Die tunesischen Femen in Gefahr: Aminas
Er ist stolz auf seine Tochter. Er sagt: „ Sie hat mich mit mir selbst versöhnt. Mit meinen Werten. Ich hatte mich irgendwie mit allem abgefunden. Jetzt ist mir klar: Man muss aktiv werden!“ Hier spricht Mounir Sboui, der Vater von Amina, der ersten und einzigen Feme in Tunesien. Amina sitzt seit zwei Wochen im Gefängnis. Drei Femen aus Europa, eine Deutsche und zwei Französinnen, sind ihr zur Hilfe geeilt – und sitzen nun auch im Gefängnis. Ihnen drohen bis zu sechs Monaten Haft, man rechnet jedoch mit einer Bewährungsstrafe. Der Tunesierin jedoch drohen bis zu zwölf Jahren Haft: wegen „Verletzung der guten Sitten“.
Vater Sboui ist Arzt, Amina ist das älteste von drei Kindern. Er erzählt: „Amina war von klein an eine Rebellin. Sie ist sauer auf die arabischen Männer, die ihre Frauen schuften lassen in der Fabrik und auf den Feldern. Und zuhause. Während sie im Cafe hocken.“ Und während Aminas Mutter, eine Lehrerin, sich von ihrer Tochter distanziert und sie für „psychisch krank“ erklärt, sagt der Vater in Libération: „Amina hat einen Fehler gemacht, aber kein Verbrechen begangen.“
Die 18-jährige Amina hatte aus Protest gegen die Repression der Islamisten in Tunesien ein Foto von sich mit entblößtem Busen online gestellt und der Aufschrift: „Mein Körper gehört mir“ und „Fuck your morals!“ In den 1970er Jahren, erinnert der Vater, hatten die tunesischen Lehrerinnen Miniröcke getragen. Aber heute hätten alle nur noch Angst.
Amina hat fünf Jahre bei den Großeltern gelebt, während ihre Eltern in Saudi-Arabien gearbeitet haben, „um Geld zu verdienen“. In den letzten zwei Jahren war sie im Internat und vermutlich recht allein. „Wäre ich da gewesen, hätten wir Musik gemacht und getanzt“, bedauert der Vater. Und wohl über Politik diskutiert.
Das Beispiel der Familie Sboui zeigt, welche gewaltigen Schritte die tunesische Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat. Aminas Großvater war noch Analphabet und „betete Tag und Nacht“. Die Enkelin, hofft der Vater, wird zum Studium nach Frankreich gehen und sich da politisch engagieren, ohne ihre Freiheit zu riskieren.
Die Unterstützung aus Frankreich für die inhaftierten Frauen ist verhalten, die sonst so redseligen Intellektuellen schweigen. Präsident Hollande bittet „um Gnade“. Und von den Feministinnen bekundete nur eine Handvoll ihre Solidarität, darunter Elisabeth Badinter – die meisten finden die Aktivistinnen „leichtsinnig“ und „kontraproduktiv für Amina“.
Thema im Forum diskutieren
Am kommenden Mittwoch wird die nächste Verhandlung gegen die drei europäischen Femen stattfinden. Der Prozess gegen Amina steht noch aus. „Aber sie ist fröhlich“, erzählt der Vater, der die Tochter regelmäßig im Gefängnis besucht. „Und sie macht sich schon wieder Sorgen um die anderen. Zum Beispiel um die Lebensbedingungen der Frauen im Gefängnis.“
Mounir Sboui, der sich im Wahlkampf für die Sozialisten engagiert hatte und dann resignierte, weil sie mit den Islamisten gemeinsame Sachen machen, ist überzeugt: „Wenn man Amina eine Chance gibt, wird sie eine besondere Persönlichkeit werden. Und der Gesellschaft nutzen.“
EMMAonline, 7.6.2013
PS: Heute Morgen haben die Femen übrigens vorm Kanzleramt protestiert: "Merkel, free Femen – befreien Sie Femen!", forderten sie. Die Kanzlerin trifft heute den tunesischen Ministerpräsidenten Ali Larayedh zum Mittagsessen. Amina soll Thema sein.
Weiterlesen
Femen gegen Islamismus (EMMAonline, 3.5.2013)
Femen-Protest: Befreit Amina! (EMMAonline, 5.4.2013)
Femen aller Länder, vereinigt euch! (EMMA 1/2012)