Besuch bei Bella-Doris
Doris Gercke lebt in Hamburg und ist die Erfinderin von Bella Block. Sie sieht gar nicht so aus – oder doch? Kollegin und Krimi-Drehbuch-Autorin Cornelia Filter besuchte sie.
"Morgen fange ich an!" versichert sie – nicht mir, sondern sich selbst –, während sie eine filterlose Camel anzündet, eine von vielen im Verlauf unseres Gesprächs. Heute ist Montag, und "morgen" ist Dienstag, der 5. Februar 2002. Oder sollte sie’s lieber auf Freitag verschieben? Donnerstag hat Doris Gercke nämlich Geburtstag: am 7. Februar wird sie tatsächlich 65.
Der Hamburger Krimi-Autorin fällt es immer schwer, mit dem Schreiben eines neuen Romans zu beginnen. Sie weiß, dass sie sich dann für ein Jahr von der realen Welt verabschieden muss und in der fiktiven leben wird, in der Bella Block die Hauptrolle spielt: früher Kommissarin, heute Detektivin, Liebhaberin harter Getränke und sanftmütiger Männer, Tochter einer ostdeutschen Mutter und Enkelin eines russischen Großvaters. "Ich, Bella Block, bin aus Phantomland. Meine Mutter zog mich in den Westen hinein, als ich an ihrer Hand ging. Phantomschmerz wird bis zu meinem Absterben in mir sein", heißt es in Gerckes letztem Roman "Die schöne Mörderin".
Auch die 1937 in Greifswald Geborene und in Hamburg Aufgewachsene ist wie die von ihr kreierte TV-Kultfigur eine Grenzgängerin zwischen Ost und West, ihr Phantomschmerz ist das Leiden an der Wirklichkeit. Vor allem das Leiden von Frauen. Ihre Themen: männliche Macht und weibliche Ohnmacht. Ihre Bella Block die Rächerin der Rechtlosen. Je älter Bella wird, desto einsamer und melancholischer wird sie. Zunehmend begreift sie, dass Frauen - trotz Emanzipation – an den Verhältnissen, unter denen sie leiden, selbst wenig ändern wollen. Und darum nimmt Detektivin Bella keine Aufträge von Prostituierten mehr an: "Sie werden von ihren Zuhältern zusammengeschlagen und sagen anschließend, das sei aus Liebe geschehen."
Trotzdem bleibt Bella sich und ihren Prinzipien treu – ganz wie Doris: "Ich kann doch nicht mein eigenes Bewusstsein abschaffen. Ich habe Augen zu sehen und Ohren zu hören." Und das Talent zum Schreiben.
Schon die kleine Doris war ein begeisterter Bücherwurm, und seit sie lesen konnte, wollte sie auch schreiben: Doch das Vertrauen in sich selbst fand das Mädchen aus der Arbeiterfamilie erst, als sie eine gestandene Frau von 50 war. Mit 20 hat sie geheiratet; mit 22, nach der Geburt ihres zweiten Kindes, gab sie ihren Beruf als Sachbearbeiterin auf und wurde Hausfrau: "Das war der Auslöser meiner Politisierung." Es war die Zeit der 68er-Bewegung. Die Hausfrau entfloh den eigenen vier Wänden, dem tristen Einerlei von Putzen, Kochen und Waschen, ging zu Studentenversammlungen, trat in die DKP ein und wieder aus, und engagierte sich in der Frauenbewegung.
Mit 40, als die Kinder aus dem Haus waren, trennte Doris Gercke sich von ihrem Mann, machte das Abitur nach und studierte Jura, um Strafverteidigerin zu werden: "Für Rechtlose und Entrechtete." Nach dem Examen entschied sie sich dann aber doch für die Schrifstellerei. Der erste Bella-Block-Roman, "Weinschröter, du mußt hängen", erschien 1988 in einer Auflage von 3.000 Exemplaren – und wurde ein Überraschungserfolg.
Inzwischen ist Doris Gercke Beststeller-Autorin – aber eine Sekretärin hat sie nicht. Und auch keine Putzfrau. Früher hat sie ihre Manuskripte, die sie mit der Hand schreibt, auch noch selbst abgetippt. Wenigstens das überlässt sie inzwischen einer Schreibkraft.
Für ihren neuen Bella-Block-Roman, dessen ersten Satz sie morgen – oder vielleicht doch lieber erst am Freitag? – zu Papier bringen wird, hat Doris Gercke zwölf Monate recherchiert. Ein Jahr Recherche, ein Jahr schreiben, das ist der Rhythmus, der ihr Leben bestimmt. Und die Bewegung der Füllfeder auf dem weißen Bogen fließt mit dem Fluss ihrer Gedanken: "Der Füllhalter zwingt mich zu hoher Konzentration."
Die Drehbücher für die TV-Bella im ZDF aber schreiben andere, sie basieren – bis auf das erste – nicht auf Gercke-Romanen. Bella-Darstellerin Hannelore Hoger hat das jüngst in der Zeitschrift "Literaturen" ausdrücklich bedauert. Und Autorin Gercke? "Mich ärgert, dass ich die Rechte an der Figur zu billig verkauft habe." Sie hat auch schon Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben, doch diese Arbeit gefällt ihr nicht: "Alle reden einem rein – die Redakteure, die Produzenten und der Regisseur – und am Schluß weiß man selbst nicht mehr, was man anfangs wollte. Ich arbeite lieber allein."
Ihre Stoff-Ideen findet sie meistens in der Zeitung, zum Beispiel eine Notiz über eine Mutter, die ihre drei Kinder umbrachte. Die wird "Die Frau vom Meer" (2000). Die Artikel und erste Gedanken dazu klebt und skizziert Doris Gercke in eine Kladde, die sie mir zeigt und am 4. Dezember 2001 aufschlägt: Rechts ist Angelika Merkel zu sehen, die eine Rede im Bundestag hält; links daneben räkeln sich feixend Gerhard Schröder und Joschka Fischer auf der Regierungsbank. Das Bild bringt für Doris Gercke die Stimmung nach dem 11. September auf den Punkt: "Dieses Datum ist eine dramatische Niederlage für uns Frauen. Es hat die Ausschaltung von Frauen aus der Politik für lange Zeit zur Folge. Entweder passen sie sich an wie die olivgrüne Kriegstreiberin Angelika Beer – oder sie geben resigniert auf. Dass Deutschland sich im Krieg befindet, bedeutet den totalen Sieg von Macker-Heldentum und Männlichkeitswahn."
Nein, altersmilde ist Doris Gercke nicht gerade, auch wenn sie am Donnerstag 65 wird und am Freitag – oder doch schon morgen? – mit dem Schreiben ihres nächsten Romans beginnt.
EMMA 2/2002
Porträts & Interviews