Dorothee Vorbeck ist tot
Ich bin Dorothee Vorbeck zum ersten Mal 1971 begegnet. Die gegenseitige Sympathie war spontan. Da war die Pädagogin noch Vorsitzende der Frankfurter Jungsozialisten und galt als einer der brillantesten Köpfe der linken SPD, nicht nur in Hessen. Der Kampf gegen den §218 war für die Pfarrerstochter selbstverständlich. Und sehr schnell engagierte sie sich mehr und mehr für Frauen.
In meinem 1973 erschienenen Buch „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ sagte sie in einem (damals noch anonymisierten) Gespräch: „Für mich ist politische Frauenarbeit heute primär. Das ist eine Arbeit, bei der man wirklich etwas tun kann: Man erlebt regelrecht, wie man Bewusstseinsprozesse in Gang setzt. Außerdem bin ich selbst als Frau betroffen, beziehe mich in diese Arbeit mit ein: Politik und Privatleben sind endlich nicht mehr getrennt. Die eigene Situation – und das war für mich so ein Schlüsselerlebnis – ist keine individuelle, sondern eine gemeinsame.“
Die Pädagogin galt als einer der brillantesten Köpfe der linken SPD
Die Themen sind fast 50 Jahre später noch dieselben. Aber der Ton hat sich geändert. Die meisten Karrierepolitikerinnen sprechen heute nicht mehr von „wir“, sondern von ihr.
1978 wurde der SPD das frauenpolitische Engagement der Genossin, ihr scharfer Verstand und ihr leidenschaftliches Engagement zu viel. Sie setzten sie ganz ans Ende der Wahlliste, d.h.: Es war klar, Vorbeck kommt nicht mehr ins hessische Parlament.
Damals schrieb die Frankfurter Journalistin Ulrike Holler über die einst so brave Landtagsabgeordnete in EMMA: „Dorothees glatte freundliche Fassade bekam in den folgenden Jahren Risse. Hervor trat eine Frau, die im Aussehen zwar immer noch brav wirkte, im Handeln und Denken aber zunehmend unbequem wurde. Sie war für die Fristenlösung. Sie tauchte in Frauenzentren auf und marschierte in Demonstrationen mit. Sie hielt scharfe Reden gegen den Muttertag und seine frauenverdummende Funktion. Zuerst staunten die Männer. Und dann packte sie das Entsetzen. Da hatten sie eine durch die Maschen schlüpfen lassen. Zurück! Also entschlossen sich die Genossen, die ‚Dame Vorbeck‘ gar nicht mehr nett und auch nicht mehr damenhaft zu finden. Anders die Journalisten. Sie freuten sich zunächst über diese Wandlung, denn der Mangel an rede- und denkfähigen Politikern und die Langeweile ist groß. Mit ihr war das anders. Wann immer man einen kurzen, prägnanten Satz brauchte, eine klare Einschätzung und ein mutiges Wort – Dorothee Vorbeck brachte es.“
Scharfer Verstand & leidenschaftliches Engagement: Das war den Genossen zu viel
1984 holte Ministerpräsident Börner Dorothee Vorbeck als Staatssekretärin im Kultusministerium ins Kabinett. Sie hatte Freude am Gestalten. Aber lange hielten die anderen die Querdenkerin nicht aus. Sie ging 1987.
In den 1990er Jahren engagierte Dorothee sich im Beirat und Vorstand des FrauenMediaTurm. Mit ihrem großen Wissen und ihrem alles durchdringenden Blick trug sie entscheidend zum Profil des feministischen Archivs bei.
Dorothee hat nie aufgehört, leidenschaftlich teilzunehmen an der Welt. Doch in Bezug auf ihre Partei hatte sie irgendwann resigniert. In den letzten Jahren hat sie vor allem in die Kinder ihres Adoptivsohnes investiert. Sie waren bei ihr, als sie den Kampf gegen den Krebs verlor.
Alice Schwarzer
Die Beerdigung ist am 20. August, 13.30 Uhr auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.