Wovon Mädchen träumen
Wie sieht der Traummann schmachtender Teenies aus? Wie Brad Pitt, nur jünger? Nix da. Der vermeintliche Prachtkerl ist leichenblass, buchstäblich eiskalt und steht auf Blut zum Frühstück. Seit geraumer Zeit erobert Vampir Edward Cullen auch deutsche Mädchenherzen. Ein Blick auf die Verkaufszahlen verrät: Sie sind nicht allein. Über eine Million Bände der Vampir-Saga "Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen" wurden in Deutschland bereits gekauft, in den Bestsellerlisten stehen die Bücher von Stephenie Meyer seit Monaten auf den ersten Plätzen. Und die Verfilmung des ersten Bandes feiert Triumphe.
Die Story: Isabella (Bella) Swan zieht in das verregnete Örtchen Forks und verliebt sich an der neuen Schule in ihren Mitschüler Edward Cullen. Edward ist mysteriös und magisch anziehend, ein galanter Beschützer ist er auch. Furchtlos rettet er Bella, als sie beinahe von einem Auto zerquetscht wird. Doch der Traumjunge hat eine dunkle Seite: Er dürstet nach Bellas Blut. Dennoch würde Vampir Edward seiner Liebsten niemals ein Leid antun. Zumindest nicht in den ersten drei der insgesamt vier Bände.
Im vierten Band aber heiratet Bella ihren Edward – von da an wird es schmerzhaft. Für sie. Meyer erzählt, wie der frischgebackene Ehemann Bella mit Gewalt zu seiner Frau macht, so dass ihr Körper am nächsten Morgen regelrecht ramponiert wirkt. Und was macht die frischgebackene Ehefrau? Sie will die blauen Flecken abdecken, damit ihr Ehemann kein schlechtes Gewissen bekommt.
Jugendliche Fans der Vampir-Bücher halten das für Leidenschaft. Seit der Neuen Frauenbewegung in den 1970er Jahren wehren sich Frauen gegen die traditionelle Verquickung von Lust und Gewalt. Gewaltfreier Sex war angesagt. Fallen ihre Enkelinnen jetzt wieder auf die Saga vom lustvollen weiblichen Masochismus rein?
Dabei fängt die Geschichte harmlos und schön an. Meyer vermittelt in den ersten drei Bänden die Botschaft: Abstinenz kann sexy sein, körperliche Nähe auch ohne Sex genossen werden. Doch die Anziehung zwischen Bella und Edward ist stets von dem unterschwelligen Gefühl der Todesgefahr begleitet. Todesgefahr für sie. Denn der süße Geruch von Bellas Blut ist eine ständige Versuchung für den Vampir. Edward – Retter und potenzieller Täter in einer Person. Bellas bloße Anwesenheit wird zu einer unaufhörlichen Herausforderung für Edwards Selbstkontrolle. Nach dem ersten Kuss verkündet Edward stolz, er habe dem Verlangen, ihr das Leben auszusaugen, widerstehen können. Bella dagegen haucht, sie könne Edwards Küssen und seiner Nähe nicht widerstehen.
Welche Schlüsse werden heranwachsende Leserinnen aus dem Verhalten ihres Idols Bella ziehen? Dass Mädchen ihren Beziehungen auch in der Liebe die Oberhand lassen sollten, weil diese anscheinend wissen, welches Tempo gut und recht für beide ist? Oder werden sie annehmen, dass sie binnen eines Kusses jedwede Selbstkontrolle verlieren könnten bzw. sollten? Oder sollen sie Bellas Unterwürfigkeit gegenüber Edward nachahmen? Schließlich kriegt die Traum-Heldin dank dieses Verhaltens den coolsten aller Jungs ab.
Das traditionelle Geschlechterbild in Meyers Büchern ist auf den Glauben der 35-jährigen Mormonin zurückzuführen. Für Mormonen ist es "Gottes Gebot, dass die heilige Fortpflanzungskraft nur zwischen einem Mann und einer Frau angewandt werden darf, die rechtmäßig miteinnander verheiratet sind". Und der Vater soll "in Liebe und Rechtschaffenheit über die Familie präsidieren, die Mutter ist in erster Linie für das Umsorgen und die Erziehung der Kinder zuständig".
Die gläubige Autorin hat dennoch in zahlreichen Interviews beteuert, sie verfolge keinerlei pädagogische Ziele beim Schreiben der Vampirsaga: "Mir geht es nie um Botschaften. Ich schreibe einfach, was mich unterhält.” (Time Magazine). Doch für ihre jungen Fans ist die Geschichte mehr als bloße Unterhaltung. Eine der vielen Leserinnen schrieb an Meyer: "Liebe Stephenie, ich bin 14 Jahre alt und würde alles dafür geben, die wunderschöne Bella sein zu dürfen. Ich liebe Edward und habe natürlich alle vier Bände gelesen. Ich war auch bei der Mitternachtspremiere des ersten Twilight-Teils im Kino und bin am nächsten Tag gleich wieder in den Film gegangen.” Für die Fans ist die Vampir-Saga mehr als Fantasterei und Unterhaltung. Sie kann ihr Bewusstsein und Sehnen prägen.
Doch die Traumfigur Bella zahlt für das vermeintliche Glück mit dem Traummann einen hohen Preis. Als Bella schwanger wird, kann sie nur Mutter werden, wenn sie ihr Menschenleben aufgibt und sich von Edward zum Vampir beißen lässt. Es folgt ein Leben als Vampir-Hausfrau: Bella hat keine Interessen und keinen Beruf, ihr Leben dreht sich ausschließlich um Edward.
Nicht nur junge Leserinnen teilen weltweit Bellas Neigungen. Auch gestandene Journalisten, wie die vom Newsweek-Magazine, finden, Meyer habe "den normalen Mann von nebenan für Hunderte von Frauen langweilig gemacht". Dabei malt der spannende Edward sich am liebsten aus, wie es wohl wäre, Bella zu töten, während er sie beim Schlafen beobachtet. Seine finsteren Gedanken teilt er den weiblichen Leserinnen in "Midnight Sun" mit, Meyers Nacherzählung von "Bis(s) zum Morgengrauen", diesmal aus Edwards Perspektive.
Zu Edwards Neigung zur Brutalität gesellt sich sein Verlangen, zu dominieren und zu kontrollieren. Seine Entschuldigung: Er ist ein Vampir. Und spätestens seit "Dracula" wissen wir – mit Eckzähnen geht man nicht hausieren, der Blutdurst muss geheim gehalten werden.
Das Alarmierende dabei: Bellas Lovestory mit Edward scheint den Nerv der heranwachsenden Generation getroffen zu haben. Meyers Saga von der Vampirliebe wird gerne in einem Atemzug mit Zauberlehrling Harry Potter genannt. Und Millionen amerikanischer Eltern sind der Mormonin aus den Südstaaten auch noch dankbar. So schrieb eine Mutter aus Colorado auf einer Stephenie-Meyer-Fanseite: "Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dass meine Töchter sich je für Bücher begeistern könnten, wie ich es in ihrem Alter getan habe. Aber Stephenies Bücher haben einen Lese-Eifer in meinen Mädchen geweckt, den ich nie für möglich gehalten hätte! Danke, danke, danke Stephenie!"
Die zwielichtige Twilight-Saga ist bei den jungen Mädchen also längst zur Twilight-Manie geworden. Millionen Mädchen träumen davon, jungfräulich in die Ehe zu gehen und sich anschließend für ihren Mann aufzuopfern. Etwas beunruhigend ist das schon.