom offerieren. Was ein Todesurteil sein kann. Für die Prostituierten - wie für die Ehefrauen bzw. Freundinnen, von den Freiern selbst ganz zu schweigen.

Seit der rot-grünen Prostitutionsreform sind anscheinend alle Dämme gebrochen. Es gibt keine Hemmungen mehr, keine Scham - und keinen Schutz. Eine 22-jährige Berliner Prostituierte, schreibt Claudia Cohn, wirbt in Tip regelmäßig mit der Bereitschaft, Freier nicht nur in ihren Mund urinieren zu lassen, sondern auch den Kot zu schlucken. Cohn zitiert seitenweise solche Inserate. Zum Beispiel: "Sexhungriges, hemmungsloses Dreilöcher-Fickpaket will von Dir richtig hart gefickt werden. Ich verwöhne Dich total tabulos, anal, Gesichtsbesamung, Zungenküsse! Bums mich richtig wund, in Muschi, Arsch und Mund."

Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um total ausgelieferte, hilflose Opfer von Frauenhandel, sondern um Prostituierte, "die freiwillig ihre Tätigkeit anbieten", wie es im ProstG heißt. Zwangsprostituierte und Ausländerinnen ohne Aufenthaltsrecht - die die Hälfte bis zwei Drittel der 250.-400.000 Prostituieren in Deutschland ausmachen - sind von ProstG eh nicht betroffen, da sie illegal tätig sind.

Das ProstG wurde am 19. Oktober 2001 im Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen, PDS und FDP verabschiedet. Grüne und PDS hätten die so genannte "freiwillige Prostitution" im Gesetzestext gerne ausdrücklich als "Beruf" anerkannt. So weit wollte die SPD dann doch nicht gehen. Die BefürworterInnen des Gesetzes reden seither nie von den Nachteilen, aber viel von den Vorteilen.

Es stimmt: Prostituierte dürfen seit dem 1.Januar 2002 ihr "Entgelt" von zahlungsunwilligen Freiern vor Gericht einklagen. Allerdings: Bisher ist bundesweit nur eine Hand voll zivilrechtlicher Prozesse dieser Art bekannt geworden. Es stimmt: Um Prostituierten den Zugang zur Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung zu ermöglichen, sind seit nunmehr fünf Jahren auch Arbeitsverträge im Rotlichtmilieu erlaubt. Allerdings: "Die Zahl der Anmeldungen von Prostituierten als Arbeitnehmerinnen tendiert gegen Null", melden Bundesversicherungsanstalt und Krankenkassen.

Eigentlich sollte die Bundesregierung nach Ablauf von drei Jahren dem Bundestag über die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes berichten. Mit der Untersuchung wurde das ‚Sozialwissenschaftliche Frauenforschungsinstitut der Kontaktstelle praxisorientierte Forschung e.V. Freiburg' (SoFFI K.) beauftragt. Auf seiner Homepage teilte das Institut bereits im Sommer 2005 mit, die Studie sei fertig. Veröffentlicht ist sie bis heute nicht. Doch EMMA liegt sie vor. Die Erhebungsbasis ist mager, sehr mager, und die Forscherinnen scheinen im Vorhinein dem Gesetz eher zugeneigt zu sein. Dennoch bescheinigen auch sie ihm "einen geringen Wirkungsgrad".

Von 305 mit schriftlich verbreiteten Erhebungsbögen - zum Großteil via Internet (Wo niemand kontrollieren kann, wer wirklich geantwortet hat) - befragten "Prostituierten" gaben nur vier an, von einem Freier ihr Honorar eingeklagt zu haben; bei den 20 persönlich befragten keine einzige. Einhellige Meinung der Prostituierten: Die zivilrechtliche Klagemöglichkeit ist völlig überflüssig, da in der Prostitution Vorkasse üblich ist. Außerdem ist im Rotlichtmilieu Anonymität angesagt. Meist sind nur die Vornamen der Freier bekannt.

Lediglich drei der insgesamt 325 Prostituierten gaben an, einen Arbeitsvertrag zu haben. Nur 17 Frauen ohne Festanstellung hätten gerne eine, das Gros bevorzugt "Selbstständigkeit". Denn, so eine Prostituierte: "Okay, du kriegst einen Arbeitsvertrag, aber dafür musst du dann französisch total machen." Wenn das "der Preis für soziale Absicherung" sei, verzichte sie lieber darauf.

An die "Betreiber und Betreiberinnen" - also Zuhälter und Bordelliers - wurden 120 Fragebögen "ausgegeben": Rücklauf 22. Mit zehn "BetreiberInnen" führten die Frauenforscherinnen persönliche Interviews. Von repräsentativ kann also auch hier keine Rede sein. Dennoch zeichnet sich das gleiche Bild ab wie bei den Prostituierten. Nur in einem der 32 Betriebe war "auf Wunsch" eine Festanstellung im Sinne des ProstG möglich. Hauptargument der Arbeitgeber gegen Arbeitsverträge: "Es rechnet sich betriebswirtschaftlich nicht."

Die Club- und Puffbesitzer verlangen 150 Euro am Tag für ein Zimmer (und oft mehr), beschwert sich eine Prostituierte in der Studie: "Ohne Essen, ohne Trinken, reine Miete. Das ist sittenwidrig. Aber dagegen wird nichts gemacht." Im Gegenteil, die Ausbeutung von Prostituierten wird durch das Gesetz sogar noch gefördert.

Das ProstG ist nämlich gar nicht so wirkungslos, wie das Freiburger Frauenforschungsinstitut behauptet. Es hat die rechtliche Situation von Bordellbesitzern und Zuhältern verbessert! Um Loddel und Luden, Bordellieren und Puffmütter zu "entkriminalisieren", strich Rotgrün ersatzlos den Strafrechtsparagraphen "Förderung der Prostitution" (§180a StGB) - und damit auch eine Zugriffsmöglichkeit gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution via Razzien in Bordellen und einschlägigen Wohnungen.

Seit das ProstG in Kraft ist, beschweren sich PolizistInnen aus Menschenhandelsdezernaten darüber, dass mit dem Wegfall der Strafwürdigkeit von Förderung der Prostitution ein zentraler "Einstiegsermittlungsgrund" genommen worden sei. In der Freiburger Studie allerdings wird kaum geklagt: von nur vier von 20 befragten Polizeidienststellen.

Wenn die Polizei im Milieu "auch nur einen Schritt zur Seite geht, wächst da die Gewalt", warnt Sabine Constabel von der Beratungsstelle für Prostituierte des Stuttgarter Gesundheitsamtes: "Da treffen wir eine Ungarin auf der Straße. Sie ist durchscheinend weiß und sieht aus wie 16, ihr Begleiter ist um die 50. Sie kann nur drei Wörter auf Deutsch: ‚20 Euro' und ‚Ficken'. Wir sehen auf den ersten Blick: Wir haben hier einen ganz klaren Fall von Zwangsprostitution vor uns. Früher hätte die Polizei mit dem Anfangsverdacht ‚Förderung der Prostitution' ermitteln können. Heute kann sie das nicht mehr."

Auch die Anwältin Gabriele Welter-Kaschub, die im Auftrag der Hilfsorganisation Solwodi Zwangsprostituierte vertritt, findet die Folgen der Strafrechtsänderung schlicht katastrophal. In der Solwodi-Studie über ‚Probleme der Strafverfolgung und des Zeuginnenschutzes in Menschenhandelsprozessen' warnt die Juristin: Ohne den Ermittlungsgrund Förderung der Prostitution hätten die meisten ihrer Mandantinnen keine Chance auf Befreiung aus Bordellen und Betreuung durch Opferschutzorganisationen gehabt.

Eine Gesetzgebungsinitiative des Bundesrates, in dem von der CDU/CSU regierten Bundesländer die Mehrheit haben, fordert seit März 2006 die Wiedereinführung der Strafbarkeit der Förderung von Prostitution. Denn trotz des Strafbestandes der "dirigistischen Zuhälterei", den Rotgrün statt des abgeschafften Kuppeleiparagraphen ins Strafgesetzbuch einführte, habe die Rechtsprechung seit dem Inkrafttreten des ProstG skandalöse Schikanen von Bordellbesitzern gegen Prostituierte nicht mehr beanstandet, beklagt das Justizministerium in München: weder "Nacktgebote im Kontaktraum" und "Videoüberwachung in den allgemein zugänglichen Räumen" noch "lange Arbeitszeiten, Taschenkontrollen und Strafgelder bei Nichteinhaltung der durch den Bordellier vorgegebenen Regeln".

Da Prostitution neuerdings von der deutschen Rechtsordnung als "sexuelle Dienstleistung" gebilligt wird, lässt sich juristisch offenbar nur schwer unterscheiden, was "zu tolerierendes Weisungsrecht" oder "dirigistische Fremdbestimmung" ist. Das müsste in einem neuen Gesetz genauer definiert werden.

Bundesfamilien- und -frauenministerin Ursula von der Leyen (CDU), die das Prostitutionsgesetz als Altlast von ihren Vorgängerinnen Christine Bergmann und Renate Schmidt (beide SPD) geerbt hat, scheint mit der Freiburger Studie nicht zufrieden zu sein. Sie gab im Herbst zwei Zusatzgutachten in Auftrag: das eine über "rechtssystematische und rechtsethische" Fragen, das andere über die "Fragenkomplexe der Kriminalitätsbekämpfung und der Ausstiegsmöglichkeiten". Die Studie will von der Leyen erst veröffentlichen, wenn die beiden Gutachten vorliegen.

EMMA wollte über die Ausstiegsmöglichkeiten schon jetzt mehr wissen - und lief gegen Wände. In einer Fachberatungsstelle des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF) hieß es: "Wir haben uns einem bundesweiten Verband angeschlossen, und der hat beschlossen, nicht mehr mit EMMA zu reden." (s.S. 104) Eine Prostituierten-Beratung redet ausgerechnet mit der Zeitschrift nicht, die sich seit ihrer ersten Ausgabe unermüdlich für Prostituierte einsetzt? Ganz einfach: Der Dachverband für Beratungsstellen und "Hurenorganisationen" ist pro Prostitution - und diktiert diese Haltung auch allen Einzelorganisationen.

In der so genannten Hurenbewegung sind - wie in der Berliner Gruppe Hydra - vor allem Studentinnen, die als Gelegenheitsprostituierte jobben, aktiv sowie Sozialwissenschaftlerinnen. Sabine Constabel schätzt: "Real sind dort maximal 0,01 Prozent der in Deutschland anschaffenden Frauen organisiert." Trotzdem machen diese 0,01 Prozent die Musik - und sind bisher der einzige Ansprechpartner für staatliche Stellen.

Die von der so genannten "Hurenbewegung" propagierte und vom ProstG festgeschriebene Grenze zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Prostitution ist künstlich. So sieht das auch Detlef Ubben, Chef der Abteilung Menschenhandel beim Hamburger Landeskriminalamt. Er redet Klartext: "95 Prozent aller Prostituierten in Deutschland sind Zwangsprostituierte."

Für Feministinnen ist das alles nichts Neues. Beim Aufbruch der Frauenbewegung Anfang der 1970er Jahre gehörten Prostituierte selbstverständlich dazu. "Schluss mit der Scham!" skandierten sie auf Demonstrationen gegen die Doppelmoral Schulter an Schulter mit Feministinnen. Und Alice Schwarzer schrieb: "Wenn sich hier einer schämen muss, sind es die Käufer und nicht die gekauften Frauen."

In Amerika erschien 1971 der Klassiker ‚Das verkaufte Geschlecht' von Kate Millett, in dem die Feministin klarstellte: "Was die Prostituierte in Wahrheit verkauft, ist nicht Sex, sondern ihre Entwürdigung. Und der Käufer, ihr Kunde, kauft nicht Sexualität, sondern Macht." In England und Norwegen drohten Prostituierte mit der Veröffentlichung von Listen mit Namen prominenter Kunden. In Frankreich besetzten sie aus Protest gegen polizeiliche Willkür Kirchen, zuerst in Lyon und dann im ganzen Land. In Grenoble wagten Prostituierte es 1980 europaweit erstmals, ihre gewalttätigen Zuhälter anzuzeigen. Ein Jahre später folgten ihnen Kolleginnen in Bochum: Sie packten aus gegen die Luden, trotz Todesdrohungen.

Wohl nicht zufällig in dem Moment kam Beistand für Zuhälter und Freier von unerwarteter Seite, nämlich von "Feministinnen". 1980 veröffentlichte die Berliner Soziologin und damalige Gelegenheitsprostituierte Pieke Biermann (heute hauptberuflich Autorin) bei Rowohlt das Buch ‚Wir sind Frauen wie andere auch'. Biermann propagierte darin die Prostitution als Gipfel der Emanzipation und Akt "einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität". Das pseudofeministische Argument - in der Ehe machten Frauen eh die Beine für Haushaltsgeld breit, dann sei es doch besser, als Hure so richtig abzukassieren - ist eine demagogische Verkehrung der feministischen Kritik an weiblicher Abhängigkeit und Forderung nach auch ökonomisch selbstbestimmter Unabhängigkeit für alle Frauen. EMMA reagierte scharf auf die Verharmlosung und Mystifizierung der Prostitution und titelte im November 1980 mit der Frage: "Macht Prostitution frei?" Alice Schwarzer schrieb: "Hier steht nicht etwa die Emanzipation der Huren zur Debatte, sondern die Verhurung der Emanzipation."

Assistiert von dem Berliner Frauenbewegungsblatt Courage, die sich auf Biermanns Seite schlug, wurde nun die linksalternative taz zum Zentralforum der "neuen Geilheit". Mit den Grünen und der PDS zog die "Deutsche Hurenbewegung" ins Parlament. 1996 formulierte sie einen von beiden Parteien unterstützten Gesetzentwurf, in dem es heißt: "Nach Überwindung der mehr als prüden 50er Jahre und der so genannten sexuellen Revolution ist der Weg frei für einen angemessenen Umgang mit den sexuellen Bedürfnissen der Bevölkerung und denjenigen, die die Nachfragen nach sexuellen Dienstleistungen erfüllen." Dazu passt der Begriff von der "Sexindustrie", der von nun an in grünen Papieren grassierte.

Nach der Bundestagswahl 1998 schlossen sich SPD und Grüne zur Regierungskoalition zusammen. Im Mai 2001 leitete die Koalition das Gesetzgebungsverfahren für das am 1.Januar 2002 in Kraft getretene ProstG ein. Nachdem es am 19. Oktober mit den Stimmen von SPD, Grünen, PDS und FDP verabschiedet worden war, knallten im Bundestag die Sektkorken. Prickelnde Stimmung im Reichstag, ganz wie auf den "Hurenbällen" der Berliner Hurengruppe Hydra, auf denen die Prominenz so gerne tanzt.

"Ein großer Tag für die Demokratie", schwärmte die grüne Frauensprecherin Schewe-Gerigk, und SPD-Frauenministerin Christine Bergmann freute sich: "Endlich erhalten Prostituierte den überfälligen, sozialen rechtlichen Schutz." Schön wär's gewesen. Die Spitzenpolitikerinnen stießen aufgeräumt für die Presse mit der Berliner Bordellbetreiberin Felicitas Weigmann an.

"Wem nutzt das ‚Huren-Gesetz'?" fragte EMMA (1/02) nach der katastrophalen Entscheidung. Den Prostituierten jedenfalls nicht, prophezeiten wir schon damals. Leider sollten wir recht behalten.

Im Sommer 2006 besuchten Caroline Sheldon und Craig Conway von der US-Botschaft in Berlin die EMMA-Redaktion in Köln, um sich über unsere Einschätzung zu den Auswirkungen der deutschen und holländischen Prostitutionslegalisierung zu informieren. Die Diplomaten legten dar: "Die US-Regierung lehnt die Prostitution und alle mit ihr in Verbindung stehenden Aktivitäten als Faktoren ab, die zum Menschenhandel führen." Ein Jahr zuvor hatte Ambassador John R. Miller, Leiter der ständigen Abteilung zur Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel im US-Außenministerium, bei EMMA telefonisch angefragt: "Was ist eigentlich in Deutschland los?" Das fragt man sich längst auch in Schweden oder Frankreich.

Scheinbar freiwillig oder offen erzwungen - in Schweden gilt jede Art von Prostitution als sexuelle Gewalt. Darum drohen Freiern Geld- und Gefängnisstrafen. Beim schwedischen Anti-Freier-Gesetz, das im Januar 1999 in Kraft trat, steht allerdings nicht der Bestrafungsgedanke im Vordergrund, sondern das Unrechtsbewusstsein. Die Botschaft ist angekommen. 80 Prozent aller Schweden, Frauen wie Männer, so das Ergebnis einer landesweiten Umfrage, finden: Prostitution muss abgeschafft werden!

Nicht nur Deutschland, auch Holland, das die Prostitution im Oktober 2000 legalisiert hat, fehlt das Unrechtsbewusstsein für die "weiße Sklaverei". Bei einem internationalen Hearing der grünen EU-Fraktion im Februar 2003 in Brüssel wurde gespottet: In den 1950er und -60er Jahren sei Schweden für Niederländer das Land der "sexuellen Freiheit und Gleichheit" gewesen, aber inzwischen seien die Schweden ja "prüde und puritanisch" geworden.

Deutschland dagegen gibt sich libertär. Die Berliner Verkehrsbetriebe werben auf ihren Bussen für das pünktlich zur Fußball-WM eröffnete ‚Artemis', Berlins größtes Bordell "mit Wellness-Oase" für "maximal 100 Prostituierte und 600 Gäste". Kommentar einer KVB-Sprecherin zum Protest gegen die Puff-Werbung: "Wir sind schließlich nicht die Sittenpolizei." Mit 230.000 Euro sponserte die Stadt Weinheim die Sanierung einer alten denkmalgeschützten Mühle zum "Megabordell". Auch in Marburg zeigte sich der Magistrat dem Bau eines neuen Großbordells gegenüber aufgeschlossen: Erst eine Bürgerinitiative machte die Behörden darauf aufmerksam, dass gar keine Baugenehmigung vorlag. Schließlich genehmigten Oberbürgermeister und Magistrat das Bordell, obwohl einer der vorgesehenen Betreiber ein verurteilter Menschenhändler ist.

Protest regt sich weniger aus der Politik, sondern aus der Bevölkerung. Gerade haben sich die örtlichen Bürgerinitiativen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen (www.NW-gegen-Ausbeutung-in-der-Prostitution.de).

In Köln kämpft seit zwei Jahren ein Häuflein Frauen gegen "sexistische Werbung im Stadtbild". Die von der Gleichstellungsbeauftragten Christine Kronenberg initiierte Antisexismus-AG hat schon lange die Taxi-Reklame vom Pascha im Visier. Die Kölner Taxi-Unternehmen fördern damit die Prostitution, klagt Kronenberg. Zumal auf dem Rücksitz, wo die Pascha-Visitenkarten liegen, oft auch Kinder sitzen. "Damit setzt sich in deren Köpfen sehr früh fest: Frauen sind Ware, und Prostitution ist okay."

Wohl wahr. "Zuhälter auf dem Schulhof" prangte am 4. April 2006 als Titel über einem Artikel des Kölner Stadt-Anzeigers. Der berichtete über die letzte Schulwoche der AbiturientInnen im Apostel-Gymnasium: Diese Tage hätten sie besonders gestaltet, jeden Tag eine andere Verkleidung und der "Höhepunkt am Mittwoch mit Nutten auf BMW-Motorhauben nebst mit Gold behängten Zuhältern". Das habe einen "durchschlagenden Effekt beim Lehrpersonal und den jüngeren Schülern" gehabt, freut sich die Tageszeitung. Wie schön.

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