Frauenwahlrecht - eine Chronik

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1791 Die Französin Olympe de Gouges fordert als erste Frau das Frauenwahlrecht. In Artikel IV ihrer „Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne“ erklärt sie: „Das Gesetz muss Ausdruck des allgemeinen Willens sein; alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung persönlich oder durch ihre Vertretung mitwirken.“

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1792 In England fordert Mary Wollstonecraft in ihrer „Vindication of the rights of woman“ die Bürgerrechte und damit das Stimmrecht auch für Frauen.

Vorneweg im Kampf für das Frauenwahlrecht: die Frauen-Zeitung von Louise Otto.
Die Frauen-Zeitung von Louise Otto.

1793 Der revolutionäre Konvent in Paris beschließt, dass „Kinder, Irre, Minderjährige, Frauen und Kriminelle kein Bürgerrecht genießen“.

1849 Die 1848er-Revolutionärinnen Louise Dittmar und Louise Otto, Herausgeberin der Frauen-Zeitung, fordern als erste deutsche Frauen das Frauenstimmrecht.

1867 In England gründen Frauenrechtlerinnen die „National Union for Women’s Suffrage“.

1867 Hedwig Dohm erklärt in ihrem Werk „Der Frauen Natur und Recht“ das Frauenwahlrecht zur Schlüsselforderung: „Für mich liegt der Anfang alles wahrhaften Fortschritts auf dem Gebiet der Frauenfrage im Stimmrecht der Frauen. Die Gesetze sind gegen sie, weil ohne sie.“

1888 Minna Cauer gründet den Verein „Frauenwohl“, dem Dohm und weitere Aktivistinnen des radikalen Flügels, wie Anita Augspurg und Helene Stöcker, ­beitreten. Der Verein fordert das Frauenstimmrecht.

1891 Die SPD nimmt das Frauenstimmrecht in ihr Wahlprogramm auf.

1893 Neuseeland führt als erstes Land der Welt das (aktive) Frauenwahlrecht ein.

Neuseeländrische Abgeordnete feiern 125 Jahre Frauenwahlrecht!
Neuseeländrische Abgeordnete feiern 125 Jahre Frauenwahlrecht!

1896 Nachdem der Reichstag eine Reform des frauenentmündigenden Bürgerlichen Gesetzbuchs abgelehnt hat, findet im Dezember in Berlin die erste „Internationale Frauenkonferenz“ statt.

1899 Acht Frauenverbände gründen den „Verband fortschrittlicher Frauenvereine“. Der Verband fordert, – im Gegensatz zum gemäßigten „Bund deutscher Frauenvereine“ – das Frauenstimmrecht.

1. Januar 1902 In Hamburg gründen Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg den ersten deutschen Frauenstimmrechtsverein, den „Deutschen Verband für Frauenstimmrecht“.

1902 Australien führt als zweites Land der Welt das Frauenstimmrecht ein.

1903 In England gründen Emmeline Pankhurst und ihre Tochter Christabel die „Women’s Social and Political Union“ (WSPU), um den Kampf für das Frauenstimmrecht zu radikalisieren. Motto: „Deeds, not words“ – Taten statt Worte.

12. Juni 1904 Frauen aus zwölf Ländern gründen in Berlin unter Leitung der US-Suffragette Susan B. Anthony den „Internationalen Bund für Frauenstimmrecht“.

Eine Finnin gibt ihre Stimme ab.
Eine Finnin gibt 1906 ihre Stimme ab.

1906 Als erstes europäisches Land führt Finnland das Frauenstimmrecht ein. 1913 folgen Norwegen und Dänemark.

1907 Der „Deutsche Verband für Frauenstimmrecht“ bringt die Zeitschrift für Frauenstimmrecht heraus.

19. März 1911 Unter dem Motto „Heraus mit dem Frauenwahlrecht!“ gehen in Deutschland und Österreich Zehntausende Frauen auf die Straße.

4. Juni 1913 Die britische Suffragette Emily Davison wirft sich beim Epson Derby vor das Pferd des Königs. Sie stirbt an ihren Verletzungen.

28. Juli 1914 Der I. Weltkrieg bricht aus und spaltet die Frauen(stimmrechts)-Bewegung in Kriegsbegeisterte und Pazifistinnen.

17. Januar 1916 Zum ersten Mal lehnt der Reichstag eine Resolution des Frauenstimmrechtsbundes nicht ab, sondern reicht sie an den Reichskanzler weiter.

4. November 1918 Vertreterinnen von Stimmrechtsverbänden, Parteien und Gewerkschaften verabschieden in den letzten Kriegstagen mit Blick auf die neue Republik eine gemeinsame Resolution: „Die Versammlung erklärt die politische Rechtlosigkeit der Frauen für unvereinbar mit einer demokratischen Regierung.“ Tausende Frauen demonstrieren in Berlin, Hamburg und München für das Frauenwahlrecht.

12. November 1918 Der Rat der Volksbeauftragen beschließt das Wahlrecht für „alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen“. Auch in Österreich erhalten Frauen das Wahlrecht. In England dürfen Frauen ab 30 Jahren wählen, ab 1928 ab 21 Jahren.

19. Januar 1919 Zum ersten Mal dürfen Frauen in Deutschland wählen. Bei der ersten freien Wahl der Weimarer Republik gehen 82 Prozent der Frauen an die Wahlurnen.

Die Frauen stehen Schlange, um am 19. Januar 1919 zum ersten Mal ihre Stimme abzugeben.
Die Frauen stehen Schlange vor den Wahllokalen, um am 19. Januar 1919 zum ersten Mal ihre Stimme abzugeben.

19. Februar 1919 37 der 423 Abgeordneten der Nationalversammlung, die zum ersten Mal tagt, sind weiblich, das entspricht knapp neun Prozent. Als erste Frau hält die Sozial­demokratin Marie Juchacz eine Rede im Par­lament. Der Frauenanteil im Parlament der Weimarer Republik wird in den folgenden Jahren um sechs Prozent liegen.

30. Januar 1933 Die Nationalsozialisten erkennen Frauen das passive Wahlrecht ab. Frauen können von nun nicht mehr als Abgeordnete gewählt werden.

14. Mai 1949 Der Parlamentarische Rat beschließt das Grundgesetz, in dem es nun heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Um diesen Satz hatten die vier Frauen im 61-köpfigen Parlamentarischen Rat hart gekämpft und waren von Frauenprotesten im ganzen Land unterstützt worden. Der Frauenanteil im BRD-Bundestag beträgt 6,8 Prozent. 6. Oktober 1949 Die DDR verabschiedet ihre Verfassung, darin heißt es: „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau  entgegen­stehen, sind aufgehoben.“ Der Frauenanteil in der DDR-Volkskammer beträgt 23 Prozent.

7. Februar 1971 Die Schweizer Männer beschließen per Volks­abstimmung, dass Frauen künftig das Wahlrecht erhalten sollen.

 

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Wer waren die Pionierinnen?

Eine Demonstration für das Frauenwahlrecht in Berlin.
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17. November 1918. Die Frankfurter Paulskirche platzt aus allen Nähten. So viele enthusiastische Frauen strömen in das geschichtsträchtige Gebäude, dass es Schlagzeilen in der Weltpresse macht. Allen voran meldet Jus Suffragii die Sensation: „The German Revolution in the first days of its glorious victory has announced equal citizen and economic rights for both sexes, and thereby given the women the vote for all corporate bodies“, schreibt die in London erscheinende Zeitschrift des „Weltbundes für Frauenstimmrecht“.

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Minna Cauer 1896: "Die Frau gehört nicht mehr ins Haus. Sie gehört in dieses Haus: den Reichstag!"
Minna Cauer 1896: "Die Frau gehört nicht mehr ins Haus. Sie gehört in dieses Haus: den Reichstag!"

Nur einen Tag nach Kriegsende erhielten die deutschen Frauen das Stimmrecht. Und diesen ­Triumph, so Jus Suffragii, feierten sie mit einer „überwältigenden Massendemonstration“. Es ist ein Triumph, für den sie ein halbes Jahrhundert lang gekämpft hatten – und bis zur letzten Minute.

Fünf Tage zuvor, am 12. November, hatte die provisorisch eingesetzte Regierung in ihrem „Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk“ die Anerkennung der Frauen als vollwertige Bürgerinnen verkündet. Bis dato hatten Frauen in Sachen Bürgerrechte mit Minderjährigen und geistig Behinderten auf einer Stufe gestanden. Ab nun galt: „Alle Wahlen zu öffent­lichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“

Nachdem die Jubelfeiern, die auch in München, Hamburg, natürlich Berlin und überhaupt in ganz Deutschland stattfinden, abgeklungen sind, macht sich emsige Betriebsamkeit unter der weiblichen Wahlbevölkerung breit. Man hatte sie so lange von den Wahlurnen ferngehalten und eingelullt mit der Behauptung, das politische Geschäft widerspreche ihrer „natürlichen Bestimmung“. Nun sind die Frauen wild entschlossen, mit größtmöglicher Kompetenz von ihrem Recht Gebrauch zu machen.

„Eine Wandlung hat sich im Weltall vollzogen wie nie zuvor: Frauen Deutschlands, Ihr werdet als gleichberechtigte Bürgerin dieses Staates gelten!“ jubelt die Frauenrechtlerin Minna Cauer in ihrer Zeitschrift Die Frauenbewegung und appelliert „An die Frauen Deutschlands“: „Eine konstituierende Nationalversammlung ist in Vorbereitung. Ihr könnt mitwählen! Bereitet euch würdig dafür vor. Frauen Deutschlands, Ihr werdet alle gerufen! Seid Mitarbeiterinnen, Helferinnen, Kämpferinnen für eine neue Zeit!“

Louise Otto 1849: "Ein Recht, das jetzt den Unwissendsten im Volke zusteht, muss auch für das Weib da sein."
Louise Otto 1849: "Ein Recht, das jetzt den Unwissendsten im Volke zusteht, muss auch für das Weib da sein."

Viele Frauen lassen sich das nicht zweimal sagen. „Kein Saal in den Großstädten ist groß genug, um die Massen der Frauen zu fassen, die sich politisch unterrichten wollen; in allen Kreisen und Berufen, auf dem Lande und in der Stadt wird jetzt von Frauen Politik getrieben und alle Kreise der Frauen sind erfüllt von brennendem Drange, ihr Wahlrecht auszuüben“, berichtet Die Frau im Staat. Die Herausgeberinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, zwei der kühnsten deutschen Streiterinnen für das Frauenstimmrecht, prognostizieren: „Es steht heute schon fest, dass die Beteiligung der Frauen bei den Wahlen sehr groß sein wird.“ Sie werden recht behalten.

Am Wahlsonntag, dem 19. Januar 1919, werden 82 Prozent der deutschen Frauen ihren Stimmzettel in die Urnen werfen! Und so wählen an diesem historischen Tag 15 Millionen Männer – und 17,7 Millionen Frauen die erste demokratische Nationalversammlung Deutschlands.

„Ihr Wunsch, ihre Stimme abzugeben, war so groß, dass die Frauen in langen Schlangen auf Einlass warten mussten“, berichtet Jus Suffragii stolz. Die Fotos von jenem Sonntag zeigen ein schwarz-weißes Meer von Hüten, das sich durch die Straßen windet. Damenhüte mit Schleifen, Pelzbesatz oder Blumenschmuck.

Dazwischen gelegentlich ein Herrenhut. „In Scharen“ seien die Wählerinnen herbeigeströmt und hätten „von früher Morgenstunde an ganze Straßenzüge entlang vor den Wahllokalen ‚Polonaise‘ gestanden“, berichtet Die Frauenfrage, das Zentralblatt des „Bundes Deutscher Frauenvereine“. „Auf den alten und jungen Frauengesichtern“ beobachtet Frauenrechtlerin Marie Stritt „etwas von einer neuen Würde und Sicherheit, von einem neuen Selbstbewusstsein und bescheidenen Bürgerstolz: Auch auf mich kommt es heute mit an! Auch ich darf mitreden, wo es um Wohl und Wehe des Vaterlandes geht!“

Olympe de Gouges 1791: "Das Gesetz muss Ausdruck allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung mitwirken."
Olympe de Gouges 1791: "Das Gesetz muss Ausdruck allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung mitwirken."

Aber nicht nur die neuen Wählerinnen strahlen stolz. Stritt: „Ein neuer Ausdruck lag auch auf dem Gesicht so manches ehrsamen Wählers, der an der Seite der Gattin oder der erwachsenen Tochter dem Wahllokal zustrebte, ein Ausdruck von kameradschaftlicher Hochachtung, wie sie bisher, zumal an solchen Tagen, nur dem eigenen Geschlechtsgenossen entgegengebracht wurde.“ Lange, sehr lange hatten die Gattinnen und Töchter um diese „Kameradschaftlichkeit“ ringen müssen, die Simone de Beauvoir 40 Jahre später im „Anderen Geschlecht“ als Utopie und „Geschwisterlichkeit“ bezeichnen wird.

Noch wenige Monate vor der Verkündung des Frauenwahlrechts hatte der Reichstag – wieder einmal – die Forderung nach dem Frauenstimmrecht mit großer Mehrheit als „unerhört“ und „ungeheuerlich abgelehnt“. „Verweiberung“ drohe, eine „Jungfernherrschaft“ stehe zu befürchten, wenn der Staat von der „giftigen Frucht am Baume der Frauenemanzipation“, dem Frauenstimmrecht, koste, zeterte der „Deutsche Bund gegen die Frauenemanzipation“ noch 1916. Die Politik bedürfe „männ­licher physischer und geistiger Kraft“ sowie „Entschlussfreudigkeit und unbeugsamen Todesmutes“; die Frau hingegen bleibe „im Kampf um das Dasein unter allen Umständen in gewissem Grade unfrei und vom Schutze und der Fürsorge des Mannes abhängig“. Daher sei die Frau als vollberechtigte Staatsbürgerin ein „Widerspruch in sich“. (...)

Dieser Textauszug über die feministischen Pionierinnen, die für das Stimmrecht gekämpft haben, ist Teil eines Dossiers in der November/Dezember EMMA. Darin geht es außerdem um die Suffragette Emmeline Pankhurst; die Österreicherinnen, die 1918 das Wahlrecht erstritten haben; die aktuelle Forderung nach "Parité in den Parlamenten"; sowie eine Chronik über die Stationen der Frauen auf dem Weg in die Politik. Ausgabe bestellen

 

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