Arabische Eiszeit für die Frauen
Wie oft soll sich das eigentlich noch wiederholen? Wie oft noch wird eine Revolution von Frauen in vorderster Front mitgetragen – und lassen die siegreichen Revolutionäre die Frauenrechte links liegen, schlimmer noch: entrechten die Frauen erst richtig! Das war 1963 in Algerien so und 1979 im Iran – und es wiederholt sich jetzt auf tragische Weise in Nordafrika. Was nicht wirklich eine Überraschung ist. In EMMA jedenfalls war es bereits in der Ende Juni 2011 erschienenen Ausgabe zu lesen.
In allen drei Ländern des so genannten „arabischen Frühlings“ – in Ägypten, Tunesien und Libyen – waren Despoten an der Macht, die selber direkt oder indirekt aus Revolutionen hervorgegangen sind, nämlich aus der Befreiung von den Kolonialherren. Und alle drei hatten ein Ohr für die Frauenrechte, aus welchen Motiven auch immer.
Mubarak in Ägypten und Ben Ali in Tunesien waren westlich orientiert. Wollten die Despoten nicht ganz ihre Glaubwürdigkeit verlieren, mussten sie sich am westlichen Emanzipations-Standard zumindest oberflächlich orientieren. Frau Mubarak setzte sich aktiv für Frauenrechte ein – auch wenn sie zur Behebung der Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen den relativ Emanzipierten in der Stadt und den Genitalverstümmelten auf dem Land wenig beitrug. Die Tunesierinnen aber waren die Emanzipiertesten im ganzen Maghreb und auch rechtlich weitgehend gleichgestellt.
Der Beduine Gaddafi in Libyen schließlich war ein spezieller Fall. „Die Jamahiriya ist kein Staat der Männer“, erklärte Gaddafi. Der Revolutionsführer führte ein Familienrecht ein, das die Frauen besser stellte als in den meisten arabischen Ländern. Demonstrativ stellte er für seine Leibgarde nur Frauen ein: die berüchtigten Amazonen, mit wehendem Haar.
Diese Herrscher sind nun weggefegt. Und es werden vermutlich weitere fallen. Doch was kommt danach? Und was ist mit den Frauen? „Jetzt oder nie!“ appellierte die iranische Frauenrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi gleich zu Beginn der Unruhen an die Ägypterinnen. Und sie beschwor: „Wiederholt nicht unsere Fehler, wartet nicht mit euren Forderungen! Bekämpft das partriarchale System, das die Scharia zum Vorteil der Männer auslegt.“
Doch die Ägypterinnen haben die Fehler wiederholt. Sie hatten vermutlich auch keine Chance. Nicht zuletzt, weil sie als Frauen keine organisierte Gruppe sind, ja ihnen ihre gemeinsamen Betroffenheiten und Interessen noch nicht einmal politisch klar sind. Sonst hätten sie direkt in der Stunde Null ihre Forderungen unverrückbar stellen müssen. Bevor es zu spät war.
Damals, 1979, hatte so manche Iranerin den verhassten Schah – auch er ein westlich orientierter Despot – mit dem Maschinengewehr unter dem Tschador bekämpft. Und auch die hastig aus dem Exil zurückkehrenden Intellektuellen setzten auf Ayatollah Khomeini, waren Feuer und Flamme von der Idee eines islamischen Staates. Einführung der Scharia? Warum nicht, das gehört eben dazu.
Wie schnell es auch sie selbst treffen würde, haben diese aufgeklärten und oft linken Frauen und Männer noch nicht einmal geahnt. Schon wenige Wochen nach Machtergreifung peitschten die „revolutionären Garden“ die Studentinnen aus den Universitäten und die berufstätigen Frauen aus den Behörden, mit der Order: „Zieht euch erst mal anständig an!“ Anständig meinte: Verschleiert euch.
Wie es im Iran nicht nur für die Frauen weiterging, wissen wir. Heute lebt in dem Mullah-Land eine ganze Frauengeneration, die gar nichts anderes mehr kennt als Rechtlosigkeit und Zwangsverschleierung. Und wenn die jungen Männer Jugendfotos ihrer Mütter oder Großmütter sehen, sind sie – so ist zu hören – oft entsetzt über die „Obszönität“ des Anblicks. Denn diese Frauengenerationen durften noch offen ihr Haar zeigen, sowie kurze Ärmel und Kleider tragen. Ganz wie wir.
Hätten die Iranerinnen es gewusst, hätten sie lernen können von dem Drama der Algerierinnen, das sich nur 16 Jahre zuvor abgespielt hatte. Auch die hatten unter Einsatz ihres Lebens zur Befreiung ihres Landes vom Kolonialherren beigetragen. Der erste Präsident des freien Algerien, Ben Bella, galt als Freund der Frauenemanzipation. Als er am 15. September 1963 an die Regierung kam, gingen Tausende von Frauen hoffnungsvoll auf die Straße, um ihren neuen Präsidenten zu unterstützen.
Viele dieser Frauen überlebten ihre erste selbstbewusste Demonstration als Bürgerinnen nicht. Als sie nach Hause zurück kehrten, wurden sie von ihren eigenen Männern, Vätern, Brüdern eingesperrt, geschlagen, ja in den Tod getrieben: So manche sprang aus dem Fenster. Und auch der liberale Ben Bella wurde bald von dem kommunistischen Hardcore-General Boumedienne abgelöst.
Denn so unterschiedlich die genannten Länder sein mögen, in allen wabert dieselbe explosive Mischung: ein Amalgam aus Nationalismus und Islamismus. Da treffen die neuen Herren der Gottesstaaten auf die alten Patriarchen der Männerstaaten. Eines kommt dabei ganz sicherlich nicht raus: eine Demokratie. Und schon gar keine Gleichberechtigung der Frauen.
Das ist inzwischen auch den Feministinnen in dieser Region klar. Sie sind nach ihrer ersten Freude hart erwacht. Ende Oktober veröffentlichten 76 Frauenrechtlerinnen aus dem Maghreb und Ägypten, darunter Nawal el Sadaawi, ein Manifest, in dem sie die totale Trennung von Religion und Staat, die Abschaffung der Scharia im Familien- und Strafrecht sowie das Verbot der Zwangsverschleierung fordern. Sie schreiben: „Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Libyen, wo der nicht gewählte Übergangsrat die Scharia ausgerufen hat, stellen sich die Unterzeichnerinnen dieses Manifestes vehement gegen die Instrumentalisierung der Proteste durch die Islamisten.“ Zu spät.
Aber wie kann es eigentlich sein, dass selbstbewussten und kämpferischen Frauen innerhalb weniger Jahrzehnte der immer gleiche Fehler passiert? Dass sie ihre eigenen Interessen vergessen. Die Antwort lautet: Weil Frauen geschichtslos sind. Im kollektiven Gedächtnis spielt der Aspekt der Rolle und Lage von Frauen keine oder nur eine ganz untergeordnete Rolle. Der Versuch einer Minderheit von Frauen, die sich und ihre Geschichte ernst nehmen, gegen den von Männerinteressen geprägten Mainstream auch selber Geschichte zu schreiben, ihre Geschichte, wird marginalisiert und ignoriert. Und so fangen die Frauen immer wieder bei Null an. Sie können nicht auf bereits gemachten Erfahrungen aufbauen.
Ich fürchte, in den Ländern des so genannten „arabischen Frühlings“ wird es sich erst einmal wieder verdunkeln für die Frauen. Dabei war ihre Lage schon vorher nicht rosig. In diesen Ländern ergreifen die Islamisten jetzt direkt oder indirekt die Macht. Selbst in dem kleinen, relativ aufgeklärten und gebildeten Tunesien, wo sich die Frauen so sicher waren, dass zumindest sie es schaffen würden. Man wird die Scharia einführen. Dieses „Gottesgesetz“, das aus allen Frauen rechtlose Abhängige macht, abhängig von Vätern, Ehemännern oder Brüdern. Selbstverständlich ist auch die Polygamie in all diesen Ländern wieder im Gespräch, bzw. schon per Dekret verkündet.
Was heißt das für uns, den Westen, der im „arabischen Frühling“ eine verdeckte oder gar offene Rolle, wie in Libyen, gespielt hat? Werden wir nun bei der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit die Frage der Menschenrechte stellen? Die der Menschenrechte der Frauen? Erfahrungsgemäß mitnichten. Denn erstens ist von Menschenrechten immer nur dann die Rede, wenn es gerade ins politische Konzept passt. Und zweitens wiegen die Menschenrechte der Frauen nicht schwer. Da guckt der so emanzipierte Westen gerne weg.
Aber gerade in Bezug auf die so alarmierende Entwicklung dieser Staaten Richtung Gottesstaaten wird der Westen seine „Toleranz“ schon sehr bald sehr bereuen. Denn Nordafrika ist gleich gegenüber. Und von da ist es ein Sprung nach Europa.
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Alice Schwarzer (Hrsg.): „Die große Verschleierung“, (KiWi, 9.95 €)
„Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“ (KiWi, 9.95 €)