Bis heute hat Yolanda García keine Kraft in der rechten Hand. Sie leidet unter dem Karpaltunnelsyndrom, eine Folge ihrer jahrelangen Tätigkeit als Zimmermädchen. 26 Doppelzimmer musste die heute 54-Jährige in sechs Stunden putzen, plus Betten abziehen. Das war kaum zu schaffen, wenn man bedenkt, dass ein Zimmermädchen in der Regel eine halbe Stunde pro Zimmer benötigt. „Ich war im Dauerstress“, erinnert sich Yolanda, die seit dieser Zeit chronische Rückenschmerzen hat. Wenn Yolanda ihr Pensum nicht schaffte, musste sie Überstunden machen, die wurden nicht bezahlt.
Nachdem eine Delegation wütender Frauen im November 2017 beim Europaparlament vorgesprochen hat, ist man sogar in Brüssel auf die schwierige Lage der spanischen Zimmermädchen aufmerksam geworden. Im April noch empfing Mariano Rajoy, inzwischen Ex-Premier, eine Gruppe von Putzfrauen in seinem Regierungssitz. Der steife Konservative wollte Mitgefühl demonstrieren, es stand schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gut um seine Popularität. Die Zimmermädchen wollten von Rajoy wissen, wie es möglich sei, dass Spanien von Jahr zu Jahr Rekorde beim Tourismus aufstellt und die Wirtschaft boomt, sie aber davon so gut wie nichts abbekommen.
Yolanda García etwa musste zusehen, wie ihr Monatslohn in den letzten 14 Jahren ihres Berufslebens zunehmend schrumpfte. Bekam sie vor der Krise noch 950 Euro im Monat, waren es zum Schluss noch klägliche 550 Euro. In acht Hotels arbeitete sie in den letzten Jahren, aber die Bedingungen wurden immer mieser. Mal liefen die Verträge über elf Monate, mal über drei, zuletzt wurden sie nur noch monatsweise verlängert. So sparen die Hoteliers Sozialversicherungsbeiträge und können Urlaubsansprüche unterlaufen.
„Das Problem ist, dass es in Spanien kaum Alternativen zum Tourismus gibt, entweder du arbeitest zu miesen Bedingungen oder du bist eben arbeitslos“, sagt García. Sie lebt in Benidorm, dem Mekka von Millionen von TouristInnen im Jahr. Berühmt berüchtigt für volle Strände und Wolkenkratzer, die dem einst verschlafenen Dorf den Spitznamen „Manhattan am Mittelmeer“ einbrachten. Die überwiegend britischen Touristen feiern endlos Party, nicht selten mit bis zu fünf Betten in einem Zimmer. Yolanda wurde trotzdem nur pro Zimmer bezahlt. Sie erinnert sich: „Die Betten waren oft verstellt, der Boden und die Zudecken voller Erbrochenem, die Spiegel verdreckt von Coca-Cola oder Sonnencreme, Gläser am Boden, die Handtücher alle eingeweicht in der Badewanne.“ Einmal ging Yolanda in ein Zimmer in der Annahme, es sei leer. Der Gast, der sich auf dem Balkon versteckt hatte, trat hinter sie, als sie gerade das Bad reinigte und fing an, vor ihren Augen zu masturbieren. Vor zwei Jahren hängte Yolanda den Job an den Nagel, allerdings unfreiwillig. Nach einem Motorradunfall wurde sie wegen „geringer Produktivität“ entlassen, noch während sie krankgeschrieben war.
Nun kämpft Yolanda für die Würde und die Anerkennung ihrer Kolleginnen. Sie nennen sich die „Invisibles“, die Unsichtbaren. 250.000 solcher unsichtbaren Zimmermädchen und Putzkräfte gibt es hierzulande. Ohne sie würde rein gar nichts laufen im Tourismus. Der trägt immerhin zwölf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. „Doch die prekären Jobs sind für Frauen, Armut ist weiblich und man verachtet uns, weil wir nur Putzfrauen sind“, sagt Yolanda. „Ein Koch hingegen – und alle Köche, die ich kenne, sind Männer –, wird respektiert und ordentlich entlohnt.“
Vor eineinhalb Jahren haben die Frauen eine schlagkräftige Truppe namens „Las Kellys“ ins Leben gerufen: Las que limpian (Diejenigen die putzen). Die Putzfrauen haben sich an touristischen Hotspots wie Barcelona, Madrid, Benidorm, Fuerteventura, Lanzarote und Mallorca zusammengetan und protestieren mit ihren grünen T-Shirts regelmäßig auf der Straße oder vor ausbeuterischen Hotels. „Das wahre Übel sind die Zeitarbeitsagenturen, an die die Hotels den Putzservice auslagern“, erzählt Angela Muñoz. Die Vizepräsidentin der Kellys hielt im November eine Rede vor den Brüsseler Parlamentariern. „Die Agenturen kassieren von den Hotels rund zwölf Euro pro Zimmer und geben uns Putzkräften gerade einmal zwei Euro weiter.“ Sie redet sich in Rage: „Wir sind das Rückgrat der Hotels, das wichtigste strukturelle Glied im Gewerbe, denn wer verkauft schon dreckige Zimmer.“ Angela hat Glück, sie arbeitet in einem Fünf-Sterne-Hotel am Madrider Prachtboulevard Paseo de la Castellana und wird als Managerin beim Zimmerservice nach Tarifvertrag bezahlt. Doch von der Plaza de España bis zur Plaza de Cibeles gibt es gerade noch drei Hotels, die auf Zeitarbeitsfirmen verzichten und tariflich entlohnen. Muñoz findet, sie sollten ein Gütesiegel bekommen. Denn: „Wie kann es sein, dass bei Übernachtungspreisen von durchschnittlich 129 Euro gerade einmal zwei Euro beim Zimmermädchen landen?“
Einmal pro Monat treffen sich die Aktivistinnen in „La Ingobernable“, einem Madrider Kulturzentrum schräg gegenüber vom Prado. Dort ziehen sie Bilanz. „Das Treffen mit Rajoy hat nicht viel bewegt“, klagt Muñoz. Auf Gesetzesinitiativen, die die Auslagerung von Servicejobs und Dumpinglöhne verbieten, warten sie vergeblich.
Immerhin werden seit wenigen Wochen typische Leiden der Zimmermädchen wie Karpaltunnelsyndrom oder die Bursitis (Schleimbeutelentzündung) als Berufskrankheit anerkannt. „Alle unsere Arbeitsbedingungen müssten so sein, dass wir nicht krank werden“, klagt Muñoz. Sie berichtet von einer erst 30 Jahre alten, alleinerziehenden Marokkanerin, die in einem Madrider Hotel arbeitet und bereits einen Bandscheibenvorfall erlitt. „Solche Frauen werden besonders ausgebeutet, weil sie oft illegal hier sind und sich nicht wehren können.“ Sie hat dem Hotel jetzt die Beamten der Arbeitsaufsicht vom Sozialministerium auf den Hals gehetzt. Doch an das heikle Thema der ausbeuterischen Zeitarbeitsfirmen traut sich kein Beamter geschweige denn ein Politiker ran. Und die Leidtragenden schrecken davor zurück, ihre Misere publik zu machen und vor die Kamera zu treten. Zu groß ist die Angst vor Repressalien, die meist in Form einer Kündigung daherkommen.
„Die Hoteliers sind reich und bilden eine mächtige Lobby, gegen die wir nicht ankommen“, so Muñoz. Simón Pedro Barceló etwa, der Chef von Hoteles Barceló, einer Kette mit über einhundert Hotels in vielen Ländern, will den Zimmermädchen jetzt ermöglichen, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Wie das gehen soll, nachdem die meisten nur wenig in die Rentenkasse einzahlen konnten, hat er nicht erläutert.
Zweimal haben die Zimmermädchen schon gestreikt, einmal in Madrid und einmal in Valencia. Jedes Mal war es in Fünf-Sterne-Häusern, die sich vor ihrer sozialen Verantwortung drücken. Weitere Streiks sind angekündigt.
Im Netz:
www.laskellys.wordpress.com