Die Schuldigen bestrafen!
Kurz vor dem Start des Weltklimagipfels in Glasgow war sie als Expertin sehr gefragt: Friederike Otto, 39, Professorin für Klimaforschung am Imperial College in London und eine der Hauptautorinnen des aktuellen Weltklimaberichts des IPCC. Bei einer Live-Veranstaltung des Göttinger Literaturherbsts, zu der sie aus ihrer Wohnung in London zugeschaltet war, berichtete sie am 29. Oktober auch über brandaktuelle Ergebnisse ihres Fachs, der Attributionsforschung, zu Wetterereignissen des laufenden Jahres, die uns allen noch frisch in Erinnerung sind. Das Hochwasser an Ahr und Erft im Juli 2021, so fanden Otto und ihre Kollegen am 23. August heraus, war zwar auch unter heutigen Umständen ein Extremereignis, wie es statistisch gesehen nur alle hundert Jahre vorkommt. Der menschgemachte Klimawandel hat es aber um einen Faktor 2 wahrscheinlicher gemacht.
Die extreme Hitzewelle im Nordwesten der USA und an der kanadischen Pazifikküste im Juni 2021, bei der Waldbrände eine ganze Kleinstadt zerstörten, wäre dagegen „ohne den Klimawandel niemals aufgetreten“, so Friederike Otto im Göttinger Livestream. Bei der entsprechenden Studie, die bereits am 7. Juli erschien, war sie die Hauptautorin. Steige die mittlere Temperatur der Erde jedoch noch weiter – auf 2 Grad mehr als vor Beginn der Industrialisierung – würden der entsprechenden Region alle fünf bis zehn Jahre extreme Hitze und Brände drohen.
So genau und so schnell können Klimaforscher heute eine Wetterkatastrophe statistisch einordnen und die Rolle des Klimawandels als Mitverursacher berechnen. Dass das überhaupt geht, ist zu nicht geringem Teil der jungen Deutschen zu verdanken, die in Berlin Physik und danach noch Philosophie studiert hat. Sie hat die Attributionsforschung zwar nicht selbst erfunden. Aber: „Ich habe die Geschwindigkeit erhöht, in der wir Antworten geben.“
Otto: Nur wer die Ursachen kennt, weiß, wie er handeln muss!
Sehr gut kann sie auch erklären, was Wissenschaftler dabei tun. Sie benutzen Klimamodelle, „wie sie auch jeder Wetterdienst benutzt“, und lassen sie viele Male rechnen – etwa einen typischen Juli an der Ahr berechnen. Dasselbe machen sie dann mit Daten, aus denen die Treibhausgase herausgerechnet sind – so als wären nie massenhaft Kohle, Gas und Erdöl verfeuert worden. Sie simulieren damit eine hypothetische Welt, die es nie gegeben hat. Aus dem Vergleich der beiden Simulationen lässt sich der Anteil erschließen, den der menschgemachte Klimawandel an einem extremen Wetterereignis hat.
Der ist übrigens nicht immer schuld, wenn irgendwo das Wetter spinnt. Das machte Otto am Beispiel einer gefährlichen Dürre im brasilianischen São Paulo im Sommer 2014/2015 klar. Ihre damaligen Berechnungen ergaben keinerlei Zusammenhang mit dem Klimawandel. Stattdessen hatte die rasante Bevölkerungszunahme in der Millionenstadt, gepaart mit einem exponentiellen Anstieg des Wasserverbrauchs, zu der Krise geführt.
„Wer die Ursachen kennt, weiß, wie er handeln muss“, das macht Friederike Otto auch in ihrem Buch „Wütendes Wetter“ deutlich, das 2019 erschienen ist und sich immer noch sehr gut verkauft. „Hält ein Deich einem Jahrtausendereignis nicht stand, zieht das ganz andere Maßnahmen nach sich, als wenn er unter einem häufig zu erwartenden Ereignis zusammenbricht. Ebenso fällt die Reaktion anders aus, wenn die Wahrscheinlichkeit für ein Wettereignis ab- statt zunimmt.“
Die Zeit der Klimaleugner und pseudowissenschaftlicher Studien ist vorbei!
Auch die Kosten, die der Klimawandel mit sich bringt, lassen sich dank der Attributionsforschung besser abschätzen als bisher, erklärte Otto ihrem Göttinger Publikum. Denn wie hoch der Schaden eines Extremereignisses ist, wird ja in der Zeit danach recht genau ermittelt.
Und noch etwas ist ihr ein Anliegen: dass die wahren Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. „Firmen wie Exxon, BP und auch RWE haben pseudowissenschaftliche Studien veröffentlicht, haben Klimaleugner für sich sprechen lassen und Zweifel an der seriösen Klimaforschung gesät.“ So sei viel zu lange abgewartet und viel zu spät umgesteuert worden. Nun aber trauen sich immer mehr Geschädigte, diese Firmen zu verklagen. Sie könnten in Zukunft dank Attributionsforschung eher Recht bekommen. „Denn mit unseren Daten können wir die Beweiskette zwischen Ursache und Schaden schließen.“