Die Golden Girls

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Sie lieben Frauen und wollen das auch im Alter nicht verbergen müssen, sondern leben können. Sie haben Glück. Gerade geht es los mit den Plänen fürs homosexuelle Altern.

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Wir schreiben das Jahr 1956. Es war das Jahr, in dem Brigitte zum ersten Mal einem Mädchen an den Busen fasste. Brigitte war damals 20 Jahre alt und wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, dass sie in dieses Mädchen verliebt sein könnte.
Gut, die beiden wollten unbedingt zusammenziehen. Weil Brigittes Eltern das nicht erlaubten junge Damen wohnten damals entweder möbliert zur Untermiete oder mit dem Ehegatten , sondern ihre Tochter lieber weiter unter der schützenden Hand des Dortmunder Mädchenwohnheims wissen wollten, half die junge Bürogehilfin nach: Wer dreimal abends zu spät ins Heim kam, flog raus. Also kam Brigitte dreimal zu spät, flog raus und durfte doch mit Beate zusammenziehen.
Zu der ungeheuerlichen Berührung kam es, als die beiden zum Feiern ihres gemeinsamen Hausstandes eine Flasche Sekt aufmachten. Der zeigte durchschlagende Wirkung, "denn wir tranken ja damals nur Sinalco. Und dann, ehe ich mich's versah, hab ich ihr an den Busen gepackt." Und sie? "Sie hat mir eine geknallt." Damit war für Brigitte das Thema Frauenliebe bis auf weiteres erledigt. Das tauchte erst 20 Jahre später wieder auf. Als sie von ihrem Mann nach 14 Jahren Ehe wieder geschieden war und die drei Kinder schon in der Pubertät.
Ganz anders Christa. Die hatte Anfang der 60er Jahre in ihrem Dorf im Bergischen Land schon ein Mädchen gefunden, das sich sehr gern von ihr befummeln ließ: Traudel. Die Ohrfeige kam von jemand anders: "Als ihr Vater gesehen hat, wie sie mich umarmte, da kriegte die dermaßen ein paar um die Ohren, dat kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen!" Die 18-jährige Christa nahm all ihren Mut zusammen und erklärte dem Vater, es sei nichts Schlimmes. Die Freundin habe sie nur trösten wollen.
Bald darauf heiratete Christas Freundin, genau wie all die anderen jungen Frauen, in die sie sich verliebt und mit denen sie Affären hatte. "Und das war für mich auch total normal, dass die alle geheiratet haben", erzählt die heute 56-Jährige mit der Reibeisenstimme. "Es ging ja nicht anders." Ihr Coming-Out hatte Christa mit 50. An ihrem Geburtstag lud sie alle zusammen ein: ihre Nachbarn, ihre Familie und ihren lesbischen Freundinnenkreis aus Remscheid. "Wer's da nicht kapiert hat, war selber schuld."
"Dat Ziel eines jeden Menschen is zu heiraten. Ich wusste et nit anders." Also hat Susi, heute 73, mit 21 geheiratet. Sechs Jahre später, anno 1957, wurde sie von einer Frau verführt. "Und da dachte ich: Huch, da is ja noch wat!" Bis zur Scheidung dauerte es noch ein paar Jahre. "Aber dann", sagt die Frau im eleganten Rollkragenpulli mit Goldkette, ohne mit der Wimper zu zucken, "hab ich nie mehr nen Mann an mich jelassen." Susi richtete nun ihr Augenmerk auf Frauen. Für die Fotolaborantin bot sich da die Dunkelkammer an. Beherzt hat sie in der eine Kollegin geküsst. "Und die hat wiederjeküsst", erzählt sie, immer noch ein bisschen stolz. "Ich war sehr mutig damals."
Solche Geschichten haben nicht alle erlebt. Nicht die heterosexuellen Freundinnen, die jüngst goldene Hochzeit im Eigenheim gefeiert haben; nicht die schwulen Freunde, die sich schon in den 50ern in einschlägigen Lokalen tummelten; und auch nicht die jungen Szenegängerinnen, die mit Coming-out-Filmen und Homo-Jugendzentrum groß geworden sind.
Vor gut einem Jahr haben die rund 20 Frauen, die heute Abend mal wieder um den langen Holztisch in der Kölner Rubensstraße 810 sitzen, deshalb wieder einmal ihren Mut zusammengenommen. Sie hatten eine Anzeige gelesen: Lesbischer Stammtisch für Frauen ab 55. Aufgegeben hatte die Brigitte, heute 67, die nach der Trennung von ihrer Freundin schon drei Jahre ohne Kontakte zu anderen älteren Lesben in Köln hockte und davon die Nase voll hatte. Zum ersten Treffen kamen vier Frauen, der Rest wenig später. Am 14. Januar 2002 war es so weit: Die Golden Girls wurden gegründet.
Seitdem trifft sich in den Räumen des schwul-lesbischen Beratungszentrums Rubicon jeden zweiten und vierten Montag im Monat ganz wie das kultige TV-Vorbild ein "herrlicher Gänsehaufen, der viel und gern lacht." Dazu kommen gemeinsame Fahrten ins Bonner Frauenmuseum, eine frauengeschichtliche Schiffstour auf dem Rhein oder ein Besuch der lesbischen Karnevalssitzung. Einmal haben die Golden Girls auch eine Fachanwältin eingeladen, die über Erbrecht und PatientInnenverfügungen bei Homosexuellen referiert hat. Demnächst geht Girl Brigitte zum ersten Treffen des städtischen SeniorInnennetzwerks Altstadt-Süd. Aber egal, ob Spaß oder Ernst, das Wichtigste bei den Golden Girls ist, sagt Gründerin Brigitte, "dass du hier nicht das Gefühl hast, du redest von böhmischen Dörfern." Das Gefühl hat sie zum Beispiel bei den drei anderen Frauen ihrer Lerngruppe vom Seniorenstudium. Als sie denen sagte, dass sie in einer lesbischen Gruppe sei, "da sah ich, wie die zusammenzuckten." In Annas Chor singen ebenfalls nur Heteras, "und da stößt man immer an eine Mauer."
Die Golden-Girls-Generation ist nicht nur in der Zeit des §175 groß geworden, der noch bis 1969 männliche Homosexualität mit Gefängnis bedrohte, sondern auch in der Prä-Emanzipations-Ära. "Meine Chorfrauen gestalten ihr Leben rund um ihre Männer", ärgert sich die 66-jährige Anna noch immer. "Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Lesben über 50 jetzt auch mal zusammenrotten!"
Das Phänomen ist relativ neu. Während im Zuge wachsender gesellschaftlicher Toleranz in den letzten Jahren alle möglichen Gruppen in der so genannten Szene das Licht der Welt erblickten, während sich lesbische Lehrerinnen, schwule Väter oder homosexuelle TürkInnen in Initiativen zusammentaten und schwul-lesbische Jugendzentren entstanden, blieb es um die älteren Lesben still.
Die traditionell schon immer sichtbareren und in Sachen Lobbyarbeit geschulteren schwulen Männer riefen schon 1995 zum ersten Fachkongress Schwule und Alter "Gay and Gray". 140 Teilnehmer debattierten in Köln über Freizeitangebote für ältere Schwule, den Jugendkult der Szene oder die Probleme eines späten Coming-outs von Familienvätern. "Dieser Kongress war die Initialzündung", erklärt Stefan Jüngst, seines Zeichens nordrhein-westfälischer Landeskoordinator für schwule Senioren. In vielen Städten gründeten sich Gay and Gray-Gruppen, und schon bald wurde über homosexuelle Wohnprojekte und Pflegeheime diskutiert.
Langsam, aber sicher wagen sich nun auch die homosexuellen Seniorinnen ans Tageslicht. Die homosexuelle Kulturrevolution, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat, gibt ihnen Mut, den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen. Und die Öffentlichkeit scheint sich zusehends für sie zu interessieren. Bis zum Jahr 2050 wird mindestens jeder dritte Mensch in Deutschland über 60 sein, prognostiziert das Kuratorium Deutsche Altershilfe, und schätzt die Zahl der Homosexuellen im Rentenalter auf 2,3 Millionen. Die Mehrheit, etwa 1,3 Millionen, werden weiblich sein. Was bei fünf Prozent aktiv lesbisch lebender Frauen bedeutet: 650.000 Golden Girls allein in Deutschland! Da muss angebaut werden am Stammtisch. Doch: Es liegen kaum gesicherte sozial- und pflegewissenschaftliche Erkenntnisse über Lebens-, Wohn- und Pflegesituationen älterer Lesben und Schwuler vor, klagt das Kuratorium. Im vergangenen Jahr hat es Unterrichtseinheiten entwickelt, die den angehenden AltenpflegerInnen mehr Verständnis für homosexuelle HeiminsassInnen nahe bringen sollen.
Etliche Bundesländer wollen dem Datenmangel jetzt abhelfen. So läuft in Niedersachsen gerade eine Studie zur Situation älterer homosexueller Frauen und Männer. Das Hessische Sozialministerium lud Ende letzten Jahres zur Fachtagung "Lesben und Schwule im Alter". Und in NRW wird in Bälde eine Wissenschaftlerin damit beginnen, die Lebenssituation älterer Lesben zu erforschen. Die (Homo-)Hauptstadt hat die Nase vorn: Da gab das Senatsamt für die Gleichstellung gerade die Broschüre "Älter werden - ältere Lesben und Schwule in Berlin" heraus.
BALSAM, der Berliner Arbeitskreis lesbischer und schwuler alter Menschen, hat gar VertreterInnen der Senioren- und Bezirksämter an einen runden Tisch geholt. Ein Ergebnis: Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bietet das Seniorenamt seit zwei Jahren ein spezielles Freizeitprogramm für homosexuelle SeniorInnen an, um sie aus ihrer Isolierung herauszuholen. Denn in den Alteneinrichtungen lebten ältere Lesben und Schwule häufig in einem Umfeld, in dem Homosexualität nach wie vor vollständig tabuisiert ist.
Das bedeutet konkret: Niemandem von der verstorbenen Lebensgefährtin erzählen können, von der Zimmergenossin geschnitten werden, vor dem Pflegepersonal einen wichtigen Teil des Lebens verstecken etc. etc.. Kein Wunder, dass vielen vor dieser Perspektive graut und sie sich Gedanken über Alternativen machen. Die meisten Golden Girls können sich vorstellen, bei dem Wohnprojekt für lesbische und schwule Senioren dabei zu sein, das zur Zeit in Köln geplant wird. Auch in Berlin startet gerade das Village e.V., ein Wohnprojekt für rund 50 ältere Lesben und Schwule. Und in Frankfurt das AltenpfleGayheim, das erste seiner Art in ganz Europa. Rund 25 Plätze für betreutes Wohnen soll das Heim haben, plus weitere 35 im Pflegebereich. Im Förderkreis des AltenpfleGayheims sitzen illustre Menschen aus Stadt und Land, darunter die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU). Wenn alles gut geht, wird noch in diesem Herbst der Grundstein gelegt. Beim letzten Planungs-Workshop des AltenpfleGayheim waren über die Hälfte der InteressentInnen Frauen. Walter Paul, selbst ehemaliger Leiter eines Altenheims, legt allergrößten Wert darauf, dass das Projekt "kein Männerladen wird. Auch wenn die Frauen schon verkündet haben, dass sie im Foyer keine Bilder mit nackten Männern wünschen."
Es ist aber nicht nur ein ganz anderer Umgang mit Sexualität, der das Zusammenleben der homosexuellen HeimbewohnerInnen erschweren wird. Nicht nur die größeren Ängste der Frauen, die, wie Paul inzwischen begriffen hat, ihr Coming-out oft viel später hatten als die Männer. Was gemeinsame Wohnprojekte schon im Ansatz schwierig macht, ist schlicht: das Geld. Nirgendwo klafft die Einkommenslücke so weit auseinander wie bei alten homosexuellen Männern und Frauen: Während die Männer klassischerweise zu den wohlhabenden DINKs gehören (double income, no kids) waren die oftmals geschiedenen Frauen nach ihrer Ausbildung nicht berufstätig. Und stehen jetzt, im Gegensatz zu ihren heterosexuell lebenden Altersgenossinnen, ohne Versorger da.
Unter den 20 Golden Girls hat gerade mal eine Handvoll keine Familienpause eingelegt. "Uns wurde damals bei der Hochzeit noch geraten, uns unsere Rentenanwartschaften auszahlen zu lassen, die wir bis dahin erworben hatten", erzählt Brigitte. Sie hat von der ihren eine Küche gekauft. Die Rentenanteile ihres Mannes aus 14 Jahren Ehe gingen ihr mit der Scheidung verloren. "Deshalb komme ich jetzt nur auf 27 Rentenjahre." Fazit: Die Geldfrage ist ein Drama, gerade bei älteren Lesben, die allein leben!
Deshalb steht für die Golden Girls leider noch in den Sternen, wie sich das gemeinsame Wohnprojekt finanzieren lässt. Bereits einen Weg gefunden hat das Sappho Frauenwohnstift. Gegründet von Mitgliedern von SAFIA, einem rund 500-köpfigen Verband von Lesben ab 40, hat die Stiftung in den fünf Jahren ihrer Existenz bisher vier Wohnprojekte in Hannover, Lüneburg, Wüs-tenbirkach und Charlottenberg gegründet. Die sind allerdings bewusst komplett männerfrei.
So streng sind die Golden Girls in Sachen Geschlechtertrennung nun auch wieder nicht. Im letzten Sommer hatten die Golden Gays die Damen zum Grillen eingeladen. "Also, mit denen in einer Hausgemeinschaft zu wohnen, das können sich die Girls schon vorstellen. Aber nur unter einer Bedingung: Wir wollen eine eigene Frauenetage!" Tür an Tür mit Männern zusammenleben? "Aus dem Alter sind wir raus."

Golden Girls c/o Beratungszentrum Rubicon, 

www.rubicon-koeln.de/ALTER.142.0.html www.village-ev.de,
www.sappho-stiftung.de

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