Die kleinen Machos sind zurück

3Sat-Doku: Warum ist der Macho bei jungen Männern als Rolemodel wieder angesagt ?
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Ein Besuch im Jugendzentrum. Ein paar Jungs schauen in die Kamera. Es fallen Sätze wie: „Ein Mann steht um sechs Uhr auf, geht arbeiten. Abends macht ihm die Frau ein Steak mit Pommes. Er umarmt seine Kinder. Und morgen wieder von vorn.“ Oder: „Der Mann ist der Frau voraus, er sagt wo’s lang geht. Er ist der Chef im Haus.“ Oder: „Eine Frau ist völlig anders als ein Mann. Das ist einfach so.“ An anderer Stelle hält die Kamera auf einen Jungen, der auf seinem Smartphone Rap-Videos schaut. Die Frauen im Video liegen halbnackt im Pool, ihnen wird Sahne in die Münder gesprüht. Männer schlagen ihnen auf den Hintern. Die Texte glorifizieren sexuelle Gewalt an Frauen. Dann schwenkt die Kamera auf einen anderen Jungen, der Pornos schaut. Er ist neun Jahre alt.

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Ein Macho zu sein, finden schon kleine Jungs cool

Die FilmemacherInnen Sofia Pekmez und Wilfred Rebetez haben sich die neuen Machos angeschaut, nach Gründen und Hintergründen gesucht. In ihrer TV-Doku "Die kleinen Machos sind zurück" mischen sie sich unter die Zielgruppe: Im Skatepark, im Boxring, in der Schule, auf der Straße oder im Jugendzentrum.

Auffällig: Der Großteil der gefilmten Männer hat einen Migrationshintergrund aus dem arabischen Raum. Und sie erzählen offen von ihren Erfahrungen, von ihrer Einstellung zum Leben. Ein Leben, das massiv beeinflusst wird von Frauenverachtung in Pornos und Hip-Hop-Liedern. Aber auch junge Frauen kommen zu Wort und berichten, wie gleichaltrige Männer ihnen das Leben schwer machen oder sie gar Opfer von Übergriffen wurden. Und sie machen deutlich: Die Täter sind überall. Auf dem Schulhof, in der Einkaufspassage, auf der Straße.

SozialpädagogInnen, PsychologInnen, JugendbetreuerInnen und ForscherInnen versuchen das Phänomen des neuen Machismo in gestellten Szenen zu erklären. Und sie geben zu, dass ihre Therapie-Ansätze oft ins Leere laufen. Eine Grundlage für die Doku war auch eine großangelegte Studie der Universität Zürich, die feststellt: Es gibt eine Zunahme so genannter "Normen der Männlichkeit, die Gewalt legitimieren".

Ein Macho zu sein, das war mal total out, aber sowas von. Kein ernstzunehmender Mann wollte einer sein. Der Frauenbewegung sei Dank. Warum dreht sich das Rad wieder zurück? Für manche Jungs und junge Männer ist es verdammt cool, ein Macho zu sein, er ist das Role-Model, nach dem sie leben. Die neuen Machos, egal wie klein sie noch sein mögen, sind keine zu belächelnde Randgruppe – sie sind eine Bedrohung für ein freies Leben und für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Was muss sich ändern?

Darüber wird gerade auf der EMMA-Facebookseite lebhaft diskutiert!

Die Doku ist in der 3Sat-Mediathek noch bis zum 22. Februar verfügbar.

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Michael Kimmel: Männerforscher

Foto: © Deryne Keretic
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Michael Kimmel hat es nicht kommen sehen. Als der amerikanische Soziologe im Jahr 2013 „Angry White Men: Die USA und ihre zornigen Männer“ veröffentlichte, da hielt er die im Buch vorgestellten Amerikaner noch für eine Randgruppe und dachte, er beschreibe eine aussterbende Spezies.
Vier Jahre später sieht es anders aus. Donald Trump ist Präsident, und die zornigen weißen Männer sind das Rückgrat des amerikanischen Rechtspopulisten. „Jetzt haben sie die Samthandschuhe ausgezogen“, sagt Kimmel. „Sie fühlen sich ermächtigt, alle möglichen schrecklichen Dinge zu sagen oder auch zu tun, die ihnen früher verboten waren“.

Seit drei Jahrzehnten verfolgt der 66-jährige New Yorker mit dem breiten Lächeln und den großen Gesten ein und dasselbe Ziel: die männliche Denkweise zu verändern. Was wollen die Männer? Und was hält sie zurück im Streben nach Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern? Zu solchen Fragen forschte er als Soziologieprofessor für Gender Studies an der staatlichen Universität von New York in Stony Brook, wo er auch seit vier Jahren das neue, praxisnahe „Zentrum für Studien von Männern und Männlichkeit“ leitet.

Als Kimmel geboren wurde, brachte sein Vater noch einen Base-ballhandschuh mit ins Krankenhaus – das Symbol schlechthin für die traditionelle Vater-Sohn-Beziehung in Amerika. Kimmels Mutter war da noch Hausfrau. Betty Friedans Bestseller 1963, „Der Weiblichkeitswahn“, inspirierte sie dann aber dazu, wieder als Lehrerin zu arbeiten. Kimmels Vater war Arzt und holte den Jungen nun jeden Tag von der Schule ab. Derweil übte sich die Mutter in Emanzipation.

Kimmel erinnert sich daran, wie sie mit ihm eines Tages Hand in Hand zur Bank ging, um ihr erstes eigenes Konto zu eröffnen. Sie wollte, dass ihr Junge das miterlebte.

Solche Erfahrungen hinterließen Spuren. „Papa und Mama haben mich sehr inspiriert“, sagt Kimmel – genauso wie sein 18-jähriger Sohn Zachary (Foto) ihn heute inspiriere, wenn er das -Cyber-Mobbing in seiner Schule öffentlich anprangert.

Als Moment seines Erwachens beschreibt Michael Kimmel -allerdings einen spannungsgeladenen College-Studienkreis im -kalifornischen Berkeley. Eines Tages stritten sich dort zwei Studentinnen, eine weiß und die andere schwarz. Die Schwarze stellte eine einfache Frage: „Was siehst du, wenn du morgens in den Spiegel schaust?“ Die Weiße meinte, sie sehe eine Frau. Die Afro-amerikanerin antwortete: „Genau das ist das Problem. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich eine schwarze Frau. Du siehst die Hautfarbe nicht. So funktioniert Privileg.“

Als einziger Mann in der Runde fühlte sich Kimmel plötzlich ertappt. „An dem Tag bin ich zu einem weißen Mann aus der Mittelschicht geworden“. Kimmel zog die einzig logische Schlussfolgerung: „Klasse, Rasse und Geschlecht, das hatte alles mit mir zu tun. Und ich musste anfangen, mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.“

Den Mittelschichtsmann verkörpert er bis heute, ein Revolu-tionär wurde er gleichwohl. Vor ein paar Jahrzehnten boten amerikanische Unis nur einen Kurs zum Thema der Geschlechter, und der hieß „Ehe und Familie“. Heute ist Gender-Forschung ein breites akademisches Feld, und Kimmel ist einer der Pioniere.

Am liebsten aber bringt Kimmel andere Männer dazu, sich mit der Geschlechterfrage auseinanderzusetzen. Und das nicht nur in Vorlesungen. Er berät zum Beispiel das US-Justizministerium in Verfahren gegen Militärschulen, die Frauen benachteiligen; er ist Berater der Ministerien für Gleichheit in Schweden und Norwegen; er arbeitet mit allen Arten von Männern: Gang-Mitgliedern, die raus wollen; Schwulen, die sich ihrer Rolle in der Gesellschaft unsicher sind – und Neonazis, die genug haben.

Während der Recherche zu „Angry White Men“ entdeckte Kimmel eine Parallele zwischen Rechtsextremismus in Amerika und Europa. Und er entwickelte eine These. „Fast alle Männer, die aussteigen, tun es, weil sie Väter geworden sind und ein anderes Leben für ihre Kinder wünschen“, erklärt Kimmel. „Das ist der Schlüssel. Bringen wir also Männern bei, sich mehr wie Väter zu verhalten – schützend, verantwortlich. Wie ein ‚good man‘, der sich um andere kümmert, und nicht wie ein ‚real man‘, der um -jeden Preis gewinnen, Frauen erobern und reich werden muss.“

Seit der US-Wahl setzt sich Kimmels Zentrum verstärkt dafür ein, die zornigen weißen Männer Amerikas zur Einsicht zu bringen. Die Professoren und Doktoranden treffen sich regelmäßig mit Aktivisten und entwickeln ihre Forschungsthemen rund um die Bedürfnisse dieser Gruppen. Die Liste der Gruppen, die mit Kimmels Leuten arbeiten, wird dabei immer länger: Life After Hate ist zum Beispiel dabei. Men Engage. Breakthrough. Demand Abolition. Athlete Ally. Scouts for Equality.

Michael Kimmel ist nicht nur Forscher. Er ist auch Ehemann einer Expertin für Führungsverhalten, enger Freund von Gloria Steinem, Vater eines aktivistischen Sohnes, Talk-Show-Gast und YouTube-Star, dessen Ted-Talk fast 1,5 Millionen Zuschauer hat. Und jetzt Kämpfer gegen den Trumpismus.
„Privilegien sind unsichtbar für diejenigen, die sie haben!“ Das ist Michael Kimmels Lieblingssatz. Früher meinte er damit das männliche Establishment. Heute aber auch die Anhänger von Trump. Und den Präsidenten ganz persönlich.

 

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