Vergewaltigung: Grenzen der Justiz

Elisa Hoven, Professorin für Straf- und Strafprozessrecht an der Uni Leipzig und Rechtsanwalt Philipp Ehlen.
Artikel teilen

Ein Mann T misshandelt seine Partnerin F fast zwei Jahre lang. Er verbietet ihr Kontakte zu anderen Männern, kontrolliert ihr Handy. Wenn sie bei der Arbeit doch einmal mit Kollegen spricht, wird er gewalttätig. T sperrt sie in der Wohnung ein, schlägt, würgt und bespuckt sie. Als F eines Abends dem Pizzaboten Geld gibt, rastet T aus. Er zieht sie an den Haaren ins Schlafzimmer, wirft sie aufs Bett und erklärt ihr, dass sie niemanden so freundlich anzusehen habe. Sie gehöre ihm, er werde ihr schon zeigen, wer hier der Mann sei. Dann vergewaltigt er sie. F weint die ganze Zeit über. Die Tat hat für die junge Frau schwere Folgen. Sie muss sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Das Verhältnis mit dem Angeklagten war ihre erste feste Beziehung, ihr Verhältnis zu Männern ist seitdem gestört. 

Anzeige

Diese Vergewaltigung von F ist nicht die einzige Tat, die T vor Gericht vorgeworfen wird. Auch spätere Verbindungen waren von körperlicher und seelischer Gewalt geprägt. Das Gericht bescheinigt ihm eine „verfestigte Fehleinstellung“ im Verhältnis zu Frauen. 

Der Kachelmann-Prozess fand 2010/11 statt. (Hier Prozessbeobachterin Alice Schwarzer vor Journalisten). Kachelmanns Prozess ist trotz Freispruch in diesem Fall ein Paradebeispiel für die strukturellen Unzulänglichkeiten der Justiz bei Sexualstrafverfahren. Der einer mutmaßlichen Vergewaltigung angeklagte Jörg Kachelmann wurde vom Landgericht Mannheim nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen. Es sei möglich, dass die Zeugin lüge, aber auch, dass der Angeklagte lüge, erklärte der Ric
Der Kachelmann-Prozess fand 2010/11 statt. (Hier Prozessbeobachterin Alice Schwarzer vor Journalisten). Kachelmanns Prozess ist trotz Freispruch in diesem Fall ein Paradebeispiel für die strukturellen Unzulänglichkeiten der Justiz bei Sexualstrafverfahren. Der einer mutmaßlichen Vergewaltigung angeklagte Jörg Kachelmann wurde vom Landgericht Mannheim nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen. Es sei möglich, dass die Zeugin lüge, aber auch, dass der Angeklagte lüge, erklärte der Richter ausführlich. Man habe jedoch leider auch nach acht Monaten Verhandlung „die Wahrheit nicht finden können“. In diesem Artikel geht es allerdings um Verurteilte und niedrige Strafen.

Wer meint, dass T nun im Gefängnis Zeit für eine Therapie haben wird, der irrt. Das Landgericht Stralsund verurteilt ihn wegen der Vergewaltigung von F zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – und setzt sie zur Bewährung aus. Positive Sozialprognose. T darf weiterhin als Arzt tätig sein.

Ein Argument des Gerichts für die milde Strafe lässt besonders aufhorchen. Sämtliche Opfer hätten „dem Angeklagten nicht frühzeitig klare Grenzen aufgezeigt“ und ihn „durch ihr Verhalten in seinen Fehleinstellungen bestärkt“. Die Strafe fällt also geringer aus, weil die Frauen sich nicht offensiv gewehrt hatten. Ein Lehrbuchbeispiel für die Täter-Opfer-Umkehr. Und für ein fehlendes Verständnis für die Dynamiken in Beziehungen, aus denen sich die Betroffenen nur schwer befreien können.

Die aktuelle März/April-Ausgabe gibt es als Print-Heft und eMagazin im www.emma.de/shop
Die aktuelle März/April-Ausgabe gibt es als Print-Heft und eMagazin im www.emma.de/shop

Die Begründung des Stralsunder Gerichts für das milde Urteil ist vielleicht nicht die Regel in der deutschen Strafjustiz. Inzwischen sind viele Richterinnen und Richter sensibel gegenüber dem Leid der Opfer. Und auch der angerufene Bundesgerichtshof hat zwar die Begründung der Stralsunder Entscheidung nicht grundsätzlich beanstandet, die Sache aber zumindest zurückverwiesen für eine erneute Beurteilung.

Keine Ausnahme ist jedoch das niedrige Strafmaß für ein schweres Sexualdelikt. In der aktuellen März/April-EMMA werfen Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Leipzig und Philipp Ehlen, Rechtsanwalt in Leipzig, einen Blick in die bundesweite Strafverfolgungsstatistik und stellen die Ergebnisse ihrer Studie vor.

Jetzt den ganzen Artikel lesen.

 

 

Artikel teilen
 
Zur Startseite