Mit der ARD zurück in die Fifties

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Gar nicht lachen kann Katja Kullmann ('Generation Ally') über die TV-Serie ‚Bräuteschule‘ (dienstags bis donnerstags, 18.50 Uhr). Sie findet: Die Öffentlich-Rechtlichen fallen damit weit hinter das Niveau der Privaten zurück.

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Kochen ist eine Kunst, deren tiefere Geheimnisse mir seit jeher verschlossen sind. Erst seitdem ich neulich im Internet auf die Website der Bräuteschule stieß, koche auch ich. Weniger am Herd als vielmehr innerlich.
Rein zufällig war ich – weiblich, 35, heterosexuell interessiert, unverheiratet – beim Surfen auf die Homepage der ARD geraten und dort an jenem ungewohnten, etwas groben Wort hängengeblieben: Bräuteschule. Chronisch fasziniert von Perversionen aller Art, klickte ich sofort weiter und sah Bilder von Frauen mit toupierten Haaren in gebügelten Kleidern; ich sah ein Doris Day-Lookalike mit einem Küchenmixer hantieren und las:
„Deutschland in den 50er Jahren. Die Leitbegriffe waren Pflicht, Leistung, Ordnung und Sauberkeit. Besonders für die Frauen: Sie sollten – lächelnd – dafür sorgen, dass der Gatte zufrieden ist und die Kinder sich gut benehmen. Und das, als Hausarbeit noch richtig anstrengend war.“ Na, das haben wir ja glücklicherweise hinter uns, dachte ich und suchte instinktiv nach einem Link zum History Channel oder zu Guido Knopp vom ZDF.
Dann sah ich: Es geht nicht um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Im Frühjahr startet die ARD unter ebendiesem Titel, Bräuteschule, einen postfeministischen Feldversuch: Zwölf Frauen sollen zwei Monate lang vor Kameras ihre hausfraulichen Talente erproben, in einer von der Außenwelt abgeschnittenen Umgebung. Die Ausstrahlung ist für den Herbst geplant. Ähnlich wie bei Schwarzwaldhaus 1902 oder Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus, deren Teilnehmer ohne Strom und Heizung darbten, geht es in der Bräuteschule 1956 darum, „während der Drehzeit ohne moderne technische und elektronische Geräte auszukommen“.
Staubsaugen ohne Staubsauger ist jedoch nicht der eigentliche Kitzel. Die Bräuteschule stellt sehr viel mehr in Aussicht: eine doppelte Zeitreise, gleichzeitig rück- und vorwärts. Einerseits wird ein Ausflug in historische Kulisse und längst überwunden geglaubte Zustände versprochen – andererseits bietet das Sendekonzept, ob gewollt oder nicht, einen Ausblick auf die dumpfe Zukunft, die jungen Frauen heute wieder dräut, insbesondere den schlechter ausgebildeten unter ihnen. „Frauen zurück an den Herd“, schoss es mir in den Sinn, hektisch setzte ich ein Bookmark.
Die Parole von den Frauen am Herd ist längst kein ironischer Chauvi-Spruch mehr, sondern mittlerweile wieder gesellschaftliche und politische Diskussionsgrundlage. So verweist der Familien-Experte der CDU, Johannes Singhammer, unermüdlich auf die Notwendigkeit der so genannten Hausfrauen-Ehe. Notwendig sei „eine gewisse Symmetrie für Familien, wo nur ein Partner erwerbstätig ist“. Nebenbei macht der Unionsmann sich für die Verschärfung des Abtreibungsparagraphen 218 stark.
Unterdessen weidet der mediale Mainstream lustvoll das Still- und Fütterglück prominenter Mütter aus und lässt das Publikum wissen, wie schlank man schon zwei Wochen nach einer Geburt sein kann, dank Personal Trainer, Au-Pair-Mädchen und makrobiotischer Ernährung.
„Das Kochen und Backen, Putzen und Nähen bestimmt demnächst Ihren Alltag. Vielleicht sogar Ihre Träume“, las ich auf der Bräute-Seite weiter. „Wollen Sie dabei sein?“ Da rülpste ich drei Mal laut, kratzte mich im Schritt und stellte meinem Computer ein paar Gegenfragen: Is Irony tatsächlich over? Wann schlägt Ironie um in Zynismus? Und ab wann wird Zynismus zur einzig möglichen Haltung?
Frauen sind, bis auf wenige männliche Ausnahmen, noch immer die einzigen in diesem Land, die familiäre Mehrbelastungen auf sich nehmen. Der Väteranteil an der Elternzeit liegt seit Jahren unverändert unter fünf Prozent. Knapp 85 Prozent der selten aussichtsreichen Teilzeitstellen sind von – nicht selten hervorragend ausgebildeten – Frauen besetzt. Hausarbeit ist kein „typisch weiblicher“ Zeitvertreib, sondern ein nie überwundenes Joch für die Frauen und ein vortreffliches Herrschaftsinstrument gegen sie. Hausarbeit spielt sich immer noch im Privaten ab. Hausarbeit ist immer noch politisch. Hausarbeit ist der hartnäckigste Drecksfleck im hintersten Winkel der Frauen-(Selbst-)Unterdrückung. Daran ändern auch die Desperate Housewives nichts.
Verwirrt sendete ich den Link www.daserste.de/braeuteschule an einige befreundete Frauen. Ist das witzig?, wollte ich von ihnen wissen. Nein, antworteten die Frauen, eher im Gegenteil. Eine von ihnen, Uta, vertrat sogar die Auffassung, dass eigentlich der Verfassungsschutz einschreiten müsste. Zunächst hielt ich das für übertrieben. Doch dann stieß ich im downloadbaren Bewerbungsbogen auf folgenden Satz: „Sollten Frauen in allen Belangen gleichberechtigt mit Männern sein?“ Diese Frage rührt in der Tat am Grundgesetz. Artikel 3, für die, die es tatsächlich nicht wissen.
Uta schrieb derweil einen Beschwerdebrief an den ARD-Intendanten Günther Struve. Binnen einer Woche erhielt sie tatsächlich eine Antwort: „Ein zentraler Aspekt der Sendung wird es sein, zu beobachten, wie Frauen von heute mit dem Rollenverständnis von damals zurechtkommen“, erklärte der Intendant. „Im übrigen zeigen die eingegangenen Antworten, dass die Bewerberinnen die Frage durchaus richtig verstanden haben. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Günther Struve.“
Verblüfft stellten Uta und ich fest: Der Backlash hat nun ganz offiziell seine eigene Reality Show, finanziert mit unserem Gebührenanteil. „Zwischen Bohnerwachs und Rock’n’Roll“ inszeniert unser aller Erstes einen Ausflug in die Ära, in der eine Frau noch über eindeutige Perspektiven verfügte: Entweder ordentlich verheiratet sein – oder abschreckendes Beispiel.
Die fortschreitende Frauenverachtung auf dem Bildschirm ist, für sich genommen, nicht überraschend. Die Privatsender haben Misogynie längst zum Programm erhoben, mit Tutti Frutti fing es Ende der 80er an, mit ungezählten Live-Brust-Ops ging es weiter. Inzwischen haben sich zu den 0190er-Ludern und 0190er-Dominas auch 0190er-Omas gesellt, was soll’s. Seit einer Weile erfolgt der Angriff nicht mehr nur aus dem Porno-Lager, sondern auch aus dem Reich der Gardinenstärke, das zeigen Sendungen wie Frauentausch, Bauer sucht Frau, Die Supernanny (die Nachhilfe-Mami).
Brandneu ist hingegen die Tatsache, dass sich nun auch eine öffentlich-rechtliche Anstalt aktiv und unverhohlen am Rückfall in vorfeministische Konzepte beteiligt. Gesamtgesellschaftlich ist dieses Deutschland offenbar wieder reif dafür: Die Frau hat dem Mann zu dienen, als Hure und Heilige. Wenn sie nicht von alleine drauf kommt, wird sie eingesperrt und erzogen.
Einmal angespitzt, bohrte ich weiter und fand heraus: Ausgerechnet drei Frauen zeichnen für die Bräuteschule verantwortlich. Die Redaktion liegt, wie schon beim Schwarzwaldhaus und anderen so genannten Living-History-Formaten, beim SWR in Baden-Baden und wird geleitet von Stefanie Groß, einer renommierten TV-Redakteurin im Dokumentar- und Spielfilmbereich.
Ich beschloss, direkt von Frau zu Frau Kontakt aufzunehmen und überlegte mir ein paar Fragen an Kollegin Groß, etwa diese: Sollten die wenigen Frauen, die es in den Medien in Führungspositionen geschafft haben, ihren Einfluss nicht nutzen, um endlich fortschrittliche Lebens- und Partnerschaftsentwürfe zu befördern, statt augenzwinkernd über den unfreien Alltag der Mütter- und Großmüttergeneration zu witzeln? Und wäre es nicht nützlicher und ulkiger gewesen, statt Living History Living Future zu produzieren und zwölf Männer in ein Camp zu schicken, damit sie endlich lernen, wie sie ihren Dreck alleine wegmachen? Oder handelt es sich bei all dem um eine postfeministische Strategie, die ich einfach nicht verstehe?
Interessiert klopfte ich bei der Bräuteschule-Redaktion an. Leider gab es dort keinerlei Gesprächsbereitschaft, lediglich die Aufforderung, anderen Frauen gefälligst nicht in den Rücken zu fallen und abzuwarten, bis die erste Folge gesendet ist – um dann meine „dummen Vorurteile“ zu überprüfen.
Betrachtet man das Bräuteschule-Projekt mit rasiermesserscharfem Zynismus statt mit vergleichsweise zärtlicher Ironie, tut hier die ARD genau das, wozu sie im Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet ist: Sie kommt ihrem Bildungsauftrag nach, indem sie die jungen Leute von heute auf das vorbereitet, was sie künftig erwartet. Für den weiblichen Teil der Kohorte ist dies zum einen die multimediale Wiederkehr und Affirmation längst erledigt geglaubter Weiblichkeitsfantasien: Botox und Bodenpflege, Stillen trotz Silikon, Jungfräulichkeit bis zur Ehe, aber bitte mit naturgeil rasierter Muschi.
Zum anderen ist es die schleichende Verdrängung vom Arbeitsmarkt. Der Ausbildungsplatzrückgang betrifft nach Angaben des Bildungsministeriums mittlerweile zu 86 Prozent weibliche Bewerberinnen. Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet ungebrochen eine Berufsverteilung „nach typischen Rollenbildern“ bei den jungen Erwachsenen sowie seit einigen Jahren einen auffallend starken „Rückgang in der Ausbildungsbeteiligung junger Frauen“.
Nach den euphorisch gefeierten und nicht minder euphorisch bekämpften Ansätzen einer Libertinage in den 70er und 80er Jahren und nach der androgyn bespaßten Nachwende-Dekade kommt der Medien-Mainstream langsam, aber sicher zurück zu dem, was augenscheinlich immer noch als das Eigentliche gilt: Eine Frau ist eine Frau, und selbige hat ihre ganz ureigenen, ganz natürlichen Veranlagungen, Talente und Pflichten.
Nicht auszuschließen, dass einige junge Frauen diesem subtilen Ruf bereits folgen, insbesondere Frauen ohne Abitur, die Zahlen lassen es befürchten. Ist die Emanzipation hiermit in der Breite erledigt, obwohl Angela Merkel das Land regiert und Monika Lierhaus den Fußball kommentiert?
Bei der Bräuteschule dürfen Frauen im noch formbaren Hauswirtschaftsschülerinnenalter von 17 bis 23 mitspielen. Frauen im wettbewerbsschädlichen Alter von 24 aufwärts hätten sich höchstens als Lehrkraft bewerben können, oder vielleicht als vertrocknete Cousine, die im Hintergrund heult. Für Hausmeisterei, Tanz- und Benimm-Erziehung wurden ausschließlich Männer gesucht. Zur Kandidatinnen-Rekrutierung wurden Presse-Artikel in einschlägigen Organen lanciert, etwa im Mädchen-Magazin Jolie.
Die Produktionsfirma der Show sitzt im katholischen Karnevalsdorf Köln und trägt den optimistischen Namen Lichtblick TV. Drehbeginn sei Ende März, bestätigte man dort telefonisch. Neben Stefanie Groß vom SWR zeichnen Elke Kimmlinger (WDR Mediagroup) als ausführende Produzentin und Susanne Abel als Regisseurin verantwortlich.
Fallen Frauen also tatsächlich Frauen in den Rücken? Wenn ja, welche Frau in welcher Frau Rücken? Können wir alle Freundinnen sein? Und wie war das noch mal mit der Ironie?
In meiner Ratlosigkeit schlug ich bei Marlen Haushofer nach. 1957, also ziemlich genau zur imaginierten Bräuteschule-Zeit, schilderte die österreichische Schriftstellerin in ihrem Tagebuch-Roman ‚Die Tapetentür‘ den Ehe-Alltag einer frisch vermählten Braut: „Als Frau kann man sich äußerlich nur in Ironie und Skepsis retten, die tiefe Beunruhigung bleibt bestehen.“ Darauf waren Frauen also schon vor einem halben Jahrhundert gekommen.
Ich sah ein, dass es so nicht weitergehen kann. Noch ist dieser reaktionäre Schrott nicht gesendet. Noch ist er nicht mal gedreht. Und so zückte ich den Colt aus meinem Hosenbund, legte ihn direkt vor mich auf den Schreibtisch, rief die zornige Uta an, fragte nach der ARD-Adresse und schrieb den ersten Zuschauerinnen-Beschwerdebrief meines Lebens: An Herrn Dr. Günther Struve, Programmdirektion ARD, Arnulfstraße 42, 80335 München. Dann brachte ich den Brief zum Briefkasten und machte mir eine große, runde Dose Ravioli warm.
Katja Kullmann, EMMA 2/2006

Die Autorin veröffentlichte u.a. ‚Generation Ally‘ (Fischer TB) und ‚Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad‘ (Rowohlt TB) – Von ihr in EMMA ‚Zwischen Profit und Sehnsucht‘ (Dossier Schönheitsterror 1/03) und 'Ehrlich gesagt, warst du mir lästig' (1/07)

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