Die Macht der Influencerinnen

Influencerinnen: So schön - so gefährlich
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Es gibt eine Welt, in der Kinder und Jugendliche leben und von der Eltern und LehrerInnen zwar schon gehört haben, die sie aber nicht kennen. In dieser Welt findet heute schon jede fünfte Sechsjährige und sogar fast jede Zehnjährige ihre „beste Freundin“, bzw. ein Idol, das sie bewundert. Es ist die Welt von Instagram und TikTok und die „besten Freundinnen“ sind Influencerinnen. Die aber machen das Ganze nicht aus Interesse, sondern für Geld. Im besten Fall für sie sogar für sehr viel Geld. Wir können diese Influencerinnen ruhig ohne Binnen-I schreiben, denn es sind vor allem Frauen, die in dieser neuen Branche führend und erfolgreich sind. Weil die größte Werbefläche auf Instagram der eigene Körper ist. Und den tragen hauptsächlich Frauen zu Markte.

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Angefangen hat es in den 90er Jahren mit den vier coolen New Yorkerinnen aus „Sex and the City“. Die hatten eigentlich gar nicht so viel Sex, dafür aber mächtig Konsum. Das ist die Schlüsselszene aus „Sex and the City“: Mr. Big macht Carrie einen Heiratsantrag – in ihrem begehbaren Schuhschrank. Er steckt ihr keinen Ring an den Finger, sondern High Heels an die Füße, von Manolo Blahnik. Die Schuhe (ab 1.000 Euro) wurden dank der Serie Kult – ganz wie Carrie.

Mit Carrie, der Figur der ewig shoppenden, superschlanken, durchgestylten Bloggerin, wurde 1998 das neue Genre geboren: die Influencerin. Die TV-Serie ist die Matrix für alles, was folgte. Burberry, Lacroix, Louis Vitton und Co. im Kleiderschrank, ein Extra-Raum für die Manolo Blahniks, das dauerleuchtende Apple-Zeichen auf Carries Laptop. Schleichwerbung? Iwo – ein Fest der „Selbstermächtigung“. Konsum und Labels als Beweis für den Erfolg und die Selbstständigkeit der emanzipierten Frau: Ich konsumiere, also bin ich.

Die vier New Yorkerinnen waren für Millionen Frauen die ersten internationalen Influencerinnen, noch bevor die Welt überhaupt wusste, was Influencerinnen eigentlich sind. Nicht Leistung oder Herkunft stiften Identität, sondern gemeinsamer Konsum. In Carries Worten: „Du bist es dir wert!“ In dem 2008 folgenden Film zur Serie waren in 140 Minuten mehr als 70 Marken der Mode-, Auto- und Alkoholindustrie platziert worden.

Mit "Sex and the City" hat es angefangen. Shoppen als Fest der Selbstermächtigung

Die Werbebranche begriff schnell und sprang auf den Zug auf. Mit Folgen für die alten Werbeträger. Zuerst traf es die Printmedien. Anzeigen in der Zeitung? Wer liest denn noch Zeitung? Dann traf es das Fernsehen. Wer guckt denn noch fern? Die konsumfreudige Generation Z hat gar keinen Fernseher mehr. Neue Medien mussten her. Jederzeit abrufbar und passgenau auf die Zielgruppe der Digital Natives zugeschnitten. Es lebe Instagram!

JedeR zweite bis dritte Jugendliche und Erwachsene nutzt täglich die sozialen Medien, um sich zu informieren und zu kommunizieren. Noch gilt Facebook als die meistgenutzte Social-Media-Plattform, wird aber zunehmend von Instagram abgelöst. Die Foto- und Videosharing-Plattform gehört seit 2012 ebenfalls zu Facebook. Tatsächlich ist Instagram für die unter 18- bis 24-Jährigen das soziale Medium, das am häufigsten zur Kommunikation genutzt wird.

Zum Beispiel von Caro Daur. Die 26-jährige Hamburgerin zeigt sich ihren fast drei Millionen Followern nahezu täglich in immer neuen Klamotten und Inszenierungen. Sie ist zu sehen, wie sie mit ihrer Mutter tanzt, ihren Hund streichelt, in einem BMW durch die Gegend fährt, in Zeitlupe duscht, ein neues Parfüm ausprobiert oder einfach die Sonne genießt. Dazwischen professionelle Mode-Fotos von ihr aus allen Teilen der Welt. „Tagebuch-ähnliche Sachen werden am allerbesten geklickt“, verrät sie. Caro Daur ist laut Fachmagazin Werben & Verkaufen „eine der einflussreichsten Deutschen“. Seit Herbst 2020 hat sie bei Hugo Boss ihre eigene Kollektion: „Boss curated by Caro Daur.“ Ihr jährliches Einkommen wird auf etwa eine Million Euro geschätzt. Oder Pamela Reif (unser Cover-Girl). Die 25-Jährige startete mit Fotos von Landschaften und Essen. Heute bewirbt sie Mode, Kosmetik, Parfums und Müsliriegel. Sie hat eine eigene Produktpalette und veröffentlichte jüngst ein Buch: „You deserve this“.

Influencerinnen inszenieren sich als beste Freundin. Ihr Auftrag: Werbung

Manche werden sagen: Warum auch nicht? Warum sollten so junge Frauen nicht ihr hübsches Gesicht, ihren perfekten Körper, ihre Welt den Fans auf Instagram vorführen und damit auch noch viel Geld machen? Und warum sollten die Kids diese Frauen nicht bewundern? Die Antwort lautet: Weil diese Influencerinnen sich zwar selbst nutzen – aber ihren Fans schaden.

Influencerinnen sind nur scheinbar ein Mädchentraum, in Wahrheit sind sie aber der wahr gewordene Werbetraum: lebende Litfaßsäulen, die eigentlich nur etwas verkaufen wollen, aber als Freundinnen daherkommen. Sie erreichen die Zielgruppe zu 100 Prozent – und das nicht als Werbung gekennzeichnet und auch nicht nur für einen Augenblick, wie ein TV-Werbespot, sondern als vorgebliche Freundin und 24/7, Tag und Nacht. Und präzise messbar für die Werbewirtschaft in genutzten Links und Likes.

Lanciert wurde der Begriff Influencer 2001 in dem populärwissenschaftlichen Bestseller „Influence: Science and Practice“ (Einfluss: Wissenschaft und Praxis) des amerikanischen Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler Robert Cialdini. Cialdini beschreibt die entscheidenden Eigenschaften zur Einflussnahme: soziale Autorität, Vertrauenswürdigkeit, Hingabe und konsistentes Verhalten. Und genau das haben Influencerinnen drauf. Doch im Gegensatz zu Netz-Aktivistinnen machen Influencerinnen das nicht aus Engagement beruflich, sonder weil Werbung ihr Geschäftsmodell ist.

Oft arbeiten angehende Influencerinnen jahrelang daran, im Netz aufzufallen. Sie experimentieren vor der Kamera, stellen Clips ins Netz: Schminktipps, Sketche, Parodien, irgendwas, was viral geht. Oder sie hatten bereits ihre Five Minutes of Fame. Mit Tanz- oder Fitnessvideos, die durch die Sozialen Medien gingen, in TV-Talent-Formaten, als One-Hit-Wonder oder als Skandal-Rapper.

Sind die ersten 30.000 Follower erreicht, greift ihnen die Werbeindustrie unter die Arme und professionalisiert die neuen WerbeträgerInnen. Die Clips werden aufwendiger, besser gefilmt – und können so zu Geld gemacht werden. Laut einer internationalen Studie gibt es heute rund 4,6 Millionen InfluencerInnen – allein in Deutschland. Bei der Minderheit der männlichen Influencer geht es vorwiegend um Gaming und Fitness, bei den weiblichen geht es vor allem um Mode und Beauty. Nicht alle sind Mega-InfluencerInnen (ab einer Million Follower) wie zum Beispiel Bianca Claßen, die auf „bibisbeautypalace“ fast acht Millionen Follower hat oder die Zwillinge Lisa und Lena, die auf „lisaandlena“ über 15 Millionen Follower erreichen.

Wer kann beweisen, dass die Cola-Dose bewusst und nicht zufällig zu sehen ist?

Influencerinnen in Deutschland bewerben neben der Mode, dem Makeup, auch Körperpflege und Lebensmittel. Die Geschäftsmodelle sind vielfältig: Von der direkten Werbung, in der ein Produkt in die Kamera gehalten wird („Probiert doch mal diesen Lippenstift!“), bzw. Videos, in denen das Produkt vorgeführt wird, wie Schminktipps, über Hinweise zu Firmen, die als Hashtags im jeweiligen Begleittext oder als sogenannte „Tap Tags“ direkt im Bild platziert werden, wo man durch Antippen auf den Instagram-Account des betreffenden Anbieters gelangt; bis zu der versteckten, indirekten Werbung. Die Haarbürste, auf deren Rückfläche deutlich das Label „Fendi“ prangt, die Einkaufstasche von Chanel, die neben Nachhaltigdem Weihnachtsbaum steht, die Apple-Watch am Handgelenk, die Sonnenbrille von Prada, der GAP-Bag am Kinderwagen. Meist werden diese Produkte in Alltagssituationen präsentiert. Es kann aber auch der Mercedes sein, der im Hintergrund steht oder das Essen in einem bestimmten Restaurant.

Die beste Freundin gewährt intime Einblicke in ihr Leben, in ihren Kleiderschrank, ihre Handtasche, ihr Badezimmer, den Restaurantbesuch. Hin und wieder werden Influencerinnen wie Pamela Reif (8 Mio. Follower) oder Cathy Hummels (617.000 Follower) vom „Verband Sozialer Wettbewerb“ wegen Schleichwerbung angezeigt. Der Verband bekämpft seit 30 Jahren unlauteren Wettbewerb und Wirtschaftskriminalität. Er kritisiert die permanente Schleichwerbung von InfluencerInnen aufs Schärfste, gerade weil der werbende Charakter nicht kenntlich gemacht wird.

Der Verband fordert Unterlassung sowie Abmahnkosten. Zurzeit entscheidet der Bundesgerichtshof darüber, wie mit der Schleichwerbung der Influencerinnen zu verfahren ist. Ein erstes Urteil soll am 8. September 2021 verkündet werden. Wie aber kann bewiesen werden, dass es sich um gezielte Werbung handelt oder nicht doch nur die persönliche Sonnenbrille gezeigt wird, deren Label ganz zufällig ins Auge springt?

Die erfolgreichste Werbefläche aber ist bei Frauen der eigene Körper. Das erklärt auch, warum Frauen das Business dominieren. Die Top-Influencer-Listen sind national wie international weiblich dominiert. Die Frauen tragen ihre eigene Haut zu Markte. Die Art, wie sie sich inszenieren, folgt dabei den immergleichen Mustern: rausgestreckte Brüste und Hintern, Duckface-Posen mit Schmolllippen, Hände, die ein Herz formen, das aufgescheuchte Reh, Tränen der Rührung etc. Allesamt Attitüden von gestern bei Frauen von heute.

Doch wie diese Frauen wirklich aussehen, erfahren wir nicht. Schönheitsfilter von Instagram und Tiktok sowie Retouch-Apps schaffen die perfekte Frau. Mehr als eine Milliarde Frauen weltweit nutzt Filter-Software, die alle gleich aussehen lässt: riesige Augen, Stupsnase, volle vorgestülpte Lippen, reine glatte Haut, plus Schönheits-OPs. Die Einflüsse der japanischen Manga-Kultur sind unübersehbar.

Produktwerbung allein reicht nicht mehr, heute wird auch Haltung mitvermarktet

Doch die Influencerinnen von heute verkaufen nicht nur ihren Körper, sondern verkaufen auch ihr vorgeblich soziales und politisches Engagement. Da steht jetzt zwischen den Werbekacheln gern mal ein Foto mit selbstgemalten Pappschildern, auf denen prangen Slogans wie: „Water is a human right“, „There is no planet B“ oder „Free Tampons“. Die Botschaften sind in Wahrheit keine Gesellschaftskritik, sondern Teil des Geschäftsmodells. Beauty allein läuft nicht mehr. Erfolgreiche Influencerinnen fischen heutzutage auch im Überzeugungsspektrum ihrer Zielgruppen. Etwa bei Jugendlichen, die sich mit „Fridays for Future“ identifizieren.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz finden schließlich alle super. Und da ist es für die Fans scheinbar auch kein Problem, dass die, die Nachhaltigkeit predigen, immer neue Luxus-Outfits an Urlaubsorten präsentieren. Ihre Meinung ist schließlich die richtige. So plädiert Caro Daur auf der einen Kachel für das Recht auf Wasserversorgung und lässt sich auf der anderen an den luxuriösesten Badeorten dieser Welt fotografieren. Influencerin Charlotte Weise kritisiert den vielen Feinstaub und die Abgase in der Luft, hat aber zum Glück die passende Hautcreme von Lavera dabei, die mit dem „Anti-Pollution-Komplex“, die die Haut von Umweltverschmutzungen befreit. Und natürlich waren fast alle von ihnen schon mal auf einer Fridays-for-Future-Demo, im coolen Vintage-Look natürlich.

Doch die Werbebranche geht noch einen Schritt weiter, sie vereinnahmt nicht nur den feministischen und politischen Protest, sie vereinnahmt auch die Menschen, die real dafür stehen, bzw. dafür gestanden haben. Eines der traurigsten Beispiele ist die Fußballerin Megan Rapinoe, der der Schneid vom Dessous-Hersteller „Victoria’s Secret“ abgekauft wurde. Einst warb der Unternehmer Leslie Wexner, der gute Kontakte zu dem Pädosexuellen Jeffrey Epstein pflegte, mit Models, die in Slips und BHs und großen Engelsflügeln über den Laufsteg staksten. Die sind nun aus der Mode. Jetzt hüllt er echte Emanzen in Dessous.

So wie Megan, die Ausnahme-Fußballerin, die Feministin, die dafür bekannt ist, furchtlos ihre Meinung zu sagen und sich offen mit Donald Trump anlegte. Noch vor wenigen Jahren hatte Rapinoe über „Victoria’s Secret“ gehöhnt: „Was diese Kleidung dem männlichen Blick vermittelt ist sexistisch und patriarchisch.“ Jetzt fungiert Rapinoe als „Marken-Botschafterin“ für die sexistische Unterwäsche. Ebenfalls von Leslie Wexner gekauft wurden das Plus-Size-Model Paloma Elsesser und die Tech-Investorin Priyanka Chopra Jonas sowie die Fotografin Amanda de Cadenet, die auf ihrer Plattform #Girlgaze junge Fotografinnen fördert.

Influencerinnen lassen sich für alles Mögliche instrumentalisieren

Wirkungsvoll setzen Influencerinnen sich jetzt also für die „gute Sache“ ein. Die Kacheln sind voll von Botschaften wie #fightsexism, #freetampons oder #sisterhood. „Feministische Themen“ drehen sich um Cellulite, Menstruation oder Awareness gegen Catcalling und Bodyshaming. Das Thema Body Positivity ist besonders perfide. Natürlich ist es gerade für junge Mädchen bestärkend, wenn sie Stars sehen, die sagen: Steht zu eurem Körper! Nur hat der Großteil der Influencerinnen Bodys, die – dank Filterprogrammen – fast perfekt sind. Und die paar Pickel, Dellen oder Ringe, soll oft das Produkt bekämpfen, das angepriesen wird. Mütter, deren Töchter wegen Influencerinnen in die Magersucht geraten, sind schon lange alarmiert. Body Positivity ist keine Revolution, sondern eine Marketingstrategie.

Catwalk war gestern. Heute muss Mode instagramtauglich sein: schrill, mit spleenigen Accessoires wie großen Handtaschen und Gürtelschnallen, klobigen Turnschuhen. Die Labels müssen auf dem Handy gut zu erkennen sein. Das gilt für Influencerinnen jeden Alters. Unter den „Granfluencerinnen“ gehört Iran Khanoom, 91, zu den führenden. Für 270.000 ältere Followerinnen postet sie neben ironischen Sprüchen über das Älterwerden glamouröse Outfits und macht Werbung für Chanel.

Und die Influencer-Kanäle funktionieren auch über Persönlichkeit: über „Realness und Credibility“. Als 2020 die Black-Lives-Matter-Demos losgingen, posteten weltweit bestverdienende Mainstream-Influencerinnen wie Stefanie Giesinger und Caro Daur am #BlackoutTuesday schwarze Kacheln auf ihren Kanälen, zwischen dem nachhaltigen Lippenstift und der Handtasche von Gucci.

Und manchmal ebnet Werbung auch den Weg für politische Propaganda. „Strong independent women“ steht auf dem Pappschild, dass eine Influencerin vor dem Burj al Arab, dem bekanntesten Hotel Dubais, in die Höhe reckt. Sie trägt einen hellblauen Bikini, die Strandlandschaft im Hintergrund sieht aus wie aus dem Reisekatalog. Gesponsert wird diese emanzipatorische Message von der Parfümkette Douglas, die zum Weltfrauentag die Kampagne #YouAreWomen gestartet hat und von Dubai selbst.

Deutsche Influencerinnen wie Cathy Hummels, die dort mit schwangerem Bauch im Bikini posiert, rühren die Werbetrommel für Tourismus in Dubai. Sie posten unter #VisitDubai oder #DubaiLife Bilder und Videos im Pool von Luxushotels, vom Frühstücksbuffet im eigenen Apartment, von Sonnenuntergängen an puderweißen Stränden. Sie machen Foto-Shootings in der Wüste, Partys auf Yachten, reiten mit Jet-Skis über die Wellen. Dafür verpflichten sich die Influencerinnen, das hardcore muslimische Emirat in einem Scharia-konformen Licht darzustellen: Auf den Fotos und Videos gibt es keinen Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit, keine homosexuellen Beziehungen, kein Wort über die Unterdrückung von Frauen. Und auch kein Wort über Prinzessin Latifa, die Tochter des Emir, die von ihrem eigenen Vater entführt und gefoltert wurde.

InfluencerInnen sind die neuen Supertargets im Marketing - und in der Politik?

Das genügt der Werbe-Industrie noch nicht. Sie geht noch einen Schritt weiter. Sie benutzt nicht nur Menschen, die eigentlich für Inhalte stehen, zur Umsatz-Steigerung – sie schafft sogar selber Figuren, die scheinbar für Inhalte stehen, in Wahrheit aber Werbeträgerinnen sind. Das spektakulärste Beispiel dafür ist Amanda Gorman, die junge schwarze Dichterin, die am 20. Januar 2021 ein Gedicht auf dem Capitol Hill zur Amtseinführung von Joe Biden in Prada gehüllt vortrug. Das war kein Zufall. Seit 2019 wird sie systematisch von der italienischen Luxusmodefirma aufgebaut. Im April 2019 kleidet Prada Gorman für den „Women in the WorldSummit“ in New York ein. Im November 2019 referiert die Dichterin auf der Prada-Konferenz über „Unternehmensphilosophie im Zeichen der Nachhaltigkeit“. Gormans Auftritt im Namen des Anti-Rassismus, der Emanzipation und der Demokratie im Januar dieses Jahres war vermutlich der erfolgreichste Werbeauftritt einer Modefirma aller Zeiten.

Influencerinnen und „Markenbotschafterinnen“ sind Meinungsführerinnen, propagieren Produkte und Marken. Niemand wirbt so zielgerichtet wie sie. Warum nicht auch für die Parteien? Die Influencerinnen sind die Supertargets im Marketing. Tschüss Carrie, hello Amanda.

Und das gilt auch für die Politik. Als der YouTuber Rezo (der übrigens auch für Sky, Adobe oder Granini wirbt) vor drei Jahren die CDU mit seinen 1,7 Millionen Followern disste, schienen politische Einmischungen dieser Art noch ein Novum zu sein. Dann gingen Medienforscherinnen Anna Sophie Kümpel und Diana Rieger mit einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung der Frage nach: Kann Instagram auch Politik? Ergebnis: Yes, it can! Und wie! Ein Blick auf aktuelle Kommunikationsaktivitäten von PolitikerInnen zeigt, dass Instagram auch für sie immer relevanter wird, besonders im Wahlkampf. Sie kopieren das erfolgreiche Prinzip der InfluencerInnen: Robert Habeck beim Joggen, Dorothee Bär mit Hund, Kevin Kühnert im Fußballstadion und Markus Söder auf Radtour. Meist ist alles komplett inszeniert, wirkt aber authentisch und „nahbar“. Es macht PolitikerInnen vordergründig zu Menschen, hintergründig zu WerbeträgerInnen ihrer selbst.

Und bei der Gelegenheit lässt sich auch endlich die vierte Gewalt aushebeln: die Medien. MedienforscherInnen befürchten generell eine „Lifestylisierung“ der Politik. Die inszenierten Bilder könnten dazu führen, dass sich die Auswahl an kommunizierten Themen nicht mehr an deren Wichtigkeit, sondern an ihrer Darstellbarkeit, ihrer „Instagramability“ orientiert. Und das nicht nur auf Instagram, sondern in allen Medien. Bilder beeinflussen das Unbewusste stärker als Texte.

Es gibt die Befürchtung, die Demokratie könnte Rechtsradikalen zum Opfer fallen. Vielleicht wird sie aber von einer ganz anderen Seite her ernsthaft bedroht.

WEITERLESEN Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt: Influencer (Suhrkamp, 15 €)

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