„Die Frauen sind die Wütendsten!“

Foto: Attila Husejnow/Zuma Wire/IMAGO
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Joanna, du hast in einem Interview gesagt, der Sieg der Opposition und der Regierungswechsel in Polen sei den Frauen und zuallererst den Feministinnen zu verdanken.
Feministinnen – also alle Frauen, die für ihre Rechte kämpfen, auch wenn sie sich nicht als Feministinnen bezeichnen – sind unter der PiS-Herrschaft zur wütendsten und bewusstesten Gruppe in Polen geworden. So haben die Frauenfeindlichkeit der Machthaber, ihre Besessenheit von der Gebärmutter und ihrem Inhalt, sowie ihre Arroganz und Rückständigkeit dazu beigetragen, dass sich die Reihen geschlossen haben: von Frauen wie mir, die sich seit 30 Jahren als Feministinnen definieren, und neuen Frauen, jüngeren wie älteren, die verstanden haben, dass es an der Zeit ist, den Kampf aufzunehmen. Ich bin davon überzeugt, dass die Energie der Frauenmärsche in den Straßen, die feministischen Proteste in der realen Welt wie im Internet, die politische Atmosphäre in Polen verändert haben. „You will never walk alone“ oder „Not one more“ – diese Slogans richteten sich nicht nur gegen die PiS-Regierung, sondern vermittelten auch eine fürsorgliche, schwesterliche Botschaft: Du bist nicht allein!

Was genau ist damit gemeint?
Zum Beispiel: Wir werden nicht zulassen, dass du wie andere an einer Sepsis stirbst, wenn Ärzte Angst haben, deine Risikoschwangerschaft abzubrechen! Zu Zeiten der PiS-Regierung wurden Flugblätter mit Informationen über Abtreibung und Abtreibungspillen in Toiletten, Zügen und Cafés ausgelegt, so seltsam das im 21. Jahrhundert mitten in Europa klingen mag. Ich würde gern ein paar davon als Andenken behalten, aber ich fürchte, dass sie noch gebraucht werden. Denn die PiS hat die Wahlen in Polen verloren – aber unter den Siegern gibt es nicht viele FeministInnen.

Der Kern des Protestes war also der Zorn der Frauen über das strikte Abtreibungsverbot. Wurde dieses rigide Abtreibungsverbot nicht bisher von Rechten wie Linken in Polen vertreten?
30 Jahre lang, bis zur Verschärfung des Anti-Abtreibungsgesetzes im Jahr 2020, gab es den sogenannten „Abtreibungskompromiss“, der von uns Feministinnen nie akzeptiert wurde. Denn schon diese Formulierung ist idiotisch, weil es bei Menschenrechten keine Kompromisse geben kann. Und für mich ist das Recht auf Abtreibung ein Menschenrecht. 

Hat das nicht schon mit Arbeiterführer Lech Wałęsa begonnen? Er war ja eng verbandelt mit Papst Wojtyla.
Ja. Sowohl die ehemalige antikommunistische Opposition unter der Führung von Wałęsa als auch ein bedeutender Teil der Anti-PiS-Opposition haben enge Beziehungen zur katholischen Kirche, der mächtigsten Institution in Polen. In der Zeit vor den Wahlen sah ich dieses böse Meme: „Wenn die PiS gewinnt, werden die bösen Bischöfe weiter regieren, und wenn der ‚Dritte Weg‘ gewinnt, werden die coolen Bischöfe regieren.“ Die Opposition gewann jetzt dank des „Dritten Weges“ (Trzecia Droga) – einer Koalition aus der neuen Partei „Polen 2050“, die von dem mediengewandten ehemaligen TV-Moderator Szymon Hołownia angeführt wird, und der rückwärtsgewandten Partei PSL, die in Bezug auf Frauenrechte konservativ ist. Der sogenannte „Dritte Weg“ wird die Liberalisierung des Abtreibungsverbots nicht unterstützen und sich stattdessen auf Familienfragen, Kinderrechte usw. konzentrieren. Der seriöseste Akteur auf der polnischen politischen Bühne, Donald Tusk mit seiner Partei „Bürgerplattform“, hat die Legalisierung der Abtreibung bis zur zwölften Woche versprochen. Unter seiner Anhängerschaft sind 84 Prozent für eine Legalisierung der Abtreibung. Allerdings hat mich Tusk immer an die alten Solidarność-Typen wie Wałęsa und seine Kumpel erinnert. Er spricht von Menschenrechten, meint aber Männerrechte und nutzt die Rhetorik der Frauenrechte nur für den schnellen politischen Erfolg.

Hältst du es für wahrscheinlich, dass das Abtreibungsverbot fällt und Polen nun mindestens die Fristenlösung bekommt?
Es gibt noch Hoffnung für ein Referendum über das Recht auf Abtreibung: Laut Umfragen unterstützen 60 Prozent der Polinnen und Polen eine Liberalisierung. Aber das wird Zeit brauchen. Die wahrscheinlichste Lösung ist eine Rückkehr zu dem erbärmlichen „Abtreibungskompromiss“ von vor 30 Jahren. Das bedeutet: Eine Abtreibung ist nur dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist, die Gesundheit der Frau bedroht oder der Fötus schwer geschädigt ist. In diesem Fall wäre es absolut notwendig, erstens die „Verweigerungsklausel aus Gewissensgründen“ abzuschaffen. Laut dieser Klausel hat ein Arzt das Recht, eine legale Abtreibung aufgrund seines katholischen Glaubens zu verweigern. Zweitens müsste die Hilfe zur Abtreibung entkriminalisiert werden und drittens der Verkauf der „Pille danach“ ohne Rezept zugelassen werden. Aber das wird höchstwahrscheinlich nicht geschehen. 

Und dann?
Dann wird es so sein wie bisher: Abtreibung wird ohne größere Probleme für die wenigen Frauen möglich sein, die über die entsprechenden Mittel verfügen. Frauen, die diese Mittel nicht haben, werden ungewollte Kinder zur Welt bringen oder versuchen, die Schwangerschaft auf gefährliche Weise zu beenden. Manchmal werden schwangere Frauen sterben – wie Agata, Justyna, Anna, Iza, Marta, Agnieszka, Dorota. Sie alle Opfer des Anti-Abtreibungsgesetzes. Jeder, der jetzt, im Wissen um ihr Leid und ihren unnötigen Tod, das Abtreibungsverbot unterstützt oder es wagt, vom „Abtreibungskompromiss“ zu sprechen, wird Blut an den Händen kleben haben.

Was ist dir als Frau und Bürgerin heute politisch wichtig in Polen – über das Abtreibungsverbot hinaus?
Nach zwei Legislaturperioden der PiS-Regierung muss ganz Polen geheilt werden. Das Bildungssystem, die Kultureinrichtungen, das Gesundheitswesen usw. müssen repariert werden. Wir Kunstschaffenden fordern einen staatlich geförderten Kulturbereich, der einerseits möglichst vor Politisierung geschützt ist und andererseits nicht den Launen des Marktes unterworfen ist. Der Staat sollte die kulturelle Infrastruktur vor Ort unterstützen – insbesondere Bibliotheken, Gemeindezentren auf dem Land und in kleinen Städten. Aus unserer Sicht ist es auch notwendig, das Gesetz über die Organisation und Durchführung kultureller Aktivitäten so zu ändern, dass es öffentliche Einrichtungen wirksam vor politischer Einmischung und Zensur schützt. 

Polen ist stark betroffen vom Krieg in der Ukraine. Wie stehst du zu der Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen und baldmöglichen Verhandlungen für Frieden?
Ich bin im Allgemeinen, in meinem Schreiben und in meiner Philosophie, gegen Grausamkeit. Aber ich bin auch weit davon entfernt, eine naive vegane Baumumarmerin zu sein, die in ihrer schicken Enklave in Podkowa Leśna lebt und glaubt, dass wir Gier, Grausamkeit und Krieg durch Verhandlungen aus der Menschheit verbannen können. Das Problem ist, dass diese Ideen von denjenigen vorgebracht werden, die nicht direkt vom Bösen betroffen sind, und sie haben wenig Macht, ihre Forderungen in die Tat umzusetzen. Wenn jemand eine Idee hat, wie man einen rücksichtslosen Diktator wie Putin auf friedliche Weise dazu bringen kann, den Krieg zu beenden, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen und die angegriffene Ukraine für die verursachten Schäden und Gräueltaten zu entschädigen, werde ich gerne zuhören.

Und was gäbe es noch? 
Ich bin Tierschützerin, und lebe mit vier Katzen und einem großen Hund neben einem Wald, der immer weiter zerstört wird. Deshalb hoffe ich, dass unsere Linke und der progressivere Teil von Tusks Partei versuchen werden, ihre Versprechen in Bezug auf Tier- und Naturschutz zu erfüllen. Außerdem: Am 28. November haben wir 105 Jahre Frauenwahlrecht in Polen gefeiert. Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die die Wahl gewonnen haben, sich dessen bewusster werden. Hätten die Frauen nicht in so großer Zahl gewählt, hätte die Opposition nicht gewonnen. Und hätten nur Frauen gewählt, hätte die Opposition noch viel mehr gewonnen.

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