Der irritierte Mann

SZ-Autor Tobias Haberl.
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Es ist eine lästige Tradition, dass Männermagazine alle paar Jahre den „neuen Mann“ ausrufen: Mal ist der androgyne Mann gefragt, schmal und sensibel, dann wieder der athletische, muskulös, mit breiten Schultern. Mal sollen Männer reflektiert und nachdenklich sein, dann wieder verwegen und draufgängerisch. Mal sollten sie wissen, wie man einen Windsorknoten in eine Krawatte bekommt, dann wieder ist der Look des „Apple Guy“ gefragt: enges T-Shirt, Superslim-Wollpullover, Sneakers und Smartwatch. Die Modeindustrie lebt von diesen Trends. Irgendwie müssen sich die Kapuzenpullover und Holzfällerhemden, die Rasiergels und Fitnessgeräte ja verkaufen.

Nichts wäre überflüssiger, als am Ende dieses Buches „den neuen Mann“ auszurufen. Warum? Weil Männer alles auf einmal sind. Die einen hocken im Chefsessel, die anderen lungern vor dem Fernseher herum. Die einen feiern im Vereinsheim, die anderen im VIP-Club. Die einen schauen ARTE, die anderen Hardcore-Pornos. Manche werden nervös, wenn eine Frau beim Bäcker neben ihnen steht, andere sammeln sie wie früher Apachen die Skalps von weißen Siedlern.

In den Städten stellen junge Männer Männlichkeit als Konzept infrage, auf dem Land spielen sie – natürlich ohne Frauen – Schafkopf im Wirtshaus. Die einen sind süchtig nach Börsenkursen, die anderen nach Anerkennung. Die einen sind genervt vom ständigen Cis-Mann-Gerede, andere unterstützen den Feminismus, die meisten kriegen die Debatte gar nicht mit.

Wie Männer sein sollten? Vor allem anständig, finde ich. Verantwortungsbewusst. Humorvoll. Neugierig. Sie sollten ein großes Herz haben. Aber auch Stolz. Eine Art Bewusstsein, für die anderen, aber auch für sich selbst, für ihr Geschlecht, für die Männer, die vor ihnen versucht haben, gute Männer zu sein. In den nächsten Jahren werden sie vor allem Gelassenheit brauchen, auch Selbstironie und Mut, sich stärker in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Perspektive immer wieder zu überdenken und zu erweitern. Nur dann wird es ihnen gelingen, ihre innere Zerrissenheit zu überwinden, oder noch besser: produktiv zu nutzen, nur dann werden sie es schaffen, ihre Männlichkeit immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und anzupassen, kurz: den Helden nicht zu spielen, sondern ganz selbstverständlich einer zu sein, jeden Tag und ohne Applaus.

Der Mann des 21. Jahrhunderts muss scheinbar widersprüchliche Eigenschaften in sich vereinen, er sollte sensibel, hellhörig und feinfühlig, aber auch stark, selbstbewusst und mitreißend sein, ein liebevoller Partner, ein verantwortungsbewusster Vater, ein rücksichtsvoller Mitmensch, im Job temperamentvoll und kreativ, ohne sich zu Tode zu arbeiten oder andere zu unterdrücken, im Leben gesundheitsbewusst und ökologisch korrekt, ohne zum Jasager zu verkommen. Vor allem muss er aufbrechen in eine Welt, die auch für ihn angenehmer sein könnte als die, an die sich manche so verzweifelt klammern. Eine Gesellschaft, in der Männer leise und laut, zart und hart, solidarisch und individuell sein können und es nicht mehr nötig haben, andere zu bewerten oder zu bevormunden.

Ich fände es schön, wenn wir, nachdem wir so lange darüber gesprochen haben, was fragmentierte Identitäten voneinander trennt, allmählich wieder in den Blick nähmen, was uns verbindet: Nämlich, dass wir alle Menschen des 21. Jahrhunderts sind, vor denen extreme Herausforderungen liegen.

Ich habe dieses Buch auch deshalb geschrieben, weil gewaltige Umwälzungen, ja ein umfassender Paradigmenwechsel auf uns warten: Klimawandel, Rechtsruck, digitale Überwachung, künstliche Intelligenz, um nur die naheliegendsten zu nennen. Männer und Frauen sollten endlich begreifen, dass sie die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam bewältigen können.

Wir werden den Verstand und das Herz jedes Einzelnen brauchen, vom CSU-Abgeordneten im Trachtenjanker bis zur non-binären Netzaktivistin, wenn wir unsere Lebensart gegen ihre Feinde verteidigen wollen, die viel erbarmungsloser sind als ein paar weiße Cis-Typen, die sich einen Tick zu dufte finden. Wir werden nicht kleinliche und verbohrte, sondern selbstbewusste und souveräne Frauen und Männer brauchen, die in der Lage sind, kluge Ideen kraftvoll umzusetzen.

Natürlich geht es nicht ohne Verteilungskämpfe, wenn sich Kräfteverhältnisse verschieben, wenn die einen Macht abgeben müssen und die anderen mehr Macht bekommen. Aber wir sollten darauf achten, sie fair zu führen – mit Empathie und Verantwortungsbewusstsein. Ich fände schön, wenn es den Feminismus eines Tages nicht mehr bräuchte, weil Männer und Frauen (und alle anderen Identitäten) sich nicht mehr daran erinnern können, dass sie mal gegeneinander gekämpft haben, wenn alle in gegenseitiger Wertschätzung neben- und miteinander leben, wenn es keine Hashtags und Respektsbekundungen mehr bräuchte. Ich träume davon, dass es keine Rolle spielt, wer man ist, woher man kommt und wie man aussieht: Frau mit Dreitagebart, Mann mit Fußkettchen, non-binärer Stahlbetonbauer, Transperson mit Slayer-T-Shirt – alles egal, alles wertvoll, alles Menschen. Oder wie Hajo Schumacher schreibt: „Die Unterschiede zwischen toleranten Menschen und ihren Gegnern sind größer als die zwischen Hodensack und Eierstock.“

Auf die Frage, wie der Mann von heute sein sollte, hat Alice Schwarzer mal gesagt: „Er sollte seine Macht, welche auch immer, nicht missbrauchen. Generell gegenüber Menschen nicht. Er sollte empathiefähig sein. Und nach fünfzig Jahren neuem Feminismus würde ich auch erwarten, dass er ein Bewusstsein hat für die strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, die noch immer existieren. Er sollte versuchen gegenzusteuern, sich subjektiv bemühen, kein Komplize der Männergesellschaft zu sein. Gleichzeitig verstehe ich, wenn er kein feministischer Held ist. Er sollte sich und uns nichts vormachen. So wie wir uns alle nichts vormachen sollten: Wir werden nicht in fünfzig Jahren Frauenbewegung 5.000 Jahre Patriarchat ungeschehen machen. Aber wir sind auf dem Weg, trotz aller Rückschläge.“

Auch ich bin auf diesem Weg. Er ist alles auf einmal: interessant und schmerzhaft, befreiend und anstrengend, langwierig und aufregend. Manchmal scheint sein Ziel weit weg, dann wieder ganz nah. Es lautet: kein moderner Mann, sondern ein guter Mensch zu sein.

Auszug aus: „Der gekränkte Mann. Verteidigung eines Auslaufmodells“ (Piper, 22 €)

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