Die Reinspergerin: komisch!

Als Gspusi von Möchtegern-Detektiv Rudi mischt Stefanie Reinsperger Niederkaltenkirchen auf.
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Du musst einfach nur runterschlucken. Dann geht das schon. Immer schlucken. Schlucken. Schlucken. Dann gewöhnst du dich an alles. An alles, was sie dir sagen, was sie in dich reinwerfen.“ Das war das „Salzburg-Gefühl“ für Stefanie Reinsperger, nachdem sie 2017 mit nur 29 Jahren den Job der Buhlschaft im legendären „Jedermann“ übernommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Karriere bereits an einem Punkt angekommen, den die meisten Schauspielerinnen nie erreichen: Schon zwei Jahre zuvor war die Burgtheater-Durchstarterin von dem Magazin Theater heute sowohl zur „besten Schauspielerin“ als auch zum „herausragenden Nachwuchstalent“ des Jahres gewählt worden.

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Ich bin außer der Norm, ich passe im Leben oft nicht dazu

Doch all das, was eigentlich Anlass zum Stolz hätte geben können, wurde oft übertüncht vom Dissen wegen ihres Körpers. „Ich habe mir immer gewünscht, dass mein Körper und ich als Frau als normal angesehen werden. Doch da haben wir noch einen sehr langen Weg vor uns.“ Denn: „Ich bin außer der Norm, ich passe im Leben oft nicht dazu.“

Die Wut über die Häme, die Übergriffe, die Abwertungen, die Dreistigkeit, die sich Menschen über ihren Körper, ihr Aussehen erlauben, bedrückte Stefanie Reinsperger lange.
Zuerst kamen die Verletzung, die Kränkung und die beklemmende Vermutung, dass diese Leute vielleicht doch recht haben könnten.

Noch im Februar 2021, als sie erstmals als „Tatort“-Kommissarin Rosa Herzog in Dortmund vor einem Millionenpublikum auftreten sollte, bekam sie, anstatt der angemessenen Vorfreude, präventive Panikattacken schon nur beim Gedanken daran, wie sich „die Hater“ nun wieder über sie äußern würden. Wie viele Kommentare und diffamierende Worte es mal wieder zu ihrer Figur geben würde. Reinsperger befürchtete, dass der Hass der vielen Trolle, „die ziemlich sicher so einsam wie feig im Unterleiberl vor ihren Laptops saßen“, sie wieder „in diesen Ausnahmezustand“ katapultieren könnten, inklusive „der Ladehemmung“. Sie schreibt: „Das ist ein Nicht-mehr-vor-oder-zurück-Können, eine Schockstarre. Das war jedes Mal so derartig verletzend, dass es mich in kilometerweite Abgründe meiner selbst katapultiert hat.“

Doch es ging gut. Denn inzwischen hatte in ihr eine Veränderung stattgefunden. Der Weg dorthin war lang, oft einsam und schmerzhaft: „Ich wusste einfach, dass ich all das nicht mehr zulassen will. Dass ich all diesen Menschen den Raum dafür nicht mehr geben will.“

Während der Lockdowns, der „Coronski-Scheiße“, wie sie es im Buch nennt, kanalisierte sie ihre Wut in einen Text, dessen eruptive, emotionale Kraft sich nur damit erklären lässt, dass er lange in ihr unterdrückt worden war. Der Text changiert zwischen extrem Persönlichem und feministischem Aufschrei und hat den Titel: „Ganz schön wütend“.

Ich werde niemandem mehr Macht über mich geben!

Die Wut der Schauspielerin richtet sich nicht nur gegen frauenverachtende Körperfeindlichkeit, sondern auch gegen toxische Männlichkeit und manche Frauen: „Natürlich hätte auch ich gerne eine Beziehung. Ich will aber bitte nicht daran kaputtgehen, wenn es nicht klappen sollte.“ Das Schreiben während der Lockdowns kam für sie einem „geilen“ Befreiungsschlag gleich, einer Art „Selbstermächtigung“, gekrönt von der Gewissheit, „dass ich niemandem mehr diese Macht über mich geben werde“.

Stefanie Reinsperger unterrichtet an der renommierten Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule Rollenstudium; und sie will nie wieder Studentinnen, deren Körper nicht dem Schlankheitsdiktat entsprechen, in Tränen ausbrechen sehen, „weil ihnen keines der Kostüme aus dem Fundus passt“. Sie beschreibt das Gefühl, aus dem sie auch mithilfe des Schreibens herausgewachsen ist, so: „Es war so klar. Ich bin wütend, aber gleichzeitig auch extrem traurig und verletzt. Ich hasse mich und meinen eigenen Körper und die Tatsache, dass ich in diese verdammte Hose in der angeblich größten Größe nicht reinpasse. Das gibt mir das Gefühl, so was von nicht dazuzugehören, nicht schön genug zu sein, und niemals in meinem Leben irgendwas schaffen zu können.“

In paradoxem Gegensatz hätte eine Schauspielerinnenkarriere kaum glatter laufen können. Die Tochter eines Diplomaten ist in London, Belgrad und Wien aufgewachsen und hatte eine „glückliche Kindheit“, sagt sie. „Ich kann mich nicht erinnern, dass mir oder meiner Schwester jemals etwas verboten wurde. Mein Papa hat uns Mädels nie gesagt, dass wir etwas nicht schaffen könnten.“

Sie schafft alles. Sie hat das Wiener Max Reinhardt Seminar mit einem Schwung genommen, sofort danach ein Engagement in Düsseldorf bekommen, gleich „groß“ gespielt, viel mit „einem der wichtigsten Menschen ihres Lebens“, dem tschechischen Regisseur Dušan David Pařízek, gearbeitet. Mit 26 Jahren wurde sie abgeworben ans Burgtheater. 2017 wechselte sie ans Berliner Ensemble, wo sie rasant in den Starstatus gehoben wurde. Die Kritiken strotzen vor Lob wie „triumphiert“, „herausragend“. Simon Strauss schrieb jüngst in der FAZ über sie: „Sie ist ein Spektakel. In jedem Moment ist sie etwas Neues, Unvorhergesehenes, noch Extremeres. Sie spielt heftiger und derber als all die anderen.“

Flashback zum traumatisierenden Auslöser für den Befreiungsschlag. Die Besetzung der Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen ist bekanntlich weniger ein kulturelles Ereignis als vielmehr ein gesellschaftliches Event. Die Rolle selbst geht in den Bierfass-Anzapf-Ritualen, Kleider-Debatten, Dekolleté-Rezensionen und Society-Berichten unter. Was für eine Signalwirkung, als mit der Wahl von Stefanie Reinsperger im Sommer 2017 stattdessen einmal in Richtung Kunst und Innovation gedacht worden war. (Das Foto auf Seite 47 aus der Jedermann-Aufführung 2017 zeigt sie mit Tobias Moretti.) Doch die anfängliche Freude, beim „Jedermann“-Spektakel eine selbstbestimmte, emanzipierte Buhlschaft neben Tobias Moretti zeigen zu können, war der damals 29-jährigen Schauspielerin bald verflogen. Denn in der Kritik und medialen Berichterstattung ging es nicht etwa um die Intensität ihres Spieles oder das Sprengen eines überholten Rollenklischees, sondern vor allem und immer wieder um den Körper der Darstellerin.

Als Draufgabe zu den medialen Tritten gab es verbale Übergriffe, bei denen wildfremde Menschen auf der Straße oder in Lokalen sich ermächtigten, „die große blonde Frau mit dem Dutt“, so ihre Selbstreferenz, auf ihre erotischen Defizite, den Mangel an Verführungskunst undundund hinzuweisen. Einmal wurde ihr in einem Lokal nachgeschrien, dass sie sich schämen sollte, die Rolle überhaupt angenommen zu haben. In einem anonymen Brief wurde ihr angedroht, dass sie mit Konsequenzen rechnen müsse, wenn man den Anblick „ihres dicken Körpers“ weiter ertragen müsse.

Schreibt uns Frauen Rollen! Gebt uns Geschichten! Quote muss sein!

„Ich dachte lange: Vielleicht haben diese Menschen ja recht. Vielleicht bin ich ja es auch gar nicht wert“, sagt sie rückblickend. „Ich habe mich nicht geschützt, denn ich hielt mich damals wohl selbst nicht für schützenswert.“ Warum hat sie sich auch später nicht über die Dreistigkeit von Medien und Menschen geäußert? „Ich dachte damals wirklich, dass ich diese Dinge mit mir allein ausmachen muss.“

Die „Reinspergerin“, wie sie sich auf ihrem Instagram-Account nennt, schreibt so, wie sie spielt: ungefiltert, schonungslos, voller Wucht, klar, ohne Umwege und mit nahezu brutaler Ehrlichkeit. So wie sie auch über die Bühne fegt: „Wenn ich spiele, bin ich voll mit Leidenschaft“, sagt sie. Befragt noch Vorbildern lautet ihre Antwort: „Menschen, die mutig für die richtigen Sachen kämpfen. Denen egal ist, wenn sie polarisieren.“

Auf der Gala-Veranstaltung zur Verleihung des „Romy“-Preises klagte die Geehrte ins Mikro: „Es ist immer noch so, dass Frauen wie ich nicht genug sichtbar sind in Film und Fernsehen!“ Und forderte: „Schreibt uns die Rollen. Schreibt uns diese Geschichten!“ Auch „Quote muss sein“, findet sie. Wenn Männer sie jetzt anjammern, dass sie einen Job nur deswegen nicht gekriegt hatten, weil eine Frau bevorzugt wurde, erwidert sie lakonisch: „Ist wirklich tragisch. Aber 2000 Jahre lang war es genau umgekehrt.“ Und eines möchte Stefanie zu ihrem Buch noch hinzufügen: „Ich will kein Mitleid. Ich will einfach nur, dass es aufhört! Für alle Frauen!“

ANGELIKA HAGER

Der Artikel erschien zuerst in Profil.

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