Die mutigen Frauen Kabuls
Die Taliban haben den Frauen Afghanistans alles genommen. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf Bildung, auf Menschenwürde, ja sogar das Recht darauf, ihr Gesicht, ihr Menschsein außerhalb ihrer Wohnungen zu zeigen. Doch einige mutige Frauen geben nicht auf. Um genau zu sein: 42.
42 Frauen haben sich in Kabul zusammengeschlossen, 22 Demos haben sie seit dem letzten Sommer auf die Beine gestellt. Fast immer wurden sie schon nach wenigen Minuten von den Taliban gestoppt. Waren Journalisten vor Ort, wurden denen die Kameras abgenommen und die Frauen verhaftet. Waren keine Journalisten vor Ort, wurden die Frauen niedergeschlagen oder wie in einem Fall in einem Parkhaus eingeschlossen. Was dort mit ihnen passierte, ist nicht an die Öffentlichkeit gedrungen.
Die große Hoffnung ist, dass der Westen den Krieg gegen Frauen als solchen erkennt
„Wir wollen als menschliche Wesen leben und nicht als Tiere, die in einer Häuserecke gefangen gehalten werden“, sagte eine der Anführerinnen, Munisa Mubariz. Mit elf ihrer Mitstreiterinnen ging sie am 10. Mai im Shahr-e-Naw-Viertel von Kabul gegen das neue Verhüllungsdekret der Taliban – den Burka-Zwang, sowie den Erlass, dass Frauen "zu Hause zu bleiben haben, wenn keine wichtige Arbeit draußen zu tun ist“, auf die Straße. „Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!“, schrien die Frauen, unverhüllt und mit Transparenten in der Hand: „Nehmt Frauen nicht als Geiseln!“ oder „Stoppt die Tyrannei gegen Frauen!“. Nach zwölf Minuten nahmen die Taliban die Frauen gefangen, einige von ihnen sind verprügelt worden.
Die große Hoffnung der protestierenden Frauen ist dennoch, dass der Westen endlich den Krieg gegen die Frauen als solchen betrachtet und die Taliban nicht als „normale“ Regierungsoberhäupter anerkennt. „Weiter zu demonstrieren und auf uns aufmerksam zu machen, ist unsere einzige Chance! Wir Frauen sind die Hälfte der Bevölkerung, und wir werden in Afghanistan nicht mehr als Menschen behandelt. Wir werden als Geiseln gehalten!“, so eine weitere Demonstrantin der 42.
Nichts von den Hilfsgeldern wird bei notleidenden Menschen ankommen!
Derweil versuchen die Taliban, gezielt Lobbyarbeit in Europa zu betreiben, um Hilfsgelder vom Westen zu bekommen. „Die Taliban inszenieren sich derzeit als die einzigen, die das Land noch vor der Hungersnot retten könnten“, sagt die Exil-Afghanin und Frauenaktivistin Fathma M. aus Köln. Die Welthungerhilfe warnt vor einer dramatischen Hungerkrise, 95 Prozent der Bevölkerung Afghanistans könnten sich nicht mehr ausreichend ernähren. Die Lage, ausgelöst durch die Repressalien der Taliban und durch steigende Lebensmittel- und Saatpreise wegen des Ukraine-Kriegs, sei verheerend. Doch: „Nichts von den Hilfsgeldern wird bei den notleidenden Menschen ankommen, und schon gar nicht bei den Frauen und Mädchen!“, so Fathma M., die – genau wie ihre Schwestern in Kabul - dafür plädiert, jeden Cent, der an Afghanistan geht, an Rechte für Frauen zu knüpfen.
Denn für sie alle wird das alltägliche Leben immer schwerer. Taliban patrouillieren in den Straßen und schlagen auf Frauen ein, die keine Burka tragen. Neuerdings werden auch Ehemänner verhaftet, wenn ihre Frauen unverhüllt unterwegs sind – das erhöht den Druck. Weiterhin bleiben die Schulen für Mädchen ab zwölf Jahren geschlossen. Hungernde Familien verkaufen ihre Töchter, verheiraten sie immer früher noch im Kindesalter oder verkaufen mittlerweile sogar Organe von Kindern, die auf dem Schwarzmarkt 3.000 Dollar bringen.
Und der Westen?