Diese Frauen liegen in Ketten!

Die Femen vor dem EIngang des Großbordells "Artemis". © Marcus Golejewski/ Geisler-Fotopress
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"Schon an der Rezeption werden Sie von unseren netten Damen mit einem Lächeln empfangen", wirbt das "Artemis" in Berlin, nur einen Kilometer entfernt von der Berliner Messe. Mittwochabend fiel der Empfang der Freier nicht ganz so nett aus. Um 20 Uhr fuhren die Femen in Autos vor und entblößten ihre Oberkörper. Auf ihre Haut hatten sie Slogans wie "Don't cum on human rights!" (Spritz nicht auf die Menschenrechte ab!) und "Go rape yourself!" (Vergewaltige dich doch selbst!) gepinselt. Sie ketteten sich an die frauhohen Bären-Figuren, das Wahrzeichen der Hauptstadt, vor dem Eingang des sogenannten "FKK-Clubs".

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Eine halbe Stunde dauerte es, bis die Polizei kam und mit einem Bolzenschneider die Ketten durchtrennte. Zwischenzeitlich gab es ein Handgemenge, als zwei Mitarbeiterinnen des Artemis versuchten, den Protest der fünf Femen zu verhindern.

So mancher Freier drehte gleich auf dem Parkplatz wieder um beim Anblick der Femen vor dem Eingang. Andere ließen sich weder von den Aktivistinnen noch der Polizei abschrecken. Sie marschierten trotzdem in den Puff, berichtete Femen-Frau Debbie. "Das zeigt einmal mehr, dass die Prostitution mitten in der Gesellschaft angekommen ist." Und: "Es ist ein Unding, dass eine Weltstadt wie Berlin mit einem Bordell wirbt, in dem die Frau zur Ware gemacht wird!" Da kennt die sexy Hauptstadt nichts. In Berlin sind auch schon die Verkehrsbetriebe Werbung für den "Wellness-Puff" gefahren.

Taxifahrer und Rentner zahlen ermäßigten Eintritt in der selbsternannten "Oase des Wohlfühlens", alle anderen 80 Euro inklusive Bademantel, Handtuch, Fön - und Frühstücksbuffet. Jetzt, zur Weihnachtszeit, gibt es nachmittags sogar Kaffee und Stollen. Nicht für die 60 bis 70 Prostituierten in dem Bordell, sondern die 600 Freier, für die dort Raum ist.

Ob die Typen, die sich auf dem Parkplatz vor dem Artemis lümmeln, Freier oder Zuhälter sind, ist schwer zu sagen, erzählte Theresa von Femen. Arme Schlucker sind es aber offensichtlich nicht. Theresa: "Die Autos, die dort parken, kosten 80.000 Euro aufwärts."

Der Protest der Femen richtet sich auch an die Politik, die gerade eine Reform des Prostitutionsgesetzes beschlossen hat. Deren Absichten gehen den Femen nicht weit genug. "Es reicht uns nicht, dass nur die Freier von sogenannten Zwangsprostituierten bestraft werden sollen, das ist doch Augenwischerei", sagt Theresa. Denn: "Ob sich eine Frau aus Zwang heraus prostituiert oder nicht, das lässt sich doch in der Praxis kaum nachprüfen." Femen, die unter den 90 Erstunterzeichnerinnen des EMMA-Appells gegen Prostitution sind, fordern das Schwedische Modell für Deutschland: Also Strafe für alle Freier.

 

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Alice Schwarzer schreibt

Femen, #Aufschrei und Neofeministinnen

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Die Frau ist 30 Jahre alt, ist für höhere Boni für Hedgefondmanager, für einen Spitzensteuersatz von 20 Prozent und für die Senkung der Sozialhilfe. So weit, so banal. Das gibt es: Frauen, die so denken. Und das sollte in einer Demokratie auch erlaubt sein. Die Überraschung ist: Die Frau bezeichnet sich als „Sozialistin“. Und der Spiegel stellt sie gar als Verkörperung eines jungen neuen Sozialismus, als „Neosozialistin“ vor.

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Und dann ist da noch eine Frau. Sie ist auch 30, findet Pornos geil, OPs zur Verschönerung der Vagina problemlos und das Betreuungsgeld für Hausfrauen mit Kindern ideal (worüber sich selbst die CDU/CSU Frauen wundern dürften, denn die sind eigentlich dagegen, nur CSU-Seehofer ist wirklich dafür). So weit, so banal. Das gibt es: Frauen, die so denken. Und das sollte in einer Demokratie auch erlaubt sein. Die Überraschung ist: Die Frau bezeichnet sich als „Feministin“ – und der Spiegel stellt sie als Verkörperung eines jungen neuen Feminismus, als „Neofeministin“ vor.

Absurd? Stimmt. Zumindest was das erste Konstrukt angeht. Einen Menschen mit solchen Ansichten würde man mindestens als „konservativ“ bezeichnen, wohl eher als „rechtskonservativ“. Und sie oder er würde selbstverständlich von einem Blatt wie dem Spiegel nicht als „Neosozialistin“ bezeichnet werden. Das wäre einfach nur lächerlich.

Soweit zum Sozialismus. Zum Beispiel. Mit dem Feminismus sieht das schon anders aus. Da geht so was. In dessen Namen kann in der aktuellen Ausgabe die 30-jährige Anna-Katharina Meßmer sprechen und wird dazu tatsächlich von Spiegel-Reportern nicht nur interviewt, sondern sogar zitiert. Denn sie ist eine der Aktivistinnen der durchaus sinnvollen Twitter-Aktion #aufschrei gegen den Sexismus. Was sie nun in Sachen Feminismus umfassend zu legitimieren scheint.

Hätte die Doktorandin (Thema: Vaginal-OPs!) einfach nur so darüber geplaudert, wie geil sie Pornos, Designer-Vaginas und Betreuungsgeld findet – kein Hahn hätte danach gekräht. Auch keiner vom Spiegel. Erst das selbstverpasste Etikett „Feministin“ macht die Musik. Ah... eine Feministin, die Pornos geil findet. Wie geil ist das denn!

Ich erinnere mich gut: In den 70er Jahren hat mir der Playboy mehrfach sehr viel Geld dafür geboten, dass ich, nein, nicht mich ausziehe, sondern ihm ein Interview gebe. Das hätte schon genügt. Die Feministin in dem Pornoblatt – wie geil ist das denn! Es sind eben die immerselben Muster.

Das Spiel mit dem Feminismus war von Anfang an, ihn zu unterlaufen, ihn umzudrehen, ihn lächerlich zu machen. Und dieses Spiel spielten auch immer schon gewisse Frauen mit, die sich als Feministinnen deklarierten. Aus den unterschiedlichsten Motiven. Das gab ihnen eine Stimme. So ist es bis heute. Sie konnten – und können - im Namen des Feminismus sprechen. Und ihn kalt lächelnd ad absurdum führen.

Sicher, der Feminismus ist seit über zwei Jahrhunderten eine politische Theorie und Praxis (von Olympe de Gouges über Louise Otto-Peters und Hedwig Dohm, Virginia Woolf und Simone de Beauvoir, bis zu den Neuen Feministinnen). Seine zentralen Inhalte sind quasi jedem Kind geläufig: Menschenrechte und Menschenwürde auch für Frauen, gleiche Chancen für beide Geschlechter, Abschaffung der Geschlechtsrollenzuweisung. Aber der Feminismus ist keine Partei und keine geschützte Marke. Jede Frau kann im Namen des Feminismus agieren – wer will das verbieten? Hauptsache Frau.

In demselben Spiegel-Artikel ist von weiteren „Neofeministinnen“ die Rede: Von den Femen. EMMA-Leserinnen sind diese Aktivistinnen bestens bekannt. EMMA berichtete mehrfach und titelte bereits im Dezember 2010 erstmals mit den Feministinnen aus der Ukraine. Die inzwischen in aller Munde sind. Zu recht. Denn die Femen kämpfen auf wirklich subversive Art und Weise für zentrale feministische Anliegen: Gegen Pornografie und Prostitution, gegen religiösen Fundamentalismus und gegen Diktatoren.

Inzwischen haben sich unter Anleitung der Ukrainerinnen in mehreren Ländern Femen-Gruppen gebildet, auch in Deutschland. Die vom Spiegel befragten deutschen Aktivistinnen, Klara Martens und Zana Ramadani, sind beide EMMA-Leserinnen und fanden auf diesem Weg zu den Femen. Was kein Zufall ist. Schließlich sind die zentralen Anliegen von EMMA und Femen identisch. Auch wenn EMMA nicht zwingend jede Femen-Aktion befürwortet. Es kann schließlich auch unter Feministinnen unterschiedliche Einschätzungen geben. Der Feminismus hat viele Facetten und entwickelt sich Tag für Tag weiter. Aber es können nicht im Namen des Feminismus ihm konträr entgegengesetzte Ziele vertreten werden.

Die Femen liegen mit ihren Methoden und Zielen im Kern des Feminismus! Auch, ja, weil sie sich ausziehen! Sie führen mit ihren Aktionen den Status der Frau als Objekt ad absurdum und werden zum handelnden Subjekt. Sie entblößen ironisch ihre Busen und schon klicken die Kameras – die jedoch gleichzeitig mit der nackten Haut zwangsläufig die handfesten Slogans im Bild haben: Gegen Prostitution und Islamismus, oder auch gegen die „Heidi Horror Picture Show“ in Germanys Next Top Model! Das verstehen nicht nur die Medien, das verstehen auch die Menschen. Und es ist vermutlich kein Zufall, dass die so kreativen wie radikalen Femen aus einem Land kommen, in dem das Wort „Sexarbeiterinnen“ unbekannt, der brutalste Frauenhandel aber allgegenwärtig ist.

Nur die Berliner Szene-Feministinnen von #aufschrei oder „Mädchenmannschaft“ scheinen es nicht zu verstehen. Oder wollen sie es nicht verstehen? Sie überziehen jedenfalls die Femen seit Wochen mit Nörgeleien und Distanzierungen, würden sie wohl am liebsten umerziehen: Die Methoden seien peinlich und ihre Ziele politisch nicht korrekt. Konkurrenz? Neid? Sprachverwirrung? Die Femen sprechen in der Tat die Sprache des Lebens, diese Szene-Feministinnen das entpolitisierte Kauderwelsch ihrer Gender-Seminare, das das Leben eher verdeckt als benennt. Und es ist vor allem eine Frage der Inhalte. Klar, dass es zwischen Anti-Prostitutions-Aktivistinnen und Pro-Porno-Befürworterinnen oder Kritikerinnen des Islamismus und Kopftuch-Befürworterinnen nicht nur wenig Gemeinsamkeiten gibt, sie stehen sich politisch diametral gegenüber.

Längst sind die Wortführerinnen dieser Szene-Feministinnen in eine Art political correctness abgedriftet, mit der sie andere Feministinnen, unabhängig von der Generationszugehörigkeit, einzuschüchtern versuchen. In ihrer Welt gilt es z.B. schon als unkorrekt, von „Frauen“ und „Männern“ zu reden, „Gender“ ist angesagt. Ein Muss ist der Unterstrich – statt des Binnen Is oder der männlichen und weiblichen Form - damit soll Raum sein für alles, was sich zwischen den Geschlechtern bewegt.

Überhaupt ist es sowieso daneben, sich als „weiße, privilegierte Mittelschichtsfrau“ über irgendwas zu äußern, ohne nicht im gleichen Atemzug die „people of colour“ sowie alle Benachteiligten der Welt mitzunennen. Es hat längst groteskte Formen angenommen und vor allem: Es verdeckt die eigentlichen feministischen Anliegen. Inna Shevchenko, eine der Initiatorinnen der Femen, hält dem entgegen: „Es gibt keinen ‚weißen Feminismus’. Die Menschenrechte sind universell. Warum sollten die Rechte der Frauen in Nordafrika sich unterscheiden von denen der Amerikanerinnen oder Europäerinnen?“

Ich erinnere mich gut: Das war schon bei Aufbruch der Frauenbewegung so. Damals kamen selbsternannte Feministinnen, die am liebsten dem Feminismus Sprechverbot erteilt hätten, aus der Linken und hieß das „Haupt- und Nebenwiderspruch“. Wir Feministinnen waren der „Nebenwiderspruch“ und durften das Wort „Frauen“ gar nicht erst aussprechen, ohne vorher aller Proletarier der Welt zu gedenken – und das Wort Frauenbewegung schon gar nicht, ohne vorher gebetsmühlenartig den Klassenkampf befürwortet zu haben.

Angeblich geht es heute, vierzig Jahre später, um einen Generationenkonflikt zwischen „Altfeministinnen“ und ihren Töchtern oder gar „Enkelinnen“. Doch die politischen Fronten sind keine Frage des Alters, sie verlief schon immer zwischen allen Generationen.

Übrigens: Auch die EMMA-Macherinnen sind mehrheitlich zwischen 30 und 40, also im Alter der so gern gegen sie zitierten „Enkelinnen“.

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