Von den Alten lernen

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Schon die historischen Frauenrechtlerinnen haben sich mit den Prostituierten solidarisiert - und die Prostitution und Zuhälterei bekämpft: von Lida G. Heymann bis Bertha Pappenheim.

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Es scheint mir ratsam, die Frage nach vier Richtungen hin zu beleuchten: und zwar die Wirkungen der Reglementierung der Prostitution auf Staat und Behörde, auf Männer und Frauen, auf die Kinder und auf die Prostituierten selbst.
Beginnen wir also mit Staat und Behörde. Es kann doch nicht bestritten werden, dass diese, indem sie die Prostitution regeln, die Berechtigung derselben anerkennen. Sie stempeln die Prostitution zu einem Gewerbe, sagen zu den Frauen, unterwerft euch den polizeilichen Vorschriften und dann prostituiert euch nach Belieben, aber löst euch einen Gewerbeschein.
Bei der kasernierten Reglementierung verwirren sich die Begriffe von Recht und Unrecht derartig, dass der Staat, der vorbildlich wirken soll, Recht und Unrecht nicht mehr von einander zu unterscheiden weiß. So ist sich z.B. der Hamburgische Staat der lächerlichen Rolle gar nicht bewusst geworden, welche er auf dem internationalen Kongreß gegen den Mädchenhandel in Frankfurt 1902 gespielt hat. In seinen eigenen Mauern kaserniert und reglementiert er den Mädchenhandel, aber zur Bekämpfung des internationalen entsendet er keine offizielle Vertretung. Der Staat läßt zu, dass mit seinem Wissen Kuppelei getrieben wird.
Betrachten wir nun die moralischen Wirkungen der Reglementierung auf Männer und Frauen, so äußern sich die selben als stete Wechselwirkung untrennbar voneinander. Der Frau wird vom Staate der Stempel einer Ware aufgedrückt und der Mann zaudert keinen Augenblick, sie als solche anzusehen. Dass tausend, und vielleicht mehrere tausend Männer Frauen dessen ungeachtet als ihnen gleichwertige Geschöpfe anerkennen, kann hier nicht in Betracht kommen. Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Ich rede von der Allgemeinheit und da haben meine Erfahrungen während sieben Jahren sozialer Tätigkeit mich gelehrt, dass die brutale Verachtung der Männer für das weibliche Geschlecht eine ihrer Hauptwurzeln in der Reglementierung der Prostitution hat.
Durch den Verkehr mit den reglementierten Prostituierten erwerben sich die Männer Ansichten über das Sexualleben, die für die sittlich intakte Frau physiologisch und psychologisch ein Faustschlag sind. Die völlig verschiedene Auffassung von Männern und Frauen auf diesem Gebiet ist doch zweifelsohne die Basis der meisten, fast möchte ich sagen, aller unglücklichen Ehen und sie sind die Folge der vorehelichen Prostitutionsgewohnheiten der Männer.
Zu Beginn meiner sozialen Tätigkeit schenkte ich all den unzähligen Leidensgeschichten der Ehefrauen, ich bekenne es offen, keinen Glauben. Als ich dann aber später mit unseren Hamburgischen Bordellen und den dort gepflogenen Gewohnheiten bekannt wurde, da fand ich plötzlich den Schlüssel zu all den Brutalitäten und tierischen Rohheiten der Männer. Mit einem Schlage wurde mir klar, dass die Männer ihren Körper in den staatlich sanktionierten Bordellen ruinieren und sie an ihrer Seele gleich großen Schaden nehmen. Darauf wird, meines Erachtens, in dem ganzen Kampf gegen die Reglementierung der Prostitution nicht genug hingewiesen.
Die meisten Frauen empfinden wohl den unüberbrückbaren Abgrund, der sie auf sexuellem Gebiet seelisch und körperlich vom Manne trennt. Sie ahnen aber die wahre Ursache nicht, weil man sie gelehrt hat, mit den Augen des Mannes zu sehen - und der erzählt ihr von der Prostitution, was er für sie zu wissen für gut hält. So finden wir denn heute leider noch viele Frauen, die für die Prostitution eintreten und sie als notwendiges Übel betrachten. Sie blicken mit der größten Verachtung auf die Prostituierten herab und wollen nicht begreifen, dass diese das Produkt gesellschaftlicher Einrichtungen sind.
Gehen wir über zu den moralischen Wirkungen auf das Kind. Der körperlich und seelisch durch die Prostitution heruntergekommene Mann hat sein bestes Ich in verkaufter, staatlich sanktionierter Liebe vergeudet. Dieser Mann gründet eine Familie. Was für Eigenschaften werden Kinder, die solcher Ehe entsprießen, ihrem Vater zu danken haben? Von dem verderblichen Einfluss, den das Bordellwesen auf größere Kinder ausübt, sprach ich schon, sie liegen auf der Hand, bedürfen keiner weiteren Erwähnung.
Beschäftigen wir uns nun einen Augenblick mit den Wirkungen auf die Prostituierten selbst. Ich gehöre nicht zu denen, die annehmen, dass die in Bordellen wohnenden Prostituierten alle Dulderinnen seien. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass sehr viele, wenn sie den ersten Widerwillen gegen die Unnatur ihres Gewerbes überwunden haben, trotz der entsetzlichen Zwangsverhältnisse, unter denen sie leben, sich für einige Jahre scheinbar glücklich und zufrieden fühlen können. Rasch verbraucht, sterben sie früh, oder treiben in späteren Jahren selbst Kuppelei. Nachfrage regelt das Angebot bei der reglementierten Prostitution wie überall; werden derselben heute Mädchen entzogen, so werden sie morgen durch neue, womöglich noch jungfräuliche Opfer ersetzt.
Verhindern wir die Nachfrage. Mütter, erziehet eure Söhne besser! Bekämpfen wir die "staatliche Reklame" für die Prostitution. Durch die Reglementierung werden die Prostituierten zur Kaste gestempelt, behandelt wie eine Ware, die untersucht wird, ehe der Käufer den Kaufpreis zahlt.
Zweifelsohne wird durch die Bordellwirtschaft auch der internationale Mädchenhandel befördert. Die Besitzer sind untereinander fest organisiert, stehen in gegenseitigen Beziehungen mit den Mädchenhändlern anderer Länder; es liegt ja klar auf der Hand, wenn tatsächlich Beweise auch schwer zu erbringen sind, dass die Mädchenhändler in den Bordellwirten die bestverbündeten, die sichersten Hehler ihrer unsauberen Kaufgeschäfte finden.
Die Prostituierte, die um kein Haar tiefer steht als der von ihr Gebrauch machende Mann, stößt die Gesellschaft aus. Was nützt alle Frauenbewegung, was nützt uns wirtschaftliche Gleichheit, wenn wir Frauen uns nicht aus der Geschlechtsknechtschaft befreien. Leider haben noch viel zu wenig Frauen begriffen, dass hier alle Frauen der ganzen Welt gleich empfinden sollten.
Lida Gustava Heymann
In EMMA u.a. zum Thema Prostitution: Serie Frauenhandel & Prostitution EMMA 5/04-3/05;

Prostitution abschaffen! EMMA 3/03;

 

Wem nutzt das Hurengesetz? EMMA 1/02; Macht Prostitution frei? EMMA 10/1980. - Siehe auch:

 

www.emma.de/prostitution_1_2007.html

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