Du fragst mich nach der Quote
Wir haben uns ja schon seit längerem immer mal wieder freundschaftlich in die Haare gekriegt beim Thema Frauenquote. Ich war stets strikt dagegen, hab das als sentimentalistisches Randthema in einer durch und durch rationalen, auf Effizienz und gute Unternehmensergebnisse geeichten und also geschlechtsneutralen Wirtschaftswelt abgetan. Schon gar, wenn sich auch noch die Politik mit gesetzlichen Quotenregelungen einzumischen versucht, um sich mal ausnahmsweise staatskostenneutral bei den Wählerinnen zu profilieren. Du aber, als Medizinisch-Technische Teilzeit-Radiologieassistentin in Deinem Heidenheimer Labor fandest die Quote immer „kriegsentscheidend, damit wir Frauen endlich mal ein gehöriges Stück weiterkommen“.
Wundert mich auch nicht. Erstens könntest Du mit Deinen 35 Jahren meine stets auf Opposition gebürstete Tochter sein, zweitens arbeitest Du in einem Beruf, der mit veritablen 91 Prozent weiblich dominiert ist und drittens hat man Dir dann auch noch einen der raren männlichen Exemplare als Laborleiter vor die Nase gesetzt. Da hätte ich an Deiner Stelle auch sooo einen Hals bekommen. Auch wenn ich Dir immer wieder eingebläut habe, mit Deinem Teilzeitjob wegen Deiner beiden halbwüchsigen Kinder kämest Du ohnehin auf keinen grünen Führungs-Zweig.
Aber was soll ich sagen, ich wandele mich in meinem neuen Job doch tatsächlich von der Saula zur Paula. Stell Dir vor, jetzt haben sie mir doch die Federführung für unsere nächste Sonderbeilage im Heft aufs Auge gedrückt. Thema: Frauenquote. Und je tiefer ich zähneknirschend ins ungeliebte Thema eingestiegen bin, desto nachdenklicher wurde ich.
Weißt Du was? Meine stets vorgeschobene ökonomische Rationalität gegen die Frauenquote war letztlich auch nur eine ausschließlich von Emotionen gespeiste Rationalisierung. Freudianisch-tiefenpsychologisch betrachtet jedenfalls. Als Papas Leistungs-Liebling, meinst du, stehen dir ohnehin alle Karrieretüren offen. So die unbewusst abgespeicherte Botschaft. Denkste! Glasdecken, so hoch sich der selbstbewusste Kopf auch recken mag.
Warum? Weil die männlichen Führungskräfte in dieser von Kennziffern und Rationalität beherrschten Unternehmenslandschaft eben gar nicht rational, sondern ebenso emotional ans Frauenbeförderungsthema herangehen. Das habe ich vor allem von Avivah Wittenberg-Cox gelernt, der Chefin des auf Genderthemen spezialisierten Beratungsunternehmens 20-first. Wie Männer dem Thema im Beruf gegenüberstehen, hängt mit ihrer privaten Situation zusammen. Diejenigen, deren Frauen oder Mütter berufstätig sind oder die ehrgeizige Töchter haben, gehören meist dem progressiven Lager an. Sie kennen das Thema und haben kein Problem mit Frauen, die eine ähnliche Bandbreite an Engagement und beruflichem Einsatz abdecken wie sie selbst. Auch der träge Typ, der am Status quo hängt und sich gegen Veränderungen wehrt, wird zu Hause geformt. Er fühlt sich häufig als Opfer einer Frau in seinem Leben. Oder er ist eben zufrieden mit dem Status quo und nicht bereit, sich zu hinterfragen. (Kleine Zwischenfrage: Könnte Dein Mann Dieter, der Ingenieur beim Anlagenbauer Voith, nicht in diese Kategorie passen?)
Die Genderdebatte wird nach wie vor ganz und gar emotional geführt. Dabei waren die wirtschaftlichen Gegebenheiten noch nie so klar: Je ausgewogener das Verhältnis von Mann und Frau, desto stärker der Wettbewerbsvorteil. Wirtschaftsunternehmen gehorchen selbstredend und nach wie vor sehr klaren betriebswirtschaftlichen Gesetzen: Der effizienteste Einsatz von knappen Ressourcen – Kapital und menschliche Arbeitskraft – führt zum größten Erfolg. Kapital ist in diesen von den Notenbanken befeuerten Geldschwemmezeiten der Euro- und Staatsschuldenkrise aber reichlicher vorhanden als menschliche Arbeits- und kreative Innovationskraft.
Nicht von ungefähr hat auch die Schweizer Bank Credit Suisse erst vor vier Monaten wieder mit einer einschlägigen Studie – nicht der ersten in dieser Frauenfrage – Aufmerksamkeit erregt mit der Erkenntnis: „Frauen im Vorstand führen zu höheren Renditen.“ Modethema hin, Frauenquotennerverei her, die Untersuchung zeigt klar und eindeutig: Die Aktien jener Firmen, die mindestens eine Frau in den obersten Führungsetagen vorweisen können, also in Vorstand oder Aufsichtsrat, haben in den vergangenen sechs Jahren deutlich besser abgeschnitten als der Rest. Zumal es sich nicht um vernachlässigenswerte Unterschiede handelt. Bei den Firmen mit einer Marktkapitalisierung von über zehn Milliarden Dollar betrug die Differenz 26 Prozent, bei den kleineren Unternehmen immerhin noch 17 Prozent.
Firmen, in denen Frauen an oberster Stelle präsent sind, weisen auch bessere Eigenkapitalrenditen auf, ihr Verschuldungsgrad ist niedriger, das Unternehmen wächst. Kurz: Eine Frau im Top-Management rechnet sich. Woran liegt’s? Gemischte Teams bringen bessere Ergebnisse ein und Frauen andere, zusätzliche Führungsstärken. Interessant dabei: Frauen sorgen offenbar auch dafür, dass Firmen sich eher an die Prinzipien guter Unternehmensführung halten und weniger riskant agieren.
Und jetzt kommt’s, meine liebe Renate: Ach, sagen diese Manager, die Frauen wollen doch gar nicht in Führungspositionen, sie scheuen sich regelrecht davor! Sie sagen: „Was ist bloß los mit diesen armen Frauen, dass sie es nicht an die Spitze schaffen? Wir geben ihnen ein Leadership-Training und Mentoring und helfen ihnen auf den Weg‘“, erzählt die erfahrene Beraterin Wittenberg-Cox.
Stattdessen sollten Unternehmen sich fragen, warum sie die Mehrheit der Talente nicht ausreichend anwerben, halten und fördern könnten. „Es sind die Manager, an denen man arbeiten sollte und nicht die Frauen.“ Was heißt das? Keine Frauen-, sondern eine Gender-Balance-Quote fordern! Und was heißt das nun wieder? „Anstatt einer Frauenquote von 30 Prozent, sollten Arbeitgeber anstreben, auf jeder Hierarchieebene mindestens 30 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer zu beschäftigen.“
Und da, meine liebe Renate, hast Du den Ball wieder voll im eigenen Tor. Gerade weil in Deinem Beruf die Frauenquote so hoch ist, müssen da immer mehr Männer rein und auch zu 30 Prozent in Führung kommen. Und weil bei Deinem Ingenieurs-Dieter die Frauen so selten sind, müssen sie umso schneller in Führungspositionen. Weil, wie wir eben gelernt haben, die Betriebe Gender-Balance brauchen. Die ist nachweislich besser für ihre Gewinne, ihre Kunden und ihre Talente. Auch in Deinem Labor.
Bis bald, meine Liebe. Ich umarme Dich und freue mich auf neue Nachrichten von Dir.
Ganz liebe Grüße von Deiner Dagmar
Dagmar Deckstein war lange SZ-Redakteurin und arbeitet heute als freie Journalistin in Stuttgart. Sie ist Hobbypilotin.