Die Enthüllung der Fereshta Ludin
1999 veröffentlichte EMMA den nachfolgenden (leicht gekürzten) Artikel über die Rolle von Fereshta Ludin beim Kampf pro Kopftuch für Lehrerinnen an staatlichen Schulen. 2004 verlor die Deutsch-Afghanin diesen vom „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ und wohl auch Milli Görüs unterstützten – oder initiierten? – Musterprozess vor dem Obersten Verwaltungsgericht. 2003 hatte das Verfassungsgericht das Verbot des Kopftuches für Lehrerinnen an der Schule bestätigt. Jetzt, 2015, revidierte das Verfassungsgericht sein Urteil. Von nun an wird die islamistische Agitation wieder alltäglich in den Klassenzimmern ausgetragen – auf dem Rücken der SchülerInnen und LehrerInnen. In dem nachfolgenden Text von 1999 steht so einiges, was in Ludins Autobiografie nicht stehen dürfte.
Jetzt hat auch Deutschland seinen „Kopftuch-Streit“. Ausgelöst wurde die Kontroverse von Fereshta Ludin, einer 26-jährigen Deutschen afghanischer Herkunft. Ludin war Lehramtsanwärterin in Baden-Württemberg, unterrichtete an der Hohbergschule in Plüderhausen und begehrt, nun ins Beamtenverhältnis übernommen zu werden. Da sie jedoch ihr Kopftuch auch im Klassenzimmer tragen will, hat Kultusministerin Annette Schavan (CDU) ihr dieses Ansinnen abgeschlagen, denn: „Das Tragen des Kopftuches gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin. Die Mehrheit muslimischer Frauen trägt weltweit kein Kopftuch. Vielmehr wird das Kopftuch in der innerislamischen Diskussion auch als Symbol für politische Abgrenzung und damit als politisches Symbol gewertet.“
Ist ihr Kopftuch keine persönliche Sache, sondern politische Provokation?
Nun klagt Ludin auf Einstellung, unterstützt vom Lehrerverband VBE und von der Lehrergewerkschaft GEW, die von einem »Berufsverbot« spricht. Die entscheidende juristische Frage dabei ist, ob Ludin das Kopftuch aus „persönlichen Gründen" trägt, oder ob sie es als „religiöse" bzw. „politische" Demonstration versteht. Im ersteren Fall könnte sie nach deutschem Gesetz eingestellt werden, im zweiteren nicht. Dabei geht es um mehr als um eine Referendarin: Ludin ist zum Präzedenzfall geworden.
Wer also ist Fereshta Ludin?
Ist sie, wie es Die Zeit vermutete, eine naive junge Muslimin, die ganz einfach das „ihr vom Islam auferlegte Kopftuch“ so tragen möchte, wie eine Christin ihr »Kreuzlein an der Kette?« Ist sie dieses „sonnige Gemüt", die „zierliche Frau mit den großen braunen, kajalumrandeten Augen aus Afghanistan", die der Reporter der Süddeutschen Zeitung traf, und die „ganz verletzt" darüber ist, „reduziert zu sein auf ein Stück Stoff"? Kann ihr „kein islamisches Missionieren vorgeworfen werden" und hat sie darum „ein Recht auf Toleranz", wie es die Anwältin Brigitte Laubach in der taz forderte?
Oder weiß Fereshta Ludin nur zu genau, was sie da tut? Ist ihr Kopftuch keine persönliche Sache, sondern eine politische Provokation und Teil einer Strategie, die Menschenrechte von Frauen - auch und gerade die von Musliminnen in Deutschland - zu unterwandern? Wer also ist Fereshta Ludin? Hier das, was bisher bekannt geworden ist:
Fereshta Ludin ist 1972 in Afghanistan geboren und hat die deutsche Staatsangehörigkeit, weil sie mit einem Deutschen verheiratet ist. Ihr Vater war bei ihrer Geburt Innenminister in Kabul und dann Botschafter in Bonn. Ihre Mutter war Lehrerin und trägt bis heute kein Kopftuch. Fereshta kam als kleines Mädchen nach Bonn und hat in Schwäbisch Gmünd Abitur gemacht.
Als der Vater nach der sowjetischen Besetzung Afghanistans seine Stelle als Diplomat verlor, zog Fereshta als junges Mädchen mit ihrer Familie für einige Jahre nach Saudi-Arabien (in das Land, das als Haupt-Financier des weltweiten islamistischen Terrors gilt). Dort begann sie plötzlich, den Schleier zu tragen, „weil es mir gefallen hat". Ab 13 hat sie das Kopftuch nicht mehr abgelegt.
Mit 18 heiratete Fereshta Ludin in Schwäbisch Gmünd den fünf Jahre älteren Raimund Proschaska, einen Vollbart tragenden, zum Islam konvertierten, arbeitslosen deutschen Lehrer (von dem ist sie inzwischen geschieden, Anm.d.Red.). Dem TV-Magazin Mona Lisa erklärte das Ehepaar, dass sie fünf Mal am Tag beten, zum ersten Mal morgens um fünf. Raimund Proschaska verabschiedet sich auch von seinen Eltern nur noch mit „Salemaleikum". Hinter der Hand wird in der schwäbischen Kleinstadt geflüstert: „In Schwäbisch Gmünd ischt die Milli Görüs sehr stark." Die Milli Görüs ist nach Erkenntnis des Verfassungsschutzes eine als „verfassungsfeindlich" eingestufte Gruppe.
Sie hat unter anderem gesagt, nur muslimische Frauen seien rein
Ab dem Wintersemester 1993 studierte Fereshta Ludin an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, wo Studienrat Erich Pommerenke die Ex-Studentin als „sehr emanzipiert und sehr selbstbewusst" in Erinnerung hat. Er fand es besonders sympathisch, dass „Frau Ludin etwas tut gegen den Werteverfall der Sitten in Deutschland".
Eine von Pommerenkes Kolleginnen - die ihren Namen nicht nennen will, wie die meisten, wenn es um die Kritik am Kopftuch geht - erinnert sich gut: „Ich habe völlig unvoreingenommen mit Frau Ludin an einem Fortbildungskurs teilgenommen. Aber was die da erzählt hat, das hat mir die Sprache verschlagen. Sie hat unter anderem gesagt, deutsche Frauen seien unrein, und nur muslimische Frauen seien rein. Muslimische Frauen hätten auch mehr Rechte als deutsche und stünden höher als die Männer. Also, da hat mich etwas angeweht, was mir regelrecht Angst gemacht hat ... Ich hatte den Eindruck, da wird unterwandert. Es waren auch deutsche Musliminnen aus Freiburg da, die Ludin unterstützt haben. Ich war so empört, dass ich mitten in der Veranstaltung raus gegangen bin."
Irgendwann beginnt die Studentin Ludin sich zu weigern, Männern die Hand zu geben. Das ist um 1995. An der Pädagogischen Hochschule wundert man sich. Heute ist Fereshta Ludin laut den Schwäbisch Gmünder „Stadtinformationen" die offizielle Anlaufstelle des „Deutschsprachigen-muslimischen Frauenkreises". Für die Frauen ihres Kreises ist „Fereshta der Kopf", denn: „Sie ist sehr schlau und weiß viel mehr als wir anderen". In den Stadtinfos gibt der Frauenkreis als „Zielsetzung" an: „Islamische Weiterbildung, Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, Abbau von vorhandenen Vorurteilen".
Schwäbisch Gmünd hat mehrere Moscheen, Ludins Stamm-Moschee ist die am Bahnhof, die als besonders konservativ gilt. Da macht sie regelmäßig Führungen. Bei dieser Gelegenheit spricht Ludin immer wieder auch über die Rechte der Frauen und betont, der Schleier sei für sie „ein Schutz vor der westlichen Dekadenz« und »Ausdruck der Würde der Frauen".
Nach ihrem 1. Staatsexamen macht Fereshta Ludin zusammen mit ihrem Mann Urlaub in Afghanistan, wo die Talibane an der Macht sind. Bei ihrer Rückkehr wird die Referendarin 1997 vom Schulamt Schwäbisch Gmünd der Uhland-Schule zugeteilt; doch die Schule weigert sich, eine Lehrerin mit Kopftuch in die Klassen zu schicken.
Jetzt geht Fereshta Ludin in die Offensive. Unterstützt von der Lehrergewerkschaft und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, die von „Toleranz" und „gleichen Rechten" reden, droht sie mit Klage. Auch islamische Organisationen ergreifen nun öffentlich Partei für Ludin, darunter der „Zentralrat der Muslime in Deutschland". Für den Zentralrat ist das Tragen des Kopftuches eine „religiöse Pflicht" aller Muslimas.
Für den Zentralrat ist das Tragen des Kopftuches "religiöse Pflicht"
Als EMMA im April 1997 (unter anderem Namen) mit Fereshta Ludin telefoniert und die gebürtige Afghanin nach ihrer Meinung zu der Unterdrückung der Frauen durch die Talibane und der Todesstrafe für unverschleierte Frauen in ihrer Heimat fragt, antwortet die: „Dazu möchte ich mich nicht äußern." Als EMMA die engagierte Muslimin fragt, was sie denn von der Einführung der Scharia in den von Fundamentalisten beherrschten Ländern halte, da antwortet die angehende Lehrerin erneut: „Dazu möchte ich mich nicht äußern." Als EMMA nachhakt, erklärt sie: „Solche Fragen möchte ich nicht beantworten, weil ich im Beamtenverhältnis bin." - Würde Ludins Antwort ihrem Beamtenverhältnis widersprechen, weil sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht?
Am Ende des Referendariats wird Fereshta Ludin auf das Grundgesetz vereidigt. Da zögert die Referendarin und bittet um Bedenkzeit. Ausbilder Müller gewährt sie - und Ludin entschließt sich nach einer halben Stunde nun doch zum Eid. Und sie besteht weiterhin auf dem Tragen des Kopftuches im Klassenzimmer.
Klingt das alles wie der Leidensweg einer unpolitischen, naiven jungen Frau, für die das Kopftuch eine rein persönliche Angelegenheit ist?
Fereshta Ludin hat schon jetzt angekündigt, dass sie mit ihrer Klage, wenn es sein muss, „bis zum Bundesverfassungsgericht" gehen wird. Und sie kann sich auf diesem Weg vielfältiger Unterstützung sicher sein: von der als links geltenden Lehrergewerkschaft bis hin zu islamischen Organisationen wie dem Zentralrat, die auch hierzulande für Kopftuchzwang plädieren - während die Frauen im Iran für einen verrutschten Schleier 74 Peitschenhiebe kriegen oder ins Gefängnis kommen und unverschleierte Frauen in Algerien oder Afghanistan ermordet werden.
In der Lehrergewerkschaft, die zunächst stramm auf Ludin-Kurs war, ist inzwischen ein Streit über das Kopftuch ausgebrochen. Auch der „Deutsche Philologenverband“ warnt vor einer falsch verstandenen Toleranz.
Doch während die Nation den Fall Ludin im Ländle der tapferen Ministerin Schavan noch für einen Präzedenzfall hält, sind die Kopftuch-Lehrerinnen in anderen Bundesländern schon längst im Klassenzimmer gelandet, allen voran in Bayern („Wir haben nichts gegen ein Kopftuch") und in zwei der SPD-regierten Länder: in Hessen und NRW.
Die 44-jährige deutsche Konvertitin Ulrike Thoenes kann sich also gratulieren, dass sie in Wuppertal Lehrerin ist. Dort, mitten in Nordrhein-Westfalen, hat die strikte Schleierträgerin es in der Schule Narather Straße sogar schon zur Konrektorin gebracht, gefördert von ihrer katholischen Rektorin.
Thoenes ist eine von über 5.000 konvertierten deutschen Frauen, die die „Deutschsprachige Islamische Frauengemeinschaft", Sitz Köln, gründeten. Wie viele Konvertitlnnen glänzen auch die islamischen durch besonderen Eifer.
Doch der Widerstand formiert sich: an der Spitze aufgeklärte Türkinnen. Auch im Fall Ludin beginnen Muslime, offensiv zu werden: „Ich trete für die Rechte der Schülerinnen ein", erklärte die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz, eine in Deutschland geborene Türkin. Für sie ist »das Kopftuch eindeutig ein Zeichen der Unterdrückung der Frauen«.
Alice Schwarzer
Weiterlesen: „Die Gotteskrieger – und die falsche Toleranz“ (KiWi 2002) und „Die große Verschleierung“ (Kiwi 2010). Im EMMA-Shop bestellen