Alice Schwarzer schreibt

Die SPD & die Frauen

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Die erste Frau, mit der ich die Nachkriegs-SPD in Verbindung bringe, ist Rut Brandt. Die Ehefrau des damaligen Regierenden von West-Berlin und später der Bundes­republik war in jeder Hinsicht beeindruckend. Er hatte sie als junges Mädchen im Exil in Norwegen kennengelernt, sie war damals in der Resistance gewesen, gegen die Deutschen. Dem später idealisierten, doch damals auch in fortschrittlichen Kreisen durchaus nicht unumstrittenen Brandt stand diese Frau, die trotz seines exzessiven Alkoholkonsums und der Gerüchte übers Händchenhalten mit Journalistinnen Haltung bewahrte, würdevoll zur Seite.

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Bei der Abstimmung über die Fristenlösung 1974, zu der so mancher SPD-Politiker von Zuchtmeister Wehner geprügelt werden musste, hatte Brandt den Plenarsaal vor der Abstimmung verlassen. Begründung: Er sei unehelich geboren. Jahre später erzählte Rut mir im Laufe eines Interviews, wie er sie als junge Frau zur Abtreibung genötigt hätte. Sie bat mich, das nicht zu seinen Lebzeiten zu veröffentlichen.

Und da fällt mir die zweite SPD-Kanzlergattin ein, Doris Köpf, später Schröder (Den Namen will Gerhard Schröder seiner Ex heute streitig machen: Sie soll ihn wieder ablegen, sie will aber nicht). Die Ex-Journalistin hat sich jüngst in einem recht ehrlichen und durchaus anrührenden Interview in der Zeit beklagt, ich hätte sie ­kritisiert, weil sie Hausfrau geworden sei. Ganz so war es nicht, liebe Doris Schröder-Köpf.

Sie hatten mich zuvor als Feministin angemacht: Ich sei „nicht auf der Höhe der Zeit“ (wir reden vom Jahr 1999!). Und: „Feministinnen ihres Schlages sind Müttern suspekt“ (Auf Kanzler Schröder und Mütter kommen wir noch). Daraufhin habe ich Ihnen in einem offenen Brief geantwortet, es sei keineswegs mein Problem, dass Sie als Kanzlergattin nicht mehr berufstätig seien und ein Kind hätten, aber ich bedauerte, dass Sie im Jahr 1998 und als Frau eines SPD-Kanzlers so demonstrativ Hausfrau geworden seien – ohne das geringste Bedauern darüber, den von Ihnen so hart errungenen Beruf der Journalistin aufgeben zu müssen. Nun ja, Tempi passati. Aber auch durchaus aufschlussreich in Bezug auf das Thema „Die SPD & die Frauen“.

Doch kommen wir zu den SPD-Frauen aus eigener Kraft. Da wäre zum Beispiel die Berlinerin Marie Schlei, eine Genossin wie aus dem Bilderbuch. Gelernte Verkäuferin, Lehrerin auf dem zweiten Bildungsweg, SPD Mitglied seit 1949. Mitte der 1970er-Jahre wurde Schlei „Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit“, begleitet von medialem Hohn und Spott (damals waren Ministerinnen noch ein echter Störfaktor). Eines Morgens durfte die Ministerin ihre Entlassung aus dem Kabinett Helmut Schmidt den Tageszeitungen entnehmen.

Marie Schlei erfuhr aus den Tageszeitungen von ihrer Entlassung

Oder die Bayerin Renate Schmidt, frühe ledige Mutter, Betriebsrätin, ab 1972 Parteimitglied, frauenengagiert, Familienministerin. Im Frühling 2005 frühstückten wir zusammen im Hotel Wasserturm in Köln. Ich weiß es noch, als sei es gestern gewesen. Ich sagte: „Renate, trau dich das doch mit dem Elterngeld! Ich verspreche dir, wir unterstützen dich.“ Mit „wir“ meinte ich mich und andere engagierte Journalistinnen. Da seufzte Renate tief und sagte: „Ach, Alice, du kennst doch den Schröder. Ich habe da gar keine Chance.“

Ein paar Monate später wurde Merkel Kanzlerin und Ursula von der Leyen Familienministerin. Die holte dann, mit Merkels Rückendeckung, Schmidts Pläne aus der Schublade und machte eine moderne Familienpolitik.

Es wäre noch diese oder jene zu erwähnen. Wie zum Beispiel Heide Simonis, die erste SPD-Ministerpräsidentin. Sie wurde 2005 nach 12 Jahren an der Spitze der Landesregierung in vier Wahlgängen von einem Heckenschützen aus den eigenen Reihen abgeschossen. Alles keine besonders ruhmreichen Geschichten.

Jetzt also Andres Nahles. Sozialdemokratisches Urgestein. Aus einem Dorf in der Eifel, Vater Maurer, Mutter Finanzangestellte. Linke Juso, Generalsekretärin, Arbeitsministerin. Die Frau, die für die SPD den Karren hatte aus dem Dreck ziehen sollen, als die (scheinbar) ganz unten war (Es ging dann noch tiefer). Nahles war nie zimperlich, aber auch noch nie öffentlich respektlos mit ihren GenossInnen. Ein anständiger Parteisoldat, immer im Dienste der Basis.

Andrea Nahles konnte nach 14 Monaten als – erste weibliche – Parteivorsitzende in 156 Jahren SPD gehen. In ihr Eifeldorf. Wo ihre Tochter, ihre Mutter und ihre Nachbarn auf sie warten. Immerhin.

Letzter Auslöser war ein Hinterbänkler namens Sascha Raabe, Wahlkreis Hanau. Dieser Raabe hielt es während der Selbst­zerfleischung der SPD am Mittwoch nach dem EU-­Erdrutsch für angemessen, öffentlich zu „Andrea“ zu sagen: „Ich mag dich von Herzen gern.“ Und er werde auch „immer sagen, dass du ’ne tolle Arbeitsministerin warst, ’ne tolle Fraktionsvorsitzende. Aber es ist halt deine Tragik, dass du das nicht verkauft bekommst.“

Es geht nur noch um die Darstellung, nicht mehr um die Sache

Doch es nicht nur die Tragik der SPD, dass die etablierten Parteien reden – und offensichtlich auch denken – wie Bionadeproduzenten oder Autoreifenhersteller. Anscheinend haben sie auch dieselben Werbeagenturen. So bedauerte der CDU-Generalsekretär jüngst, seine Partei habe sich leider „als Marke nicht richtig positioniert“.

Das muss mensch sich mal überlegen: Denen geht es nur noch um die Darstellung, gar nicht mehr um die Sache; nur um Schein und nicht um Sein. Da muss so eine Frau aus dem Eifeldorf ja den Kürzeren ziehen. Verschärfend kommt bei den Genossen hinzu, dass die einstige Proleta­rier-Partei auch im 21. Jahrhundert immer noch so tut, als sei sie ein Männerverein, für den Mutti schon mal zuhause das Essen kocht, während die Genossen Politik machen.

Andrea Nahles hat nun alle Ämter hingeschmissen. Recht hat sie! Irgendwo hat der Mensch ja auch noch eine Würde zu verlieren. Auch der weibliche.

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