Pionierinnen des Equal Pay
Keine Frage, die Reden der Müllheimer Bürgermeisterin Astrid Siemes-Knoblich werden auch in Jahrzehnten noch zum Nachlesen im Archiv der Stadt zu finden sein. „Unglaublich, dass wir darüber überhaupt diskutieren mussten“, sagt die 61-jährige frühere Unternehmensberaterin.
Unglaublich ist so einiges, was Siemes-Knoblich während ihrer achtjährigen Bürgermeisterzeit im Markgräferland ganz im Süden Deutschlands erlebt hat. Der Hammer kam aber nach der Amtszeit: Ihr Nachfolger bekam wie auch schon ihr Vorgänger mehr Gehalt als sie. Siemes-Knoblich klagte auf Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. Im März dieses Jahres gab das Verwaltungsgericht Freiburg der Klage statt. Müllheim muss Siemes-Knoblich 50.000 Euro nachzahlen, die gesamte aufgelaufene Lohndifferenz.
Frauen haben Grundsatzurteile erstritten, hinter die Gerichte nicht zurück können
Die Ex-Bürgermeisterin und eine Handvoll anderer mutiger Frauen haben in den vergangenen Monaten eine Reihe von Grundsatzurteilen erstritten, die den Kampf um gleichen Lohn deutlich vorangebracht haben. Noch immer ist Deutschland, das Land der Rabenmütter, eines der Schlusslichter, was die Gleichbezahlung von Männern und Frauen in Europa angeht: Frauen verdienen hierzulande im Durchschnitt 18 Prozent weniger, wenn die Bruttostundenlöhne verglichen werden. Weil Frauen aber öfter in schlecht bezahlten Berufsgruppen, in sogenannten „Frauenberufen“ arbeiten, wird dies in einer weiteren Rechnung „bereinigt“, also herausgerechnet. Doch selbst dann bleibt beim direkten Vergleich ähnlich Qualifizierter eine Gender Pay-Lücke von sieben Prozent.
Das 2017 in Kraft getretene „Entgelttransparenzgesetz“ ermöglicht seither Frauen, in Betrieben mit über 200 Beschäftigten nachzufragen, wie Männer und Frauen in gleichwertigen Positionen bezahlt werden. Die damalige ZDF-Journalistin Birte Meier war die erste, die ihre Equal-Pay-Klage darauf gründete: Rund 800 Euro im Monat verdiente sie weniger als ihre männlichen Kollegen.
Den ersten Prozess vor dem Amtsgericht Berlin hat sie verloren, auch die zweite Instanz. „Nach heutiger Rechtsprechung hätte ich wohl längst gewonnen“, schreibt sie in ihrem im März erschienen Buch „Equal Pay Now“. Denn zwischenzeitlich haben andere Frauen Grundsatzurteile erstritten, hinter die die Gerichte nicht mehr zurückgehen können.
Da ist zum einen die Juristin Gabriele Gamroth-Günther, die bereits 2021 in einer Klage gegen ihren Arbeitgeber VHV Versicherungen eine höchstrichterliche Beweislast-Umkehr erreicht hat: Nicht die Angestellten, sondern die Unternehmen müssen nun vor Gericht nachweisen, dass sie Frauen nicht schlechter bezahlen als vergleichbare männliche Kollegen. Und da ist Susanne Dumas, eine Diplom-Kauffrau aus Meißen. Im Februar diesen Jahres sprach ihr mit dem Bundesarbeitsgericht die diesbezüglich höchste Instanz zu, dass ihr Arbeitgeber die Lohndifferenz in Gänze, verzinst und zuzüglich eines Schadenersatzes nachzahlen muss.
Ein Kernpunkt ihres Prozesses war die Frage, ob Frauen einfach deshalb schlechter verdienen, weil sie schlechter verhandeln – ein klassisches Stereotyp, das immer wieder in der Equal-Pay-Diskussion auftaucht. Hier war das Bundesarbeitsgericht ebenso klar und eindeutig wie in der Frage der Nachzahlung der Lohndifferenz: Verhandlungsgeschick rechtfertigt keinen Gehaltsunterschied, so die Richter und Richterinnen.
Die Fair-Pay-Expertin Henrike von Platen hält das für „bahnbrechend“. Bislang sei so oft argumentiert worden, dass Frauen einfach besser verhandeln, lauter auftreten oder wie auch immer sonst sich einfach „männlicher“ verhalten müssten. Doch dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichtes mache klar, dass sich nicht die Frauen, sondern das System ändern müsse. „Don’t fix the women, fix the system“, zitiert von Platen ein im angelsächsischen Raum längst bekanntes – und auch beachtetes – Verhaltensmuster.
Bereits 1963 wurde beispielsweise in den USA der „Equal Pay Act“ vom damaligen Präsidenten John F. Kennedy unterzeichnet. Doch es brauchte fast ein weiteres halbes Jahrhundert, bis sich so viele Frauen durch die Instanzen klagten, dass Präsident Barack Obama 2009 den sogenannten „Lily Ledbetter Fair Pay Act“ vorstellte: Ledbetter hatte ihren Arbeitgeber, den Reifenhersteller Goodyear, zwar erfolgreich wegen Lohndiskriminierung bis vor den Obersten Gerichtshof verklagt. Doch weil wichtige Fristen verstrichen waren, bekam sie keinerlei finanzielle Entschädigung.
Naming und Shaming erwies sich in England als erfolgreiche Strategie
Das korrigierte dann das nach ihr benannte Gesetz, was zu einer weiteren Flut von Prozessen führte. „Die USA machen es vor“, betitelt Journalistin Meier deshalb auch das diesbezügliche Kapitel in ihrem Buch „Equal Pay Now“. Eines der jüngeren Beispiele, die Schlagzeilen machten, war die Klage der US-Fußball-Frauen: Zwar haben fünf Top-Spielerinnen der Frauennationalmannschaft ihre Klage vor Gericht verloren. Doch die darauf folgende öffentliche Kontroverse war so groß, dass sich der U.S. Soccer Verband nach sechs Jahren Auseinandersetzung im Februar 2022 bereit erklärt hat, 24 Millionen US-Dollar an Gehältern nachzuzahlen und das Gehaltsniveau von Männern und Frauen im US-Fußball anzugleichen.
In Großbritannien müssen Firmen mit über 250 Beschäftigten seit 2017 ihre internen Lohnlücken veröffentlichen. „Wir haben damit gerechnet, dass die Ergebnisse unangenehm würden“, zitiert Meier die damalige britische Premierministerin Theresa May. Wie unangenehm, das zeigte besonders plastisch zum Equal Pay Day 2022 ein extra darauf programmierter Bot. Während beispielsweise eine Finanzgruppe ihre „Goldman-Sachs-Frauen“ weltweit per Twitter-Tweet feierte, meldete der Bot direkt dazu, dass der Gender Pay Gap bei Goldman Sachs 36,8 Prozent betragen würde.
„Naming and Shaming“ wird diese Strategie auch genannt. Sie ist sehr erfolgreich. Ebenfalls in Großbritannien hat beispielsweise der damalige Chef des Billigfliegers Easyjet freiwillig sein Gehalt reduziert, nachdem der Bot auch dort aufgrund der staatlich ermittelten Zahlen gravierende Gehaltsunterschiede gemeldet hat.
So gelten ähnliche Transparenzgesetze bereits in Frankreich, Dänemark und Schweden. Wer sich weigert, den Gender Pay Gap zu reduzieren, muss beispielsweise in Frankreich mit empfindlichen Geldstrafen von bis zu einem Prozent der gesamten Gehaltssumme des Unternehmens rechnen. Als besonders vorbildlich gilt international das kleine Island. Dort gibt es seit 2017 mit dem sogenannten „Equal Pay Standard“ ein branchenübergreifendes Audit- und Zertifizierungssystem, das jede Firma mit über 25 Mitarbeitenden beachten muss. Bei Missachtung drohen empfindliche Geldstrafen. Alle drei Jahre muss der Audit wiederholt werden.
So obliegt es in Island „den Unternehmen, für faire Behandlung zu sorgen und diese nachzuweisen“, wie Entgelt-Expertin von Platen auf ihrer Homepage schreibt. In Anlehnung an das isländische Vorbild hat sie 2017 das „Fair Pay Innovation Lab“ als Non-Profit-Organisation gegründet. Mit dem „Universal Fair Pay Check“ hat die Unternehmensberaterin dabei einen Instrumentenkasten aufgebaut, um Firmen auf gendergerechte Bezahlung zu zertifizierten. Je nach Ergebnis gibt es dabei mehrere Stufen. Mit dem Autobauer BMW AG wurde in diesem Jahr das erste deutsche Unternehmen mit der höchsten Zertifizierung ausgezeichnet. Der bereinigte Gender Pay Gap liegt dort nun nur noch bei „knapp unter einem Prozent“, wie eine BMW-Pressemeldung stolz verkündet.
„Gefühlt ist der Fortschritt eine Schnecke“, sagt von Platen, die auch viele Jahre Schirmherrin der deutschen „Equal Pay Day-Kampagne“ war. Und doch setzt sie vor allem auf die Kraft der positiven Beispiele. „Ich baue darauf, dass all das Piksen dazu führt, dass die Unternehmen von sich aus aktiv werden“, sagt sie. Viele Gender Pay Gaps basierten auf oftmals unbewussten Vorurteilen, meint von Platen: „Die Zertifizierung schafft Transparenz und das ist meiner Erfahrung nach der schnellste Weg, Ungerechtigkeiten zu beseitigen.“
Noch immer werden Frauen grundsätzlich niedriger eingestuft als Männer
Selbst wenn die direkten Lohnungleichheiten beseitigt sind, bleibt allerdings immer noch das mindestens ebenso große Problem der grundsätzlichen Einstufungen – und die Frage, welches Entgelt uns welcher Beruf wert ist. Ex-Bürgermeisterin Siemes-Knoblich ist dafür ein Paradebeispiel: Der Gehaltsunterschied zwischen ihr und ihrem Vorgänger und Nachfolger resultierte darin, dass der Gemeinderat sie als Frau niedriger eingestuft hatte als die Männer. „Das ist eine Besonderheit von Baden-Württemberg“, erklärt die Kommunalexpertin. Sie hat inzwischen „Go! Female“ als gemeinnütziges Unternehmen gegründet, um „Frauen sichtbar zu machen“.
Allzu oft sei das Gehalt davon geprägt, „wie viel Budget- und Personalverantwortung der Mitarbeitende“ hat, so Siemes-Knoblich: „Und da hat der Leiter des Steueramtes immer bessere Karten als die Leiterin der Kita.“ Sie sieht in der fehlenden Sichtbarkeit von Frauen mit einen der Gründe, dass „typische“ Frauenberufe durch die Bank schlechter bezahlt werden als männlich dominierte Berufe. Deshalb seien aus ihrer Sicht beispielsweise auch alle Tarifverträge in Hinsicht auf diese Eingruppierungen zu überprüfen.
Siemes-Knoblich hält genauso wie von Platen Transparenz für den entscheidenden Beschleuniger auf dem Weg zur Entgeltgleichheit. „Die Höhe des Gehalts ist ein Tabu in Deutschland“, sagt sie. Das aber sei ein riesiges Problem, das jeder und jede von uns selbst angehen kann: „Fragen Sie sich, wie ist es bei dir, holen Sie das Thema aus der Tabu-Ecke.“ Sie selbst hat sich vor ihrem Gerichtsverfahren von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beraten lassen und empfiehlt das auch weiter.
Die vielleicht größte Hoffnung aber setzen beide Frauen auf die neue Lohntransparenz-Richtlinie der Europäischen Union, die im Juni dieses Jahres verabschiedet wurde. Sie sieht eine Reihe von neuen Auskunftsrechten vor: So müssen Arbeitgeber künftig schon in der Stellenausschreibung ein Einkommensband angeben und dürfen nicht mehr nach dem früheren Einkommen fragen.
Vor allem aber müssen Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten künftig regelmäßig von sich aus über das geschlechtsspezifische Lohngefälle informieren. Liegt es bei mindestens fünf Prozent und kann nicht anhand objektiver geschlechtsneutraler Faktoren erklärt werden, muss die Firma gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern eine Entgeltbewertung vornehmen.
Soll die Lohnlücke in Deutschland schneller schwinden, braucht es politischen Druck
Geschädigte sollen künftig auch leichter klagen können, beispielsweise über Sammelklagen. Grundsätzlich muss das Unternehmen beweisen, dass es nicht diskriminiert, ansonsten drohen empfindliche Sanktionen und auch Entschädigungen für die betroffenen Mitarbeitenden. So zumindest steht es in der Brüsseler Richtlinie. Wie – und vor allem wann – das in das jeweilige Recht der Mitgliedsländer umgesetzt wird, ist offen. Drei Jahre haben die EU-Mitgliedsstaaten Zeit. Spätestens 2026 also muss die EU-Lohntransparenzrichtlinie auch in Deutschland umgesetzt sein.
Soll es schneller gehen, ist politischer Druck notwendig. „Es geht nur mit kritischer Masse“, sagt Go-Female-Gründerin Siemes-Knoblich: „Die Leistungen von Frauen müssen sichtbarer gemacht werden“. Das war auch der Grund, warum sie dafür gesorgt hat, dass ihre Reden als Bürgermeisterin im Archiv jederzeit verfügbar sind. Sie ist derzeit dabei, die Arbeit der allerersten Bürgermeisterin einer deutschen Großstadt aufzuarbeiten: Louise Albertz, die von 1946 bis 1948 Oberhausen geführt hat.
Wie es damals um die Entgelt-Gleichheit stand, ist schwierig zu rekonstruieren. Sicher aber ist, dass Albertz eine Kandidatin für ein weiteres Projekt von Siemes-Knoblich wäre – auch hierzulande wie in den USA eine „National Women’s Hall of Fame“ zu etablieren, in der die Leistungen von Frauen gefeiert werden.