Die Frauengesundheitszentren
Anfang der 1970er Jahre, der Aufbruch der Frauenbewegung und die Gründungsphase der ersten Frauenzentren. In Berlin in der Hornstraße 2 wird 1974 das erste Frauengesundheitszentrum eröffnet. Es ist das erste in Europa. Alles, was Frauen dort lernen, haben sie sich selbst beigebracht. Und auch sich selbst lernen sie dort kennen.
Erstmals ganz konkret im November 1973. Da reisen Amerikanerinnen an, um ihren German Sisters die vaginale Selbstuntersuchung zu demonstrieren. 300 Frauen stehen Schlange, um mit dem Spekulum zu erkunden, wie sie „da unten“ aussehen. Eine der Neugierigen: Alice Schwarzer. „Das war unglaublich!“, erinnert sie sich, „die Frau zog ihre Jeans aus, setzte sich auf einen Tisch, spreizte die Beine, führte ein Plastik- Spekulum ein – und wir blickten durch die Vagina bis zum Muttermund. Obwohl wir doch alle selbst so einen Körper haben, hatten wir das noch nie gesehen. Ich war so verblüfft, dass mich die Frau hinter mir anstoßen musste, damit ich weiterging und die nächste gucken konnte.“
Auch Dagmar Schultz, Mitinitiatorin der „Frauengesundheitsbewegung“ in Deutschland, erinnert sich: „Die Selbstuntersuchung war etwas wirklich Revolutionäres. Überall rückten Frauen mit einem Koffer voll Spekula an!“
Die Veranstaltungen sind der Auftakt zur Selbstentdeckung des eigenen Körpers, die „Frauengesundheitsbewegung“ macht sich auf den Weg. Ihr Klassiker ist der feministische Bestseller „Our Bodies, ourselves“, der 1970 in den USA erschienen war. Die Themen reichen von weiblicher Anatomie über Selbstbefriedigung, gleichgeschlechtliche Liebe, Verhütung, Abtreibung, Menopause bis hin zur Selbstverteidigung. Allesamt Themen, die bis dato sowohl in der Medizin als auch in der Gesellschaft sträflich vernachlässigt wurden und für die es keinen Raum gab. Beratungsangebote für Frauen, die gab es bis dahin nur in Hinblick auf ihre Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau – nicht aber mit Blick auf ihr eigenes Leben.
Doch die Frauen haben die Nase voll: vom § 218, von männlichen Gynäkologen, von dozierenden und schlagenden Männern und vom zutiefst patriarchalischen Gesundheitssystem, das sie als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Das galt auch für die wenigen Ärztinnen, die es damals gab. Die Kölnerin Maria Beckermann ist eine der ersten feministischen Frauenärztinnen, Gesundheit von Frauen wurde ihre Lebensauf
gabe. Sie erinnert sich: „Als ich in den 1970ern meine Facharztausbildung an der Uni-Klinik Köln machte, war die Hierarchie klar: alle oberen Positionen besetzen Männer, alle unteren Frauen. Ärztinnen wurden im OP gemobbt und kaum wahrgenommen. Patienten sahen uns als Krankenschwestern, klatschten uns auch schon mal auf den Po.“ Die Situation in der Geburtshilfe fand sie am schlimmsten: „Frauen wurden überhaupt nicht darüber aufgeklärt, was mit ihnen unter der Geburt passiert. Viele haben ohne Erklärung eine Spritze bekommen und die eigene Geburt verschlafen. Wenn ein Arzt während eines Kaiserschnitts eine Gebärmutter für nicht mehr tauglich befand, hat er sie einfach entfernt und die Frau damit zwangssterilisiert.“ Auch war Gewalt gegen Frauen ein absolutes Tabu-Thema, Essstörungen wurden als „Launen höherer Töchter“ bezeichnet, lesbische Frauen gefragt, was bei ihnen denn wohl schiefgelaufen sei und Medikamente ohne Einwilligung verabreicht.
Frauen wie Maria Beckermann wurde klar: Das Wissen um den eigenen Körper und die eigene Gesundheit sind unweigerlich mit dem Grad der Emanzipation verbunden. Und: Wir Frauen müssen unsere Gesundheit selbst in die Hand nehmen!
Die ersten „Feministischen Gesundheitszentren“ entstehen. Sie kooperieren mit den ersten feministischen Ärztinnen wie Maria Beckermann. In den Zentren bilden sich die Frauen weiter, lesen gemeinsam gynäkologische Fachliteratur, suchen nach überliefertem Heilwissen, organisieren Aktionen und Demos gegen den § 218 oder auch Busreisen in die Niederlande, wo Frauen damals schon legal und ohne Lebensgefahr abtreiben konnten. Sie tauschen sich aus über ihre körperliche und seelische Verfassung, über schlagende Ehemänner, Gewalt unter der Geburt oder beim Frauenarzt, sexuelle Gewalt sowie ihre Ängste und Sehnsüchte. Gleichzeitig formiert sich dort der Kampf um eine bessere Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung. Daraus entstehen schon bald die ersten Geburtshäuser und Mütterzentren.
Im Deutschen Ärzteblatt 1979 werden die Zentren und die sich formierenden Frauengesundheits-Initiativen in die Nähe der RAF, der terroristischen Szene, gerückt und die Erkenntnisse der Frauen als „hybride Selbstüberschätzung“ abgetan. Polizeiliche Durchsuchungen der Zentren finden nicht nur in den USA, sondern nun auch in Deutschland statt. Doch das bestärkt die Frauen in ihrem Kampf um körperliche Selbstbestimmung nur noch mehr!
Die erste Publikation des „Feministischen Frauengesundheitszentrum“ (FFGZ) Berlin war das selbst verlegte Handbuch „Hexengeflüster. Frauen greifen zur Selbsthilfe“. Es wurde ein Bestseller. Seit 1976 gibt das FFGZ „Clio. Die Zeitschrift für Frauengesundheit“ heraus, für die Laiinnen wie Fachfrauen aus Wissenschaft, Medizin und Naturheilkunde ihr Wissen zur Verfügung stellen.
Und heute? Was sind Frauengesundheitszentren heute? 13 gibt es noch, in Berlin, Dresden, Freiburg, Göttingen, Hannover, Heidelberg, Köln, Lübeck, München, Nürnberg, Regensburg, Stuttgart und Wiesbaden.
Trugen die ersten Frauengesundheitszentren noch das Attribut „Feministisch“ im Namen, tun das heute nur noch drei: Berlin, Köln und Stuttgart. Andere haben das „feministisch“ gestrichen oder sich in „Zentren für Frauen und Mädchen umbenannt“. In ganz Ostdeutschland hat nur das 1994 gegründete „Medea“ in Dresden überlebt.
Die Zentren kooperieren mit städtischen Institutionen, wie Krankenhäusern und Gesundheitsämtern sowie sozialen Beratungsstellen, Netzwerken und Selbsthilfegruppen. „Unsere Zentren sind nach wie vor der einzige Ort, an dem über Frauengesundheit und gesamtgesellschaftliche Lebensbedingungen für Frauen nachgedacht wird. Es geht um Ganzheitlichkeit!“, sagt Doris Braune, seit
28 Jahren Mitarbeiterin des FFGZs in Stuttgart und Aktivistin der Frauengesundheitsbewegung.
Noch immer kommen Frauen aus allen Schichten und Altersgruppen in den Zentren zusammen. „Eigentlich haben sich die Kernthemen der Frauengesundheit von damals gar nicht so sehr verändert“, erzählt Doris Braune, „Geburt, Verhütung, Hormone, Wechseljahre, Brust- oder Gebärmutterhalskrebs, Endometriose, Polyzystisches Ovarialsyndrom, Zyklusschmerzen und Zyklusstörungen, Fruchtbarkeitsstörungen und Migräne. Es sind oft genau die Themen, die in der medizinischen Forschung noch immer vernachlässigt oder ausschließlich von der Pharmalobby besetzt werden, und mit denen Patientinnen nach wie vor allein gelassen werden. Hier heißt es immer noch: Selbst ist die Frau.“
Doch es gibt auch Rückschritte. „Auf der einen Seite erleben wir eine wahnsinnige Übersexualisierung der Gesellschaft und auf der anderen Seite sehen wir Mädchen und junge Frauen, die so wenig über den eigenen Körper wissen, wie die Frauen vor der Frauenbewegung“, so Doris Braune. Null Wissen über die Klitoris, die Vulva, den Eisprung. Sie selbst hat eine Tochter und fragt sich: „Warum haben wir alten Feministinnen es nicht geschafft, unser Selbstverständnis vom eigenen Körper an die Töchtergeneration weiterzugeben? Ich kenne die Antwort nicht, aber ich fürchte, wir haben die Macht der Körperbilder von außen unterschätzt.“
Auch kehrt die Notwendigkeit des Kampfes um das Recht auf Abtreibung zurück. „Wir selbst dürfen ja nicht die Beratungsscheine ausstellen, die für die Abtreibung gebraucht werden“, sagt Doris Braune, „aber wir merken, wie sich die Lage in Deutschland zuspitzt. Die Möglichkeiten, eine Abtreibung ohne vorherigen Spießrutenlauf machen zu können, werden immer kleiner. Immer mehr Kliniken streichen einen Abbruch aus ihrem Leistungskatalog, Schwangerschaftabbrüche sind noch immer kein verpflichtender Teil des Medizinstudiums. ÄrztInnen, die noch Abtreibungen vornehmen, werden von Lebensschützern bedroht.“
Ein Problem für die Zentren, die sehr auf die Kooperation mit Fachkräften angewiesen sind, sei auch, dass viele feministische Pionierinnen, etwa Ärztinnen oder Juristinnen und auch feministisch gesinnte Beraterinnen, etwa bei Pro Familia, jetzt in den Ruhestand gehen würden. „Mit ihnen bricht das Wissen um feministische Kämpfe, die Erkenntnisse und die Dringlichkeit weg – und damit auch eine gewisse Solidarität“, resümiert Braune.
Heute wird in den Zentren viel über die unterschiedlichen Ansichten von Feminismus diskutiert. „Da gibt es die Seite der traditionellen Feministinnen, zu denen ich mich zählen würde“, sagt Doris Braune, „und eben die vieler jüngerer Frauen, die für den so bezeichneten queeren intersektionalen Feminismus stehen. Doch welcher Feminismus auch immer – wir werben dafür, dass wir Frauen gut miteinander sind und miteinander reden. Wir sollten das Verbindende in unserer Lebenserfahrung suchen, nicht das Trennende!“
Bis heute ist ein Kernproblem der Frauengesundheitszentren: die klamme finanzielle Lage. Seit der Stunde Null müssen die Mitarbeiterinnen um die Finanzierung kämpfen. Der Löwenanteil der Arbeit passiert ehrenamtlich. So arbeitet Doris Braune in Stuttgart seit 30 Jahren ohne Bezahlung, ihr „Brotberuf“ wie sie sagt, ist der der Heilpraktikerin. Wird sie zu Vorträgen von der Caritas, Kirchengemeinden oder Mütterzentren eingeladen, gibt es ein Honorar von 80 Euro. Ihr einziger Benefit: „Ich habe das Gefühl, eine Stimme in der Welt zu haben.“
Wollen die Zentren mit den Kommunen über finanzielle Bezuschussung verhandeln, heißt es oft: Haushaltssperre, zusätzliche Kosten, Krieg und dass die Kernarbeit der gesundheitlichen Beratung doch sowieso oft von anderen übernommen werde.
„Und genau das passiert gerade nicht“, sagt Doris Braune. Schon gar nicht in Zeiten, in denen die Medizin durch die Privatisierung der Krankenhäuser rein ökonomischen Prinzipien folge. Frauen müssen noch immer ihre körperliche und seelische Gesundheit verteidigen, darum kämpfen. Heute anscheinend mehr denn je.
ANNIKA ROSS
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