Dilma Rouseff: Die Präsidentin
Inzwischen haben sich die Gemüter darüber beruhigt, dass Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff während der zwanzigjährigen Militärdiktatur in linken Widerstandsgruppen aktiv war. Dilma – damals noch mit dicker schwarzer Hornbrille – war Ende der Sechzigerjahre für die Guerilla als Kurier unterwegs und hatte angeblich Waffen unter ihrem Bett versteckt. Sie selbst hatte immer bestritten, selbst an bewaffneten Aktionen teilgenommen zu haben. Aber sie wurde dennoch verhaftet – und gefoltert.
Heute ist das einstige Opfer des Regimes die Präsidentin ihres Landes. Und wenn im Oktober gewählt wird in Brasilien, hat die Ex-Guerillera gute Chancen, zum zweiten Mal gewählt zu werden. Zwar wünschen sich die meisten der fast 200 Millionen BrasilianerInnen grundlegende Änderungen, doch viele trauen der taffen ersten Frau im Regierungspalast zu, selbst das Steuer herumreißen zu können.
Sie wurde verhaftet und gefoltert
Vor allem die aufstrebende Mittelschicht verlangt nach besseren Schulen, Universitäten und Krankenhäusern und ging dafür in den letzten Monaten immer wieder auf die Straße. Die Präsidentin versprach, sich darum zu kümmern, seitdem ist es wieder ruhiger geworden. Man glaubt ihr, dass sie zu ihrem Wort steht. Ebenso geht man davon aus, dass diese Frau die Korruptionsskandale des staatlichen Energieriesen Petrobras in den Griff bekommt, schließlich hat sie sich schon zu Beginn ihrer Präsidentschaft mit aller Härte von Mitstreitern getrennt, die in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. 2012 hat die Präsidentin mit Maria das Graças Foster erstmals eine Frau an die Spitze des Weltkonzerns Petrobras gesetzt.
Dilma Rousseff, die 66-jährige Volkswirtin aus wohlhabender Familie, lenkt seit dem 1. Januar 2011 Brasiliens Geschicke. Ihr populärer Vorgänger Lula hatte sie persönlich seiner Arbeiterpartei als Kandidatin vorgeschlagen. Zuvor hatte sie in Lulas Regierung als Ministerin für Bergbau, Energie und Kommunikation und dann als Präsidialamtsministerin einiges bewegt.
Dilma ist eine Macherin: Sie initiierte ein Wachstumsprogramm, das Investitionen in Höhe von 183 Milliarden Euro in die Infrastruktur, die Energieversorgung und die Stadtsanierung vorsah. Und das nicht nur mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016, sondern vor allem, um Brasilien zum global player zu machen. Zudem initiierte Dilma die Kampagne „Licht für alle“: Bis 2015 sollen alle Haushalte in Brasilien Strom haben. Die Chancen stehen gut, dass sie dieses Ziel erreicht. Die stetige Zunahme des Energieverbrauchs führt allerdings immer öfter zu Stromausfällen, dennoch gehen die meisten Bürger davon aus, dass Dilma auch da Abhilfe schaffen wird.
Man glaubt ihr, dass sie zu ihrem Wort steht
Als die Präsidentin gegen anfänglichen Widerstand entschied, dass für Brasiliens Erdölplattformen nicht mehr wie früher 15, sondern 60 Prozent nationale Materialien verwendet werden müssen, bewies sie Weitblick. Es war zwar kurzfristig teurer, führte jedoch zur Schaffung von 40 000 Arbeitsplätzen auf brasilianischen Werften und brachte dem Land technisches Know-how.
Schon als Guerillakämpferin war es Rousseff um die Abschaffung der Armut gegangen, und auch heute ist die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ihr oberstes Ziel. Deshalb setzt sie immer zuerst auf Wachstum und erst dann auf Umweltschutz. In Lulas Kabinett legte Dilma sich ständig mit Umweltministerin Marina Silva an. Die nahm schließlich ihren Hut, weil sie die aggressive Wachstumspolitik nicht mittragen wollte.
Ein Parlamentsabgeordneter spottete damals, Dilma sei die demokratischste Person der Welt – wenn man nur mit ihr einer Meinung sei. Auch wurde geklagt, die harte Ministerin bringe selbst Mitarbeiter zum Weinen. Darauf antwortete Dilma cool: „Ich finde es interessant, dass eine Frau, wenn sie eine Führungsposition ausübt, immer als hart und rigide charakterisiert wird.“
Privat gilt die zweimal geschiedene Dilma keineswegs als hart. Sie meditiert, verbringt ihre Freizeit mit ihren beiden Hunden, liebt Literatur, Filme von Glauber Rocha und Musik von Wagner, Puccini, den Beatles und Chico Buarque. Und sie mag die neuen Technologien: Auf ihrem iPad, von dem sie sich kaum je trennt, betrachtet sie gern ihre virtuelle Kunstgalerie. Sie hat aus der zweiten Ehe mit einem Rechtsanwalt eine Tochter und ist seit 2010 Großmutter.
Die Guerillera war 1970 festgenommen, gefoltert und zu gut sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Folterer zeigte sie später an – vergeblich. Sie waren durch ein Amnestiegesetz geschützt. 2006 wurde Dilma immerhin eine Entschädigung zugesprochen. Als Präsidentin konnte sie dann ein Gesetz unterzeichnen, das eine Wahrheitskommission ins Leben rief, die allen Menschenrechtsverletzungen aus dieser Zeit nachgehen soll. Die Präsidentin von Brasilien hat ihre politische Vergangenheit nicht vergessen.