Wie wird es diesmal sein an Silvester 2016, am Kölner Bahnhof und am Kölner Dom? Es wird ein massives Polizeiaufgebot geben, von 1.500 Beamten ist die Rede. Das sind zehn Mal so viele wie im Vorjahr. Dazu mehr Videoüberwachung und eine mit Gittern abgesperrte „Schutzzone“. Sowie eine riesige Lichtinstallation auf der Domplatte.
Birgit Meyer, die Intendantin der Oper Köln, hatte schon im Oktober etwas anderes vorgeschlagen, nämlich: „Die Domplatte zur Bühne für starke Frauen aus Köln und der ganzen Welt zu machen. Musikerinnen und Komponistinnen, Sängerinnen und Autorinnen erheben ihre Stimme in Erinnerung an die Auswüchse der Silvesternacht 2015, aber auch als Demonstration der Stärke des weiblichen Geschlechts.“ So sagte sie es dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Frei nach dem Motto: Agrippina – gemeinsam sind wir stark.“ Eine sehr gute Idee – nur leider wurde nichts draus, wie aus so vielen guten Ideen in Köln.
Und wo warst du letztes Jahr an Silvester?
Stattdessen wird also der „Lichtkünstler“ Pillipp Geist aus Berlin die Domplatte in eine Lichtinstallation tauchen. Titel: „Time Drifts Cologne“ (Zeitverschiebung Köln). Geist will aus dem „Angst-Raum“ einen „Licht-Traum-Raum“ machen. Das klingt ganz nett. Aber wäre dieser 31. Dezember 2016, an dem Menschen auf der ganzen Welt auf den Bahnhof und Dom in Köln blicken werden, nicht eine einmalige Gelegenheit gewesen? Eine Gelegenheit, ein Zeichen zu setzen: Gegen sexuelle Gewalt und für die Frauenrechte?
Denn die Horror-Nacht an Silvester 2015 beschäftigt die Frauen bis heute, in Köln und allerorten. Ein Besuch auf dem Kölner Bahnhofsplatz an einem Abend im Winter. Es ist 18.30 Uhr. An der Treppe, die hinauf zum Dom führt, stehen Lorena, Lena und Anne aus dem Kölner Umland. Sie sind Mitte 20, studieren oder arbeiten schon. Für sie hat sich seit Silvester viel geändert: „Die Medien sind ja voll von Berichten über Übergriffe auf Frauen. Da denkt man schon: Das hätten auch wir sein können!“
Ein paar Meter weiter weg vom Bahnhof unter einem Vordach hocken Lena, Lara und Jaqueline. „Ich war an Silvester hier“, sagt Jaqueline. Es war ihr erster Jahreswechsel in der Großstadt. Diesen Abend hat die 17-jährige Schülerin aus Hennef bis heute nicht vergessen: „Es war total chaotisch. Überall waren südländisch aussehende Männer, die mich angestarrt haben. Wir sind dann nach hinten auf die Domplatte gegangen, aber dort haben sie uns mit Böllern beworfen. Ich bin lieber gefahren, um Mitternacht war ich zu Hause.“
Wenn die drei Mädchen abends ausgehen, haben sie jetzt immer Pfefferspray dabei. „Man weiß ja nie“, sagt Lara. An Karneval zum Beispiel, da habe ein Mann direkt vor ihren Augen ein Mädchen bedrängt. „Sie hat geschrien, aber keiner hat ihr geholfen, auch keiner der Männer, die direkt neben ihr standen“, erzählt Lara. Also hat Lara ihr Pfefferspray in die Hand genommen und dem Mann mitten ins Gesicht gesprüht. „Da sind wir weggelaufen.“
Gemischte Gefühle wegen der starken Polizeipräsenz
Unweit von Lara, Jaqueline und Lena stehen die Einsatzwagen der Polizei. Seit Silvester sind die Beamten immer hier, jeden Tag. Von dem Bahnhofplatz zur Innenstadtwache ist es nicht besonders weit. Ein paar Meter die Straße runter und dann rechts in die Stolkgasse. Hier, in einem kleinen, kargen Vorraum mit wenigen metall-kalten, weißen Sitzplätzen haben in der Silvesternacht unzählige Frauen gewartet, um ihre Anzeige aufzugeben. Vergeblich. Es waren an Silvester 2015 nur zwei BeamtInnen vor Ort, ein Mann und eine Frau. Und ausgerechnet die Polizistin, die für die Frauen zuständig gewesen wäre, war gänzlich unerfahren. Eine einzige Anzeige hat sie in dieser Nacht aufgenommen, zwei Stunden lang, wird sie Monate später im Düsseldorfer Untersuchungssauschuss zur Silvesternacht aussagen. Inzwischen wissen wir: 1.000 Frauen haben in den Wochen nach Silvester eine Anzeige aufgegeben.
Die starke Präsenz der Polizei auf dem Hauptbahnhof löst bei den Kölnerinnen und Kölnern gemischte Gefühle aus. Einerseits sagen sie: Ich habe mich hier noch nie so sicher gefühlt! Andererseits sagen sie: Jetzt glaubt man ständig, dass was passiert ist!
Inzwischen ist es 23 Uhr. An Silvester war die Situation zu diesem Zeitpunkt eskaliert. Kurz darauf räumte die Polizei den Vorplatz. Heute ist der Platz leer. Es hat angefangen zu regnen, die Menschen eilen über regennassen Steinplatten in den trockenen Bahnhof. Auch dort hatte es an Silvester massive Übergriffe gegeben. Wie ist das heute für die Frauen, die hier arbeiten? „Mir machen eher die Rechten sorgen, die regelmäßig vor dem Bahnhof demonstrieren“, sagt eine, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Hier war es doch immer gefährlich“, sagt eine andere. Und eine weitere: „Ich habe mehr Angst, besonders, wenn mal wieder ein Koffer rumsteht, der niemandem gehört.“
Neben dem Service-Point der Deutschen Bahn stehen zwei DB-Mitarbeiterinnen, sie machen gerade Feierabend. Ihren Namen wollen auch sie nicht sagen, weil auch sie ja eigentlich gar nichts sagen dürfen. „Wenn man als Frau hier arbeitet, stumpft man einfach ab. Wir werden ja ständig von irgendwelchen betrunkenen Typen angegraben“, sagt die eine. Und sie hat noch etwas anderes beobachtet. „In letzter Zeit haben mich nachts öfter Frauen gefragt, ob sie hier bei mir am Service Point warten dürfen, weil sie sich verfolgt fühlen“, sagt sie. „Das war vor Silvester nicht so.“
"Ich hätte eine dieser Frauen sein können..."
Seit Silvester hat die Stadt Köln es sich nicht nur am Hauptbahnhof zur Aufgabe gemacht, so genannte „Angsträume“ umzugestalten. Zum Beispiel auf den Kölner Ringen, wo vor nur wenigen Wochen eine 25-jährige Studentin in einem kleinen Park von zwei Männern vergewaltigt wurde. Aber auch in der an die Domplatte angrenzenden Kölner Altstadt. Hier will der „Verein zur Förderung einer lebenswerten Altstadt“ die Schaffung eines neuen „Angstraums“ verhindern: Der Verein dringt darauf, dass beim Wiederaufbau des historischen „Roten Hauses“ am Alter Markt auf einen geplanten 25 Meter langen Tunnel verzichtet wird. Auch das ist eine Konsequenz der Kölner Silvesternacht.
Es ist jetzt Null Uhr. Um diese Uhrzeit stand Silke Schomburg, Leiterin des Hochschulbibliothekszentrum NRW (hbz), an Silvester 2015 auf der anderen Rheinseite in Deutz und blickte mit einer Freundin auf das leuchtende Feuerwerk über dem Fluss. „Wir waren viel zu spät dran, deshalb sind wir mit dem Auto gefahren. Sonst wären wir auch durch die Massen am Dom und auf der Hohenzollernbrücke durchgelaufen. Ich hätte eine dieser Frauen sein können, die bedrängt oder vergewaltigt worden sind“, sagt Silke Schomburg.
Als die Ausmaße der Silvester-Übergriffe im Januar 2016 an die Öffentlichkeit kamen, entschied Schomburg, für ihre Mitarbeiterinnen einen Selbstverteidigungskurs zu organisieren. „Ich möchte, dass sich meine Kolleginnen angstfrei in dieser Stadt bewegen können“, erklärt sie. Als junge Frau hatte die hbz-Chefin ein Hobby, das bei diesem Vorsatz hilft: Boxen.