Schriftstellerin Königsdorf ist tot

© Samia Hussein
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Schon an ihrer Wohnungstür ist unübersehbar: Helga Königsdorf hat eine schlimme Nacht hinter sich. Schlaflos, wirre Bilder vor Augen, voller Ängste - wieder einer dieser schweren "Schübe". Parkinson. Seit 20 Jahren. Die Beine versagen ihr den Dienst, das Schütteln ihrer rechten Hand kann sie nicht verhindern.

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Vor zwei Jahren habe ich die Schriftstellerin bei einer Lesung erlebt, mit scharfem Verstand, pointiert und humorvoll. Heute fragt sie: "Können Sie Tischtennis spielen?" Wenig später befinden wir uns auf einem Tischtennisplatz ein paar Straßen weiter. Sie spielt mit höchster Konzentration. Es ist ein Ringen mit ihrem Körper. Ein Kampf, den sie jetzt gewinnt. "Vielleicht", sagt Helga Königsdorf, "habe ich durch diese unheilbare, fortschreitende Krankheit mehr Leben gewonnen als verloren."

Ironisch hob sie Männer vom Sockel

Heute würde sie den Schluss von "Bolero" anders schreiben, sagt die Schriftstellerin. Viele Frauen haben damals Beifall geklatscht zu dem unerwarteten Sturz des Liebhabers vom Balkon. 1978, nach Erscheinen ihres Debütbandes "Meine ungehörigen Träume", in dem auch die "Bolero"-Geschichte steht, war die 40-jährige Helga Königsdorf, die bis dahin als Mathematikerin gearbeitet hatte, mit einem Schlag in der DDR berühmt. Ironisch hob sie Männer vom Sockel: Da wird Peter mit Entengrütze beworfen und Karlchen einfach von Schneewittchen aufgefressen, ein anderer vom Krokodil verschlungen.

Die Männer tragen es schwer. Ihr eigener gar, ein bekannter Wissenschaftler in der DDR, hält es nicht mehr aus mit seiner schreibenden Frau, die so unverfroren und spöttisch die Geschlechterverhältnisse und den Wissenschaftsbetrieb aufs Korn nimmt. Sie weiß zu genau, wovon sie schreibt. Ist sie doch selbst eine erfolgreiche Mathematikprofessorin an der "Akademie der Wissenschaften der DDR", Leiterin einer Abteilung am Forschungsinstitut für Mathematik und Mechanik. Sie arbeitet an theoretischen und praktischen Fragestellungen der mathematischen Statistik.

Scheidung, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und ab nun zwei Berufe. Helga Königsdorf bleibt beim Schreiben. Sie ist - neben Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Brigitte Reimann, Maxie Wander und anderen - eine weitere selbstbewusste Stimme im Chor der DDR-Autorinnen, die sich in den 70er und 80er Jahren nachhaltig und sehr kritisch mit Emanzipation und der Wirklichkeit in ihrem Land auseinandersetzen, in dem die Frauenfrage für gelöst erklärt ist.

Selbstbewusste Stimme im Chor der DDR-
Autorinnen

Mitte der 70er Jahre erscheint die DDR-Frauenzeitschrift Für Dich mit dem Porträt der auch im Ausland geschätzten Wissenschaftlerin auf dem Titel. Die Reportagefotos zeigen eine Frau mit blonder Pferdefranzfrisur vor einer Wandtafel voller Formeln, mit Professoren-Ehemann im Fachgespräch, als Mutter zweier Kinder. Aber - untypisch für DDR-Verhältnisse - auch die Großmutter, die das Klavierspiel ihrer Enkelin überwacht, im Haus lebt und sich um alles kümmert. "Der Oma gehört der halbe Professorentitel", sagte Helga Bunke, geborene Königsdorf damals der Für Dich-Reporterin. Die Hälfte von ihrem Titel, nicht von dem ihres Mannes.

Seit 1990 arbeitet Helga Königsdorf nicht mehr als Wissenschaftlerin, schreibt nur noch. Sie ist noch produktiver geworden. Schreiben auch als Lebenselixier, als Überlebenschance. 1997 erschien ihr bitter-böses, sarkastisches Buch: "Die Entsorgung der Großmutter". Verrisse und Angriffe bleiben bei Helga Königsdorf nicht aus. Trotzdem ist ihr Schreiben immer ein Spaß gewesen, bei aller schöpferischen Anstrengung. Aber Schreiben ohne aufklärerischen Anspruch - das ist für sie unvorstellbar. In allen ihren Texten verwebt sich Autobiographisches, Fiktives und Phantastisches. Sie liebt das Spielerische. "Eine Hochstaplerin bin ich", sagt sie.

Die Leserin ist nicht sicher vor Überraschungen

In diesem Jahr wird sie 60 Jahre alt. Sie trägt sich mit dem Gedanken, ihre Autobiographie zu schreiben. "Die wird krass", freut sie sich schon jetzt. Auch ein neuer Band mit Erzählungen ist im Entstehen. Und ein Buch, Arbeitstitel: "Wie mündig ist der mündige Bürger?"

Vor Überraschungen sind die Leserinnen bei dieser Autorin nicht sicher. Zum Beispiel in der 1992 erschienenen Geschichte "Gleich neben Afrika". Eine Fiktion kriminalistischer Art. Doch in erster Linie eine Liebesgeschichte zwischen zwei - Frauen. "Ich liebte alles an ihr", sagt die Ich-Erzählerin. "Ihre Haut. Ihre Stimme. Ihre Logik. Ihre Wutanfälle: Maria war der erste Mensch, den ich liebte, ohne ihn mir umerfinden zu müssen..."

Wie würde denn nun ihre "Bolero"-Erzählung heute enden? "Einen Mann vom Balkon stürzen, das wäre mir zu anstrengend. Ist auch nicht mehr mein Problem", sagt sie trocken.

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Die Bücher von Helga Königsdorf sind leider alle vergriffen, stehen aber u.a. im FrauenMediaTurm.

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Über Ossis, Wessis und Wossis

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