Die Mutter bin ich!
Dass Mütter nicht loslassen können, ist eine der beliebtesten Ausreden von Vätern, sich nicht oder zumindest wesentlich weniger als die Mutter, um das eigene Kind zu kümmern. Väter beschweren sich über Gluckenmütter, die nicht abgeben könnten oder über Ex-Partnerinnen, die ihnen den Zugang zum Kind verwehren: Ich würde ja gerne, aber meine Frau/Ex-Frau/die Mutter meines Kindes lässt mich nicht.
Ich habe mittlerweile zwei Kinder und hatte bisher keine Probleme mit Müttern, die nicht loslassen können. Und das ist kein Zufall. Ich war und bin im Umgang mit meinen Töchtern zwar oft genug überfordert; ich war und bin oft genug unsicher. Aber das geht nicht nur mir so: Auch eine Mutter sieht ihr Kind nach der Geburt zum ersten Mal. Auch Mütter haben nicht sofort eine Beziehung zu dem nach der Geburt blutverschmierten, röchelnden und schreienden kleinen Menschen. Auch eine Mutter weiß nicht automatisch, wie ein Baby am einfachsten zu wickeln ist und wann genau es Hunger hat. Auch eine Mutter muss sich dieses Wissen und die Beziehung zu ihrem Kind erst erarbeiten.
Ich bin oft überfordert. Ich bin oft unsicher. Aber das geht auch Müttern so.
Seit ihrer Geburt lebt meine mittlerweile sechsjährige große Tochter überwiegend bei mir. Mit ihr war ich zwölf Monate in Elternzeit. Meine kleinere Tochter ist gerade drei Monate alt. Ich habe – in Absprache mit den Müttern – jeweils von Geburt an deutlich gemacht, dass ich lernen möchte, den Umgang mit meinen Töchtern auch eigenverantwortlich zu gestalten und zu organisieren. Ich habe vermittelt, dass ich viel Zeit in die Beziehung zu meinen Töchtern investieren möchte und dafür auch gerne bereit bin, beruflich in erheblichem Maße zurückzustecken. Ich habe vermittelt, dass es meinen Töchtern bei mir gut geht, dass es ihnen bei mir an nichts fehlt, dass ich weiß, was ich tue, dass ich auch alleine gut für sie sorgen kann, dass ich dauerhaft für sie da sein werde und dass ich versuche, alle anfallenden Aufgaben mitzudenken.
Die Verantwortung für ein Kind wiegt schwer. Auch mir fällt es schwer, loszulassen, wenn ich weiß, dass ich als Hauptbezugsperson meiner großen Tochter dafür verantwortlich gemacht werde, wenn es ihr nicht gut geht oder wenn ich zuhause bleiben muss, wenn das Kind krank geworden ist, weil es mit einer anderen Person unterwegs war: ohne Mütze. Die Gesellschaft vermittelt Müttern tagtäglich, dass sie es sind, die für ihre Kinder verantwortlich sind. Ob eine Mutter diese Verantwortung abgeben kann, hängt in erheblichem Ausmaß davon ab, wie sich der Vater verhält.
Das erste Jahr ist komplett an den Bedürfnissen des Babys ausgerichtet. Die Zeit ist geprägt von Schlafmangel, immer gleichen Aufgaben und täglicher Sorge. Die Betreuung, Versorgung und Pflege eines Kindes ist in dieser Zeit ein 24-Stunden Job. Wie selbstverständlich ist es in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle noch immer die Mutter, die diesen Job übernimmt.
Wer auch unangenehme Aufgaben übernimmt, wird selten davon abgehalten.
Auch seit der Einführung des Elterngelds hat sich an der Arbeitsaufteilung besonders im ersten Lebensjahr eines Kindes nicht viel geändert. Wenn Väter überhaupt in Elternzeit gehen, dann meistens nur für die zwei so genannten Vätermonate. Nur sechs Prozent der Väter nehmen mehr als diese zwei Monate in Anspruch. Und in überhaupt nur rund einem Drittel der Fälle nehmen beide Elternteile die Elternzeit nacheinander. Väter, die im ersten Jahr selbstständig und auch alleine Verantwortung für die Pflege-, Betreuungs- und Erziehungsaufgaben eines Kindes für mehr als nur zwei Monate übernehmen, gibt es also statistisch noch immer nicht in relevanter Anzahl.
Was im ersten Jahr alles zu tun ist, reicht gut und gerne, um auch zwei Menschen ausreichend zu beschäftigen. Ich kenne keine hauptverantwortliche Mutter, die in dieser Zeit unglücklich über Unterstützungsangebote wäre. Wer wie selbstverständlich auch unangenehme Aufgaben eigenverantwortlich übernimmt, wird in den seltensten Fällen davon abgehalten. So, wie sich einige Väter anstellen, ist es jedoch für eine Mutter manchmal einfacher, die Aufgaben schnell selbst zu erledigen, als den Vater mühsam einzuweisen. Wer ständig danach fragt, wo denn jetzt die Windeln aufbewahrt werden, ob das Kind Hunger hat, wann der Kinderarzt ansteht oder sich nur die schönen Aufgaben aussucht, ist im Zweifelsfall keine Unterstützung, sondern eine zusätzliche Belastung. Es ist nicht die Aufgabe der Mutter, den Vater im Umgang mit dem Kind einzuweisen.
Wer jahrelang eher als Wochenendpapa oder als so genannter neuer Vater im Rahmen weniger Elternzeitmonate gastiert hat, wer Vollzeit gearbeitet hat, wer sich ums Durchschlafen, den Kitaplatz oder die Krankheit des Kindes bisher kaum Gedanken machen musste, der darf sich nicht beschweren, wenn sich eine andere Person gezwungenermaßen verantwortlicher fühlt. Und wer dann beispielsweise im Falle einer Trennung plötzlich Ansprüche stellt und mehr für das eigene Kind da sein möchte, braucht sich nicht wundern, wenn die Mutter erst einmal skeptisch ist.
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