Discoklamotten oder Schuluniform?

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Der nackte Bauch einer 13-Jährigen in Sehnde hat eine heiße Debatte ausgelöst: Sollte die Kleidung auch am Arbeitsplatz Schule angemessen sein? Und wäre es vielleicht sogar eine gute Idee, Schuluniformen einzuführen?

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Wenn am 21. August die rund 1.600 SchülerInnen der Gesamtschule Sehnde (bei Hannover) wieder in die Klassen einrücken, dann wird ein Thema auf jeden Fall heiß diskutiert werden: Was haben die

Schülerinnen an? Genauer: Wie sind die zehn- bis 14-jährigen Mädchen gekleidet? Denn vor allem ihre Altersgruppe scheint es zu sein, die vor den Ferien im beschaulichen Sehnde den Eklat verursachte, der überregional Wellen bis in Bild, in den Spiegel, RTL und SAT1 schlug.
Angefangen hatte alles mit Nicole (Name geändert) in Klasse 7. Die hatte sich an einem heißen Junitag die Bluse ausgezogen und saß nun im Bustier (wie der Büstenhalter heute à la française heißt) da. Als die Lehrerin die Schülerin im Dessous aufforderte, ihre Bluse wieder anzuziehen, antwortete die schlicht mit Nein. Und blieb dabei.
Klar, dass der Vorfall anschließend im LehrerInnenzimmer ausgiebig diskutiert wurde. Tags darauf tagte die siebenköpfige Schulleitung und fasste einen Entschluss: Schulleiterin Helga Akkermann schreibt einen Brief, in dem um eine angemessene Kleidung gebeten wird. Gesagt, getan. Bauchfreie, rückenfreie, tief dekolletierte Shirts oder auch sehr kurze Röcke (...), die den Po kaum bedecken, sind als Schul- und Arbeitskleidung nicht angebracht, heißt es in dem Brief vom 4. Juni an die lieben Schülerinnen und Schüler und lieben Eltern.
Es dauerte nur wenige Tage, bis der Brief in der Presse gelandet war. Am 12. Juni berichtete die Hannoversche Allgemeine unter dem Titel Schule führt Kleiderordnung ein. Kurz darauf verbreitete die Deutsche Presse Agentur (dpa) die Meldung bundesweit unter der Schlagzeile Bauchfrei ist sexy von da zu Bild und RTL war es nur noch ein Schritt. Seither kann Schulleiterin Akkermann mitreden, wenn es um den Umgang von Medien mit Informationen geht.
Klar, dass die 49-jährige Pädagogin umgehend in den Generalverdacht der Prüderie geriet, die den kecken Kleinen nur den Spaß verderben will. Und auch klar, dass meist unterschlagen wurde, dass es sich bei dem Brief lediglich um eine Empfehlung und nicht um eine Anordnung gehandelt hatte. Um die Bitte an die Eltern, die erzieherischen Bemühungen der Schule zu unterstützen. Die scheinen auch überwiegend einverstanden zu sein mit dem Wunsch der LehrerInnen nach angemessener Kleidung. Von 58 ElternvertreterInnen im Elternrat erklärten jedenfalls 56, sie stünden ganz hinter der Position der Schulleitung.
Allerdings sind die im Elternrat Engagierten vermutlich nicht die Hauptzielgruppe des Briefes. Das sind eher die Eltern, die sich weniger engagieren und deren Erziehungs-Motto lautet: Machen lassen. Aufschlussreich auch die Beobachtung von Lehrerin Akkermann, dass sehr junge Mütter im Schnitt ablehnender reagierten als Mütter ab Mitte 30. Die erfahrene Pädagogin: Am Problematischsten sind die Eltern, die nicht alt werden können und wo Mütter sich als Freundinnen ihrer Töchter verstehen. Denn bei den Eltern machen die Kinder das Gesetz.
Beistand erhielten die LehrerInnen von Sehnde auch von Schulsprecherin Julia Scholz, die unter www.kgs.sehnde.de erklärte, auch SchülerInnen wollten in unserer Schule nicht das Bikini-Oberteil aus dem letzten Urlaub sehen. Und die 16-jährige Nadina aus der Klasse 9HC will zwar von einer Kleiderordnung nichts hören und findet, dass ihre Altersstufe alles im Griff hat, meint jedoch auch, ein Problem seien die Jüngeren in der Orientierungsstufe: Denn die kennen ja die Gefahr mit Vergewaltigungen usw. noch gar nicht.
In der Tat geht es bei bauchfrei weniger um die Teens wie die Altersgruppe von Nadine im Alter ihrer Eltern hieß sondern um die Tweens. Das sind die gerade von der Wirtschaft neu entdeckten 10- bis 15-Jährigen, die rein körperlich heute bis zu fünf Jahren früher in die Pubertät kommen als ihre Mütter und deren Göttinnen Britney Spears, Christina Aguilera oder Shakira sind bzw. waren. Denn bei den schnelllebigen Youngsters ist Britney laut der Zeitschrift Teen schon längst wieder sowas von vorbei (nur deren Eltern halten die noch für in).
Die Kaufkraft dieser Tweens beläuft sich auf geschätzte 300 Milliarden Dollar im Jahr. Und Marktforscher fanden heraus, dass sie auch beim Kauf von Autos oder Handys mitreden, weil ihre Eltern cool sein wollen wie sie. Das heißt: Die lieben Kleinen sind längst ins Visier von Wirtschaft und Werbung geraten und einem entsprechenden Trommelfeuer ausgesetzt.
Zum Kummer mancher Mutter. So klagt Cassandra im EMMAonline-Forum: Als Mutter zweier Kinder habe ich in erster Linie das Problem mit dem Einkauf. Für meine 11-jährige Tochter wird es fast kriminell. Es werden nur noch Klamotten angeboten, die in meinen Augen für 16- bis 17-Jährige, die in die Disko wollen, angemessen sind. Für mich sieht das nach einem Diktat der Modeindustrie aus, um lauter Lolitas zu schaffen.
Könnte was dran sein. Und die Sexualisierung der Tween-Mode schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie bringt den früh-pubertierenden Tweens den Konsum und liefert den spät-geilen Oldies das Objekt. Das findet auch die Leiterin des Referats Gleichstellung im LehrerInnenverband VBE, Gitta Franke-Zöllmer: Bei dem Angebot haben Jugendliche kaum die Chance, Alternativen zu wählen. Da ist zu fragen, wer für diese bloßstellende Kleidung verantwortlich ist und mit welcher Zielsetzung sie entworfen wurde.
Solche Gedanken haben sich die meisten Verantwortlichen leider anscheinend noch nicht gemacht. So ist die Sprecherin des Berliner SPD-Schulsenators nur belustigt über die Initiative von Sehnde. Auch das rotgrüne NRW-Schulministerium hält Kleidung an der Schule für Privatsache (vom Minirock bis zum Schleier). Und der zuständige niedersächsische CDU-Kultusminister Bernd Busemann ist Helga Akkermann zwar dankbar, das Thema Kleidung in sinnvoller Weise angesprochen zu haben, mochte jedoch keine Vorschriften machen in Sachen Anstand und Sitte. Allerdings: Das Tragen von Springerstiefeln dem Symbol junger Rechter hat Hannover schon vor Jahren verboten.
Nur in Hamburg-Sinstorf hat Schulleiter Klaus Demian schon vor drei Jahren einfach einheitliche Pullover und T-Shirts für die SchülerInnen der fünften bis siebten Klasse eingeführt, also für die 11- bis 14-Jährigen. Und beste Erfahrungen damit gemacht. Die SchülerInnen sind bei der Sache. Denn knappe Kleidung lenkt ab. Und in der in Köln sehr begehrten St. Georges Schule waren Schuluniformen nach englischem Vorbild schon immer selbstverständlich. Dadurch ist jeder gleich in der Schule, erklärt Direktorin Felicity Nyman. Manche wollen ihre Uniform sogar am Wochenende anziehen.
Und während in Sehnde und im ganzen Land erregt diskutiert wurde, machte die Klasse 7.3 der Gesamtschule in Langenhagen in aller Stille ein cooles Experiment.
Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 7.3 der Integrierten Gesamtschule Langenhagen beschlossen, die Sache einfach mal selbst auszuprobieren. Melanie Weigert, 13: Wir haben gedacht, dann können wir ja gleich Schuluniformen tragen. Vom Gespött über den Konfirmandenlook ließ sich die 7.3 nicht beirren. Fünf Tage lang kamen alle 27 SchülerInnen in weißen Oberteilen und schwarzen Hosen oder Röcken zum Unterricht. Sie nahmen, was sich im Kleiderschrank befand.
Und, wie fühlten sie sich? Pascal Scheer, 12: Da gibt es den Markenstreit nicht mehr. Jenny Krämer, 13: Die Sachen sind viel schicker. Fabio Wender, 14: Schuluniformen sind total cool! Und auch Klassenlehrerin Irmlinde Kuhlmann wars zufrieden, denn die SchülerInnen waren viel ruhiger und haben sich schon ganz anders benommen. Warum sie nach einer Woche ihr Experiment stoppten? fragte die Hannoversche Allgemeine Zeitung die 7.3. Weil sie auf Dauer dann doch nicht die Exoten in Langenhagen sein wollten aber wenn die ganze Schule mitzöge ...
Schuluniform oder individuelle, angemessene oder sexy Kleidung die Debatte ist eröffnet und wird nicht nur Schulleiterin Ackermann noch länger beschäftigen. Die war zwar von den Reaktionen überrascht und auch manchmal genervt, bereut es aber nicht, denn sie hat reichlich Post bekommen, von München bis Kiel und meist mit dem Tenor: Weiter so. Und für sie ist ganz klar: Hier geht es um eine grundsätzliche Wertediskussion und die Frage: Wo sehen wir als Schule Grenzen? Und wie steht es mit der Verantwortung der Eltern? Denn: Erziehung heißt nicht wegsehen, sondern hinsehen!
EMMA September/Oktober 2003
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