"Frau Ministerin, handeln Sie!"

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Die Frau im Business-Kostüm legt wortlos das Geld auf den Tisch, dann macht sie es sich breitbeinig auf dem Bett bequem. Der junge Mann weiß, was er zu tun hat: Er kniet sich hin und befriedigt seine Kundin oral. Dann kommt die nächste. Und die nächste. Und die nächste. Schließlich fragt eine Männerstimme: „Wenn ich zehnmal am Tag Sex mit einem fremden Menschen haben müsste, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen – ab wann würde ich anfangen, mich schlechtzu fühlen? Sicher schon beim ersten Mal.“ Und dann: „Prostitution ist eine Form von Gewalt und Unterdrückung. Ich weigere mich, ein Teil davon zu sein. Und du?“

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„Time for a change of perspective“ – Zeit für einen Perspektivenwechsel. So lautet der Titel dieses anderthalbminütigen Spots, den die „European Women’s Lobby“ in 28 Sprachen auf ihre Website gestellt hat. „Wir wollen, dass die Betrachter sich selbst an die Stelle einer Prostituierten versetzen“, erklärt der belgische Macher des Clips, Patric Jean. Sein Ziel: „Dass die Männer Stellung beziehen.“ Das können sie, indem sie die Petition auf der Kampagnenseite unterzeichnen und erklären, „das System Prostitution nicht zu unterstützen“. Und weiter: „Wir fordern von lokalen, nationalen und europäischen Politikern, Maßnahmen für ein Europa ohne Prostitution zu ergreifen!“

„Together for a Europe Free from Prostitution“ heißt die Kampagne, die die „European Women’s Lobby“ bereits 2006 gestartet hatte. Mit dem neuen Spot, der sich „viral“, also durch massenhaftes Weiterschicken übers Internet verbreiten soll, zündete der Dachverband von 2 500 Frauenorganisationen aus 30 Ländern im Juni 2011 die nächste Stufe. Und trug aus diesem Anlass noch einmal die bekannten Fakten aus Studien zusammen, die den lässigen deutschen Spruch von der Prostitution als „Beruf wie jeder andere“ als Mythos entlarven. 95 Prozent der Frauen in der Straßenprostitution sind drogenabhängig. 75 Prozent aller Prostituierten trinken während ihrer Arbeit oder nehmen Drogen. Zwei von drei Prostituierten leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, die denen von Folteropfern gleichen. Neun von zehn Frauen würden aussteigen, wenn sie könnten.

Ein Europa ohne Prostitution? Was noch vor wenigen Jahren schwer vorstellbar schien, weil der Trend zur Liberalisierung und Verharmlosung ging, wird inzwischen europaweit diskutiert. Angesichts der erschreckenden Erfahrungen der Länder, die die Prostitution vollständig legalisiert haben, schlägt das Pendel um. Ein „nationaler Irrtum“ sei die Legalisierung gewesen, erklärt Lodewijk Asscher, Bürgermeister von Amsterdam. Er kennt die traurige Bilanz, die Holland elf Jahre nach der Liberalisierung der Prostitution vorzuweisen hat: 90 Prozent aller „legalen“ Prostituierten arbeiten laut einer Studie „unter Zwang“.

Die Hoffnung, dass Freier, die einen Verdacht auf Zuhälterei und Frauenhandel anonym melden können, dies auch tun, hat sich als Luftnummer erwiesen. Rund 220 000 Freier pro Jahr kaufen im Amsterdamer Rotlichtviertel De Wallen die Dienste von Prostituierten, die Zahl der anonymen Anzeigen liegt bei rund 50, das sind 0,025 Prozent.

Die niederländische Politik diskutiert nun darüber, wie man die kriminellen Auswüchse, die die Liberalisierung im Jahr 2001 angeblich bekämpfen sollte, mit schärferen Kontrollen in den Griff bekommen könnte. Bürgermeister Asscher reicht das nicht: Er fordert jetzt eine Bestrafung des Frauenkaufs nach dem schwedischen Modell.

Für diesen Weg hat sich auch die französische Nationalversammlung entschieden. Einstimmig beschloss sie am 6. Dezember 2011, dass der Frauenkauf in Frankreich künftig eine Straftat sein soll und folgte damit den Empfehlungen einer parlamentarischen Kommission. Die war zuvor ein halbes Jahr lang auf Spurensuche im Prostitutionsmilieu gegangen, hatte mit Prostituierten, Hilfsorganisationen, Polizei und Juris tInnen gesprochen und am 13. April ein klares Ergebnis vorgestellt: „Wo Prostitution legalisiert wurde, ist der Menschenhandel explodiert.“ Die Forderung für Frankreich: Männer, die Frauen (oder Männer) kaufen, sollen mit 3 000 Euro Geldbuße bzw. einem halben Jahr Gefängnis bestraft werden.

Norwegen hatte das Modell seiner  schwedischen Nachbarn ohnehin schon 2009 übernommen, Island ebenfalls, und selbst das Macholand Spanien hat im Sommer 2011 einen Anfang gemacht: Dort empfiehlt der Consejo de Estado, ein Expertengremium der Regierung, ein Verbot der frauenverachtenden Kontaktanzeigen für Prostitution in der Presse. „Ein seriöses Medium kann nicht einerseits für die Gleichstellung der Frau eintreten und andererseits seine Zeitungsseiten für Anzeigen zur Verfügung stellen, in denen Frauen dargeboten werden wie ein Stück Fleisch.“ Die spanische Gleichstellungsministerin Bibiana Aído bestätigte: „Diese Kontaktanzeigen sind eine Schande!“

Während also andere europäische Länder handeln oder zumindest eine Debatte darüber führen, was Prostitution für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern bedeutet, herrscht in Deutschland Schweigen. Dabei ist längst klar, dass die fatale Reform des Prostitutionsgesetzes, die in Deutschland auf Betreiben der Grünen und mit Zustimmung der SPD im Jahr 2001 verabschiedet wurde, keineswegs den Prostituierten, sondern ausschließlich den Bordellbetreibern, Zuhältern und Menschenhändlern genutzt hat. Deutschland ist seither nach internationaler Einschätzung, zusammen mit Holland, zur europäischen Drehscheibe für den Menschenhandel geworden.

Die Folgen waren absehbar. EMMA hat lange vor der Verabschiedung des Gesetzes immer wieder davor gewarnt. Vergebens. Die Lobbys der Zuhälter und Menschenhändler trugen den Sieg davon: Eine jubelnde rot-grüne Regierung feierte ihr Gesetz, das, wäre es nach den Grünen gegangen, Prostitution zum „Beruf wie jeder andere“ erklärt hätte. „Alles ist käuflich und verkäuflich: körperliche und geistige Arbeitskraft, Ideen, Kreativität, Engagement. Was hindert dann – in dieser Logik – anzuerkennen, dass eben auch Sexualität käuflich und verkäuflich ist?“

Das hatten die Grünen schon 1990 auf einem Hearing mit dem Titel „Beruf: Hure“ gefragt. Und vorgeschlagen, Prostitution zu einem „staatlich anerkannten Beruf mit Ausbildungsrichtlinien zu machen.“ So weit wollte die SPD dann doch nicht gehen. Dennoch begab sich Deutschland mit seinem Prostitutionsgesetz auf einen „Sonderweg“, der im Ausland mit Befremden und Fassungslosigkeit betrachtet wird.

Jetzt aber melden sich diejenigen, die mit den Folgen des Gesetzes vor Ort zu kämpfen haben. Zum Beispiel Baden-Württemberg, das im Mai 2010 eine Bundesrats-Initiative für eine Reform der Reform startete. „Die mit der Legalisierung der Prostitution notwendigerweise einhergehende Reduktion polizeilicher und ordnungsrechtlicher Eingriffsmöglichkeiten birgt für Prostituierte nicht hinnehmbare Gefahren für Leben, Gesundheit und körperliche oder seelische Unversehrtheit. Die bestehenden Ermächtigungsgrundlagen für Polizei und Ordnungsbehörden reichen nicht aus, um Prostituierte vor menschenunwürdiger Behandlung zu schützen und ein effektives präventives, aber auch repressives Vorgehen gegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Schwarzarbeit zu gewährleisten“, klagte man in Stuttgart. Und forderte zur besseren Kontrolle eine Genehmigungspflicht für Bordelle und eine Meldepflicht für die Prostituierten.

Baden-Württemberg machte auch auf einen entscheidenden Punkt aufmerksam, den die rot-grüne Koalition bei der Reform des Prostitutionsgesetzes, die im Januar 2002 in Kraft trat, geflissentlich ignoriert hatte: „Es besteht ein erhebliches Machtgefälle zwischen Zuhältern und Bordellbetreibern auf der einen und Prostituierten auf der anderen Seite.“ Das verhindere „grundsätzlich sowohl die Bildung angemessener Marktpreise als auch zumutbarer Arbeitsbedingungen“.

Der Bundesrat nahm die Initiative an, beauftragte also die Bundesregierung, sich mit den Vorschlägen aus Baden-Württemberg zu befassen. Nichts passierte. Dabei hatte schon 2007 die damalige Bundesfrauenministerin von der Leyen eine „Trendwende“ in der Prostitutionspolitik angekündigt, nachdem eine „Evaluation“ des Prostitutionsgesetzes ein Desaster offenbart hatte.

Im November 2010 legte die Innenministerkonferenz nach. Die obersten Polizeichefs aller Bundesländer schlugen ebenfalls Alarm und machten außerdem auf weitere Auswüchse aufmerksam, die durch die gesetzlich sanktionierte Enthemmung eingetreten waren: „Die Innenministerkonferenz betrachtet mit Sorge, dass neben der klassischen Prostitution ein Trend hin zu Flatrate-Clubs und Gang-Bang-Veranstaltungen festzustellen ist.“ Einstimmiges Fazit der Innenminister: „Die bestehende Gesetzeslage ist völlig unzureichend.“ Im April 2011 kündigte Frauenministerin Kristina Schröder endlich einen Gesetzentwurf an. Doch nichts geschah.

Im Juni 2011 schließlich schloss sich auch die Konferenz der Frauen- und Gleichstellungsministerinnen der Länder den InnenministerInnen an und bat „den Bund, eine Initiative zur Schaffung eines Gesetzes zur Regulierung der Prostitution auf den Weg zu bringen.“ Dieses Gesetz, so forderten die Frauenministerinnen ebenso wie die InnenministerInnen, müsse auch „die Schaffung von Ausstiegshilfen“ beinhalten.
Was ist nun, fünf Jahre nach der angekündigten „Trendwende“ und massivem Druck aus den Bundesländern und deren Innen- und FrauenministerInnen, der Stand der Dinge? Auf EMMA-Anfrage heißt es im Frauenministerium: „Die Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen.“ Fehlt etwa auch dieser Ministerin der Mut, sich mit den Prostitutions-LobbyistInnen anzulegen?

Dabei könnte sich Kristina Schröder ein Beispiel an ihrer französischen Kollegin Roselyne Bachelot nehmen. Die konservative Sozialministerin spricht sich klar für das schwedische Modell aus und erklärt: „Wer die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nimmt, unterstützt den Frauenhandel.“ Unterstützung erhält die Ministerin, Mutter eines Sohnes, auch von Männern.

"Zéromacho" heißt das Netzwerk, das sich jüngst mit einem Manifest zu Wort gemeldet hat: „Für uns ist Sexualität vor allem eine Beziehung zwischen Menschen, die in Gleichheit und Respekt vor dem anderen, seiner Freiheit und seiner Lust ausgelebt werden sollte.“ Deshalb fordern die Nullmachos: „Nein zu einer Macho-Kultur, die Sexualität benutzt, um Frauen zu dominieren und zu entwürdigen! Ja zur sexuellen Freiheit und zur Lust, die auf Gegenseitigkeit beruht!“ Mit einem Offenen Brief an alle Abgeordneten der Nationalversammlung plädierten die Zéromachos für einen „effektiven Kampf gegen die Prostitution“.

Einer der Initiatoren von „Zéromacho“ ist übrigens Patric Jean, der Macher des Kampagnen-Spots für die European Women’s Lobby, dessen beeindruckende Dokumentation „La Domination Masculine“ über die Rolle von Prostitution, Pornografie und Werbung in Frankreich für Furore sorgte.

Für den Fall, dass die Abgeordneten der Nationalversammlung nach den Wahlen ihren eigenen Beschluss vergessen haben sollten, hat eine weitere Initiative ankündigt, den Politikerinnen auf die Sprünge zu helfen. Am 8. März lancierte sie den Appell „Abolition 2012“. Darin fordert sie neben der Bestrafung des Frauenkaufs auch Ausstiegsprojekte für Prostituierte und in den Schulen eine „Erziehung zu einer freien Sexualität, die den anderen respektiert und die Gleichheit von Frauen und Männern vermittelt“. Denn für diese Gleichheit zwischen den Geschlechtern „ist die Prostitution ein Haupthindernis“. Getragen wird die Initiative von sage und schreibe 44 Frauenorganisationen, von „Osez le féminisme“ bis zum „Zonta-Club“.

Auch bei der Kampagne der European Women’s Lobby machen 32 Organisationen mit, von der „Kroatischen Frauenliga“ bis zur „Portugiesischen Plattform für die Rechte der Frau“. Eine deutsche Organisation ist nicht dabei.

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