Corona: Chance zum Ausstieg?
Seit einer Woche sind Deutschlands Bordelle dicht. In Stuttgart war man, wie so oft in Sachen Prostitution, ein bisschen schneller. Dort, wo eine rührige Staatsanwaltschaft Großbordellbetreiber Jürgen Rudloff wegen Beihilfe zum Menschenhandel hinter Gitter brachte, mussten Bordelle schon am 13. März den Betrieb einstellen. Was ist seither passiert?
„Als den Zuhältern klar war, jetzt ist der Geldhahn zugedreht, haben sie die Frauen eingepackt und weggefahren“, sagt Sabine Constabel. „Und es zeigt sich, was wir schon lange sagen: Dass hier so gut wie keine Frau ohne Zuhälter gearbeitet hat.“
Die Sozialarbeiterin und Vorstandsvorsitzende des Hilfsvereins „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“ unterstützt seit über drei Jahrzehnten Prostituierte beim Überleben und beim Ausstieg und sagt: „Es sind die Zuhälter, denen schlagartig die Einnahmen wegbrechen. Die Frauen selbst hatten sowieso kein Geld, das müssen sie ja abgeben.“ Und die wenigen, die selbstständig gearbeitet hätten, um das Geld zu ihren Familien zu schicken, „sind ganz schnell nach Hause gefahren. Die waren ja nicht hier, weil es in Deutschland so schön ist und der Job so geil.“
Jetzt wird klar: Kaum eine der Frauen in der Prostitution arbeitet ohne Zuhälter
Jetzt ist das Rotlichtviertel in der Stuttgarter Leonhardstraße ausgestorben. Auch das Café La Strada, in dem Constabel und ihre Kolleginnen die Frauen mit einer warmen Mahlzeit versorgen, hat geschlossen. Die Beratungsstelle im ersten Stock ist aber weiterhin geöffnet.
A propos „geiler Job“. Wir erinnern uns an die Vertreterinnen der Pro-Prostitutionslobby, die in Talkshows das Mantra von der glücklichen Prostituierten herunterbeteten: Prostitution – ein Beruf wie jeder andere, nur, dass der Verdienst so viel besser ist als an der Supermarktkasse? Selbstständig, selbstbestimmt, super! Kein Wort von dem Heer der Armuts- und Elendsprostituierten aus Rumänien und Bulgarien, die inzwischen 90 Prozent der rund 300.000 Frauen ausmachen, die deutschen Freiern zu Diensten sein müssen.
Plötzlich aber tönt das ganz anders. Viele der „marginalisiert“ arbeitenden Frauen hätten „weder Krankenversicherung noch festen Wohnsitz“, erklärt nun Johanna Weber, ihres Zeichens Ex-Vorsitzende des „Berufsverbands erotischer und sexueller Dienstleistungen“ (BESD). Ihnen drohe nun die Obdachlosigkeit. Viele Sexarbeitende hätten „nahezu keine Rücklagen“. Sie würden wohl trotz Verbot weiterarbeiten. „Was sollen sie auch machen, wenn sie nichts zu essen haben?“
Uns fallen dazu noch ein paar andere Fragen ein: Warum hat der BESD eigentlich nie eine verpflichtende Krankenversicherung für Prostituierte gefordert? Weshalb keinen Mindestlohn? Wieso hat er nicht verlangt, dass die Frauen nicht in denselben Zimmern dahinvegetieren müssen, in denen sie anschaffen? (Weshalb sie jetzt auf der Straße stehen.) Warum hat er den Gesetzgeber nicht aufgefordert, gegen die Wuchermieten vorzugehen, die Bordellbetreiber den Frauen abknöpfen? Und weshalb hat er nie verlangt, dass der Staat Zuhälterei besser verfolgen kann? (Denn wieso haben „Sexarbeitende“ denn keine Rücklagen bzw. nichts zu essen? Vielleicht, weil jemand ihre Einnahmen abgreift?)
Bekommen die Frauen, die im Kölner "Pascha" gearbeitet haben, jetzt Kurzarbeitergeld?
Die Antwort liegt mehr denn je auf der Hand: Weil der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ ein Lobbyverband ausgezeichnet verdienender Studiobesitzerinnen ist, die meist als Dominas arbeiten (wie Johanna Weber, Stundensatz: 250 €) und sich bis dato viel für den Erhalt ihrer Einkünfte und wenig für ihre Kolleginnen aus den Armenhäusern Europas interessiert haben. Sorry, Johanna Weber, dass wir Ihnen das große Wehklagen über die prekäre Lage ihrer „Kolleginnen“ nicht abnehmen. Aber gut zu wissen, dass auch Sie nun endlich die katastrophale Situation dieser Frauen nicht länger verschleiern können.
Selbst Armin Lobscheid, seines Zeichens Geschäftsführer des Kölner Großbordells „Pascha“, redet plötzlich Klartext über die Frauen, die in seiner Sexfabrik anschaffen (müssen): „Viele kommen aus armen Ländern in Südosteuropa, sie können es sich nicht leisten, einfach nach Hause zu fahren.“ Richtig, und das unter anderem deshalb, weil sie dem Pascha täglich 160 Euro Miete zahlen müssen. Das macht knapp 5.000 Euro im Monat, also mindestens 100 Freier allein für das winzige Zimmer.
Armin Lobscheid hat jetzt übrigens Kurzarbeitergeld beantragt. Schließlich geht ihm gerade eine Menge Geld verloren, allein durch die Mieten für 140 Zimmer fehlen monatlich rund 672.000 Euro Umsatz in der Pascha-Kasse. Das Geld ist allerdings nicht für die Frauen, denn die seien ja schließlich „selbstständig“. Lobscheid will mit dem Zuschuss aus dem Corona-Milliardentopf ausschließlich seine 70 Festangestellten bezahlen: Hausmeister, Friseur, Security, was ein Bordell eben so braucht.
Auch die Steuern der Supermarktkassiererin bewahren nun Bordellbesitzer vor dem Aus
Und vielleicht fragen sich jetzt in Berlin und anderswo noch ein paar PolitikerInnen mehr, wie es sein kann, dass aus den Steuergeldern von Krankenschwestern oder Supermarktkassiererinnen, die gerade das Land vor dem Kollaps bewahren, die Türsteher eines Großbordells bezahlt werden. Das passiert zwangsläufig, wenn man Prostitution als das behandelt, was es nicht ist: "ein ganz normales Gewerbe“.
Stuttgart verbietet #Prostitution wegen #Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal üben.
— Leni Breymaier (@LeniBreymaier) March 13, 2020
Zurück zu Stuttgart. Dort hat der Gemeinderat gerade 60.000 Euro zusätzliches Überbrückungsgeld für aussteigewillige Prostituierte beschlossen. Sabine Constabel: „Noch nie standen die Chancen für Frauen so gut, ihre Ausstiegsgedanken in die Tat umzusetzen.“ Oder um es mit dem Tweet von Leni Breimeyer, SPD-Bundestagsabgeordnete und ebenfalls Sisters-Vorsitzende, zu sagen: „Stuttgart verbietet Prostitution wegen Corona. Geht doch. Man kann ja schonmal üben.“