„Die Betroffenen sind wütend!“

Nicola Wedenigg, Ex-Skirennläuferin, hat die Debatte über den sexuellen Missbrauch angestoßen. Foto li: Sebastian Philipp
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Seit dem Offenen Brief von Alice Schwarzer an Annemarie Moser-Pröll steht auch Ihr Telefon wieder mal nicht still. Was ist los?
Das begann ja schon vor dem Offenen Brief, als zwei ehemalige Skirennläuferinnen, darunter Annemarie Moser, ihre Tour begonnen haben. Da fielen sogar die Worte, es sei alles „erstunken und erlogen“. Das hat die Monika Kaserer gesagt, die war auch eine sehr erfolgreiche Kollegin von mir. Und da ist bei mir eine Welle losgegangen. Es haben sich sehr viele Betroffene sexualisierter Gewalt und deren Angehörige gemeldet.

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Und was haben die gesagt?
Na, die sind wütend! Die sind traurig! Viele der Betroffenen haben sich ja erst 2018 erstmals getraut, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Und plötzlich kommt jemand und behauptet, das wäre alles nicht wahr, die lügen alle. Das ist natürlich schrecklich! Das reißt die gerade erst verheilten Wunden wieder ein.

Worum ging es im vergangenen Jahr?
Es gab eine kommissionelle Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen im Zusammenhang mit der Skisportschule Neustift. Die Meldungen sind alle bestätigt und für wahr befunden – aber die Fälle sind juristisch verjährt. Und dann gab es ja auch noch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, da haben anonym zwei Frauen berichtet, dass sie von dem immer noch bekannten Trainer Karl Kahr missbraucht worden seien, die Fälle sind ebenso verjährt. Danach hat Kahr die Süddeutsche verklagt. Auslöser für den jetzigen Rundumschlag war dann eine Gerichtsverhandlung am 10. Jänner, in der Kahrs Klage wegen übler Nachrede gegen eine Skirennläuferin und ihren Mann verhandelt wurde. Der Prozess gegen die Skirennläuferin wurde verloren - und dann hat er auch die Klage gegen die Süddeutsche zurückgezogen. Seither hat Frau Moser erneut damit begonnen, in den Medien zu sagen: Es ist mir nie was passiert und nie etwas aufgefallen.

Warum sagt Annemarie Moser-Pröll das?
Den Spitzensport muss man sich wie ein System mit totalen Tendenzen vorstellen: in sich geschlossen, streng hierarchisch und patriarchalisch regiert. Und da gibt es eben gewisse Strategien, um in diesem System überhaupt zurecht zu kommen. Die einen verhalten sich wie ein enfant terrible. Die anderen bauen um sich herum eine Welt, in der sie nichts anderes als die eigenen Interessen an sich herankommen lassen. Womöglich blendet Annemarie Moser einfach alles aus, was nicht mit ihr selbst zu tun hatte.

Sie haben vor rund zwei Jahren den mutigen Schritt gewagt, Ihr Schweigen zu brechen. Sie haben über Ihre eigene Vergewaltigung berichtet und öffentlich gemacht, dass Sie nicht der einzige Fall sind im österreichischen Skisport. Was ist seither passiert?
Viele außerhalb verstehen ja oft gar nicht, was Skisport in Österreich bedeutet. Das ist ein Nationalheiligtum, wie in Deutschland der Fußball. Auf meine Erklärung folgte deswegen auch erstmal eine Welle der generellen Aufregung. Die Ablehnung war anfangs größer als der Zuspruch. Erst durch das Bekanntwerden so vieler Fälle und die Untersuchungen hat sich das Blatt gewendet. Es ist einfach ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit entstanden, dass der Sport nicht heilig ist.

Inwiefern?
Für potenzielle Täter bietet er ein Umfeld, in dem Missbrauch leichter möglich ist als in anderen Institutionen. Da muss dringend etwas passieren! Wir müssen viel stärker präventiv arbeiten und aufklärerisch. Ich habe zusammen mit Chris Karl deswegen einen Verein gegründet, der #WeTogether heißt. Chris ist forensische Psychologin und in dem Thema sehr erfahren. Unser Ziel ist eine europaweite Vernetzung mit sportspezifischen und sportunspezifischen Organisationen. Und mit Athletinnen und Athleten, die unser Anliegen teilen.

Wie ist denn das Klima in Österreich heute?
Wir sind da in Österreich gespalten. Menschen wie die Annemarie Moser und auch der Toni Sailer sind dermaßene Nationalhelden, dass sich logischerweise viele, viele Menschen mit diesen Sportgrößen identifizieren. Und dann hat ja jetzt auch noch der Brief von Alice Schwarzer für viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Die Kronen Zeitung hat getitelt: „Feministin greift Moser-Pröll an!“ Das Wort Feministin ist in diesen Leserkreisen ein Schimpfwort.

Tatsächlich?
Absolut. Die ganze Sportlandschaft ist patriarchal und autoritär organisiert. Und die Bewahrer dieser Strukturen sind mächtig. Mächtige, alte, weiße Männer. In gehobenen Positionen gibt es ja kaum Frauen. Sie haben also auch kein Mitspracherecht. Ich habe ja selbst 1981 erst durchsetzen können, dass Frauen die Prüfung ablegen können, die sie zur Leitung einer Skischule berechtigt.

Mehr Frauen in die Führungsetagen der Sportverbände – ist das eine Ihrer Forderungen?
Das ist eine zentrale Forderung von uns. Und es gibt ja auch Maßnahmenkataloge zur Prävention von Missbrauch. Es gibt Auflagen. Man müsste die Fördergelder der Verbände daran knüpfen, dass dieser Kodex eingehalten wird. Das genügt. Wenn die kein Geld mehr kriegen, können sie nimmer weitermachen.

Was haben Sie eigentlich selbst gedacht, als Sie den Brief von Alice Schwarzer gelesen haben?
Es ist gut, dass mal eine mit dem Gewicht einer Alice Schwarzer auf den Tisch gehauen hat. Der Kampf, den wir Frauen in diesen Sportstrukturen seit Jahrzehnten führen, ist ja sehr hart.

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

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Alice Schwarzer schreibt

Offener Brief an Moser-Pröll

Foto: Andreas Schaad/Schaadfoto/Imago
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Sie haben in letzter Zeit viel Energie darin investiert, zu beteuern, dass das mit den Mannsbildern in der Skiwelt ja gar nicht so war, wie manche Ihrer Kolleginnen im Zuge der MeToo-Debatte im vergangenen Jahr öffentlich gemacht hatten. Nämlich, dass so etliche Kollegen, Trainer und Sportfunktionäre ihre Machtposition dazu benutzt hätten, junge Skiläuferinnen zu bedrängen, ja zu vergewaltigen – wie es nun unter anderem über den Skihelden und Mädchenschwarm Toni Sailer öffentlich wurde (und wohl schon damals bei der Polizei aktenkundig war).

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Sie aber wollen von alldem nichts gewusst und auch nie etwas gemerkt haben. Und Ihnen selber ist sowieso nie etwas passiert. Wenn das wirklich so wäre, das wäre schön. Für Sie.

Was Ihre Kolleginnen da über die Zustände in den Trainingslagern zu berichten haben, bezeichnen Sie in der Tiroler Tageszeitung als „üble Nachrede“. Ihnen tun „die Männer langsam leid“. Denn Sie finden: „Unsere Helden sollen auch unsere Helden bleiben!“

Ja, gewiss, es ist schwer, von Helden Abschied zu nehmen. Das geht nicht nur Ihnen so. Aber es ist offensichtlich noch schwerer, die Wahrheit zu sagen. Oder haben Sie ein so schlechtes Gedächtnis bzw. eine so blühende Fantasie?

Ich jedenfalls weiß, dass Sie lügen! Denn Sie sagen in dem Interview auch ­Folgendes: „Als ich 1971 an die Weltspitze fuhr, bekam ich jeden Monat von Alice Schwarzer einen Brief. Sie suchte Prominente, damit sie in Sachen Gleichberechtigung unterstützt wird.“

Ich habe es seit Jahrzehnten mit Projektionen, Unterstellungen und Diffamationen zu tun. Und ich weiß, dass in keinem Bereich so viel gelogen wird wie in dem Bereich der Sexualgewalt. Aber ich käme gar nicht mehr zum Leben, wollte ich all das immer richtigstellen. Doch diesmal muss es sein. Sie lügen einfach zu dreist.

Denn erstens ist es nicht meine Art, „Prominenten“ zu schreiben, damit sie meine Sache unterstützen. Und zweitens und vor allem war ich 1971 ganze 28 Jahre alt, lebte in Paris und hatte gerade erst gelernt, dass man Feminismus mit F schreibt.

Und außerdem kannte ich Sie überhaupt nicht. Da ich mich wenig für Sport – und schon gar nicht für Skisport – interessiere, hatte ich keinen Schimmer, wer da an der „Weltspitze“ über den Schnee rast. Liebe Annemarie Moser-Pröll, Sie kennen sicherlich die Volksweisheit: Wer einmal lügt … Ja, wer einmal lügt.

Alice Schwarzer

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