Edeltraud Walla: Die Entschlossene

© Achim Zweygarth
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Im Regal ihres Büros steht ein kleines Bild. Es zeigt Edeltraud Walla mit dem TV-Moderator Günther Jauch. Kleines Bild, große Wirkung.

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Seit die 58-Jährige neben Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) für die Rechte aller Frauen streiten durfte, ist eine Flut losgebrochen. Alle gratulieren ihr zu ihrem Auftritt. Vor allem aber zu ihrem Mut. Denn Edeltraud Walla spricht das aus, was viele Frauen nur denken: „Die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern ist ein Skandal, der zum Himmel schreit.“ In der Lesart der Ministerin hört sich das so an: „Die heutige Arbeitswelt entspricht dem Mittelalter. Sie können nicht davon ­aus­gehen, dass es alle gut meinen mit den Frauen.“

Im Fall von Edeltraud Walla sieht das so aus: Die Schreinermeisterin an der Universität Stuttgart, Fakultät Architektur und Stadtplanung, bekam monatlich 1300 Euro weniger als ein Mann für die gleiche Arbeit. Es kommt noch besser: Der Mann, der inzwischen im Vorruhestand ist, war weniger qualifiziert als sie. Er war Facharbeiter – sie Meisterin. Dennoch blieben der Leiterin der Werkstatt für Modellbau am Monatsende 40 Prozent weniger als ihrem Ex-Kollegen. Er strich 4400 Euro brutto ein – sie 3100 Euro. „Ist das nicht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit?“, fragte Günther Jauch und gab so einem alten Sprichwort neue Kraft: Recht haben und recht bekommen sind zweierlei.

Mir wurde der Gerechtigkeits-
sinn in die
Wiege gelegt

Edeltraud Walla hatte mit entsprechenden Klagen bis hin zum Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. In einer Urteilsbegründung von damals hieß es: „Der Mitarbeiter unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich des Geschlechts, sondern auch hinsichtlich des ­Alters und weiterer Merkmale seines Werdegangs, seiner beruflichen Ausbildung, seiner Beschäftigungsdauer deutlich von der Klägerin.“ Und ein Sprecher der Universität Stuttgart ist heute wie gestern bemüht festzuhalten: Es liege keine geschlechtsspezifische Diskriminierung vor.

Edeltraud Walla zieht die Augenbrauen nach oben. Sie sieht das freilich anders und findet alles nur noch „beschämend“. Aber solche Rückschläge steckt sie weg. Schon als Kind kämpfte sie für die Schwachen. In der Schule war sie Klassensprecherin.

Heute ist sie „Beauftragte für Chancengleichheit“ an der Uni. „Ich glaube, mir wurde der Gerechtigkeitssinn in die Wiege gelegt.“ Im reifen Alter sei sie nun noch mutiger geworden. „Wir Frauen wehren uns generell zu spät. Wir versuchen zu lange, die Harmonie zu wahren“, sagt sie und ergänzt: „Männer haben mehr Kampfeswillen, dafür beneide ich sie.“

Vielleicht hätte Edeltraud Walla mit diesem Kampfeswillen schon 1984 alle Register gezogen. Damals arbeitete sie als technische Zeichnerin. Per Zufall bemerkte sie, dass ihr Kollege bei gleicher Arbeit 500 Mark mehr kassierte als sie. Schon damals stießen ihr die Argumente des Arbeitgebers bitter auf: Der Herr Soundso müsse schließlich später mal eine Familie ernähren. „Dieses alte Rollenverständnis machte mich schon damals wild“, sagt sie. „Ohne zu wissen, ob der Kollege schwul oder etwa zeugungsunfähig war, setzte man einfach mal voraus, dass er eine Familie gründen will.“

Etwa 30 Jahre später hat sich aus ihrer Sicht in der Gesellschaft wenig geändert: „Diese Diskriminierung hat System.“ Dabei würden sich Männer durch diese Haltung doch selbst ins Knie schießen: „Auf den Männern lastet doch heutzutage ein Riesendruck in der Rolle des Ernährers. Wenn alle gleich verdienten, wäre alles leichter.“ Für Mann und Frau.

Die neue Perspektive dürfte vielen zu denken geben. Vielleicht sieht man an der Uni Stuttgart den Fall heute längst nicht mehr so verbissen. Edeltraud Walla hat zwar mächtig Staub aufgewirbelt, aber man schätzt ihr Engagement. „Sie hat in ihrer Position als Beauftragte für Chancengleichheit viel bewegt“, heißt es auf den Fluren des K1 in der Keplerstraße. Auch der Uni-Sprecher Herwig Geyer hegt gewisse Sympathie für Wallas Kampf: „Jeder, der an der Universität Stuttgart Verantwortung trägt, ist verpflichtet, dass die Gleichstellung vollumfänglich erfüllt wird. Deshalb danken wir Frau Walla, dass sie in dieser Kultur eine wichtige Rolle spielt.“

Auf den Männern lastet heutzutage ein Riesendruck in der Rolle des Ernährers

An der Haltung zur Bezahlung ändert das jedoch nichts. „An der Rechtsposition der Universität Stuttgart besteht kein Zweifel“, sagt Geyer und verweist dabei auf die gültigen Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts im Fall von Edeltraud Walla, die letztlich das Bundesarbeitsgericht ­bestätigt hat.

Aber Geyer weiß auch, dass die Schreinermeisterin noch einen letzten Pfeil im Köcher hat. Zusammen mit der Gewerkschaft Ver.di hat sie im Mai 2014 Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ihre Begründung: Unterschiedliche ­Bezahlung von Mann und Frau bei gleicher Arbeit und Qualifikation verstoße gegen Artikel 3 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Noch hat das Verfassungsgericht nicht entschieden, ob es die Klage überhaupt zulässt. Doch ungeachtet dessen ist Edeltraud Walla jetzt schon sicher: Sie wird siegen. Für sich und alle Frauen.

Der Text erschien zuerst in den Stuttgarter Nachrichten.

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Dagmar Deckstein über den Gender Pay Gap

Protest für gleichen Lohn auf dem Berliner Alex. - © Julia Witt
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Liebe Renate,

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das war ja mal eine tolle Nachricht! Du bist jetzt endlich Abteilungsleiterin in deinem Medizintechnischen Labor geworden! Ich kann nur sagen: So engagiert und zielstrebig, wie Du darauf hingearbeitet hast, war es für mich nur eine Frage der Zeit. ­Gratulation!

Aber, das hast Du mir auch geschrieben, ein wenig angefressen seist Du dennoch, weil Du erst kürzlich erfahren hättest, dass Dein Abteilungsleiter-Kollege aus einem anderen Laborbereich 500 Euro mehr im Monat verdient als Du. Du berührst da natürlich ein Thema, das seit vielen Jahren dauerhaft auf der Agenda steht, nämlich die Lohn- und Gehaltsunterschiede von berufs­tätigen Frauen und Männern in Deutschland.

Hochsaison hat das Thema jeden März, wenn wieder mal das „Gender Pay Gap“, mit allerlei Studien unterfüttert, zur Besich­tigung freigegeben wird. Will heißen, Frauen müssen bis Ende März des Folgejahres arbeiten, bis sie einkommensmäßig auf die Bezahlung der Männer im Vorjahr aufgeholt haben.

Die so genannte „unbereinigte Lohnlücke“ – laut Statistischem Bundesamt liegt die nach wie vor bei 22 Prozent – vergleicht den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern und Frauen, und zwar unabhängig von der Qualifikation. Egal, ob sie ein Hochschulstudium abgeschlossen oder die Schule abgebrochen haben; ob sie als Putzfrau oder als Managerin arbeiten. Sie ­besagt nur, dass berufstätige Frauen in Deutschland im Durchschnitt weniger verdienen als berufstätige Männer.

Dass Männer im Schnitt 18 Euro, Frauen aber nur knapp 14 Euro in der Stunde verdienen, heißt aber noch nicht, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Frauen verdienen vor allem deshalb schlechter, weil ihre Berufsbiografien anders verlaufen. Weil sie geringer bezahlte Berufe wählen und seltener Karriere machen. Weil sie oft lange Kinderpausen machen, und danach lieber – oder auch nur aus Not, weil keine Kita-Plätze vorhanden sind – in Teilzeitjobs arbeiten. Wird das berücksichtigt, liegt die so genannte „bereinigte Lohnlücke“ bei maximal acht Prozent – was ich, bei wirklich gleicher Arbeit, immer noch zu viel finde.

Am größten ist die Differenz in Führungspositionen. Da klaffen Gehaltsunterschiede von bis zu 30 Prozent zwischen Männern und Frauen in Führung. Ich hab mich da mal ganz tief hinein­gekniet in all die Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, die ­gerade bei diesem Thema zum immergleichen Ergebnis kommen: Je höher das Gehalt, desto höher der Gehaltsunterschied.

Je länger ich mich mit dem Thema und seinen wissenschaftlich hinauf- und hinunterdeklinierten statistischen Einflussfaktoren beschäftige, desto überzeugter bin ich, dass die meist eher am Rande diskutierten „soziologischen Ansätze“ die treffendsten sind. Dazu muss ich Dir mal ein paar Sätze aus einer Studie des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW zum „‚Gender Pay Gap‘ in Führungspostitionen der Privatwirtschaft“ zitieren, die trotz ihres verklausulierten Wissenschaftssprech der Wahrheit sehr nahe kommen. Da heißt es:

„Die historischen, im Modernisierungsprozess gewachsenen ­Zuständigkeiten der Frau für die Familien – und des Mannes für die Erwerbstätigkeit führen auf der Mikroebene zu entsprechenden geschlechtsspezifischen verinnerlichten Orientierungen und ‚Präferenzen‘ bei der Berufswahl sowie zu diskriminatorischen Praktiken auf dem Arbeitsmarkt … Eine dieser Stereotypen ist der ‚gender status belief‘, also die Vorstellung, dass ein Geschlecht (das männliche) dem anderen überlegen ist, womit Männern eine stärkere Machtstellung und mehr Privilegien zugesprochen werden. Mit diesen ‚gender status beliefs‘ gehen auch geschlechtsspezifische Vorstellungen über berufliche Statuspositionen einher sowie Implikationen bezüglich der Überlegenheit des einen ­Geschlechts über das andere. Dies führt zu Ungleichheiten in der Arbeitswelt: Männern wird unter ansonsten gleichen Bedingungen eine höhere berufliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit zugeschrieben als Frauen. Mit dieser Zuschreibung gehen unterschiedliche Berufschancen und Einkommenshöhen einher; letzteres deshalb, weil das Einkommen die erwartbaren Leistungen des Arbeitnehmers widerspiegelt.“

Die immer noch weitgehend männlich dominierte Arbeitgeber-Unternehmen erwarten also von Männern einfach eine höhere, bessere Leistung und bezahlen sie schon deswegen blind höher. Was natürlich angesichts der guten und besseren Leistungen, die Frauen im Beruf erbringen, vollkommener Bullshit ist. Aber ein auf zäher Tradition fußender Bullshit.

Ich glaube, ich habe Dir schon mal geschrieben, dass mir bis heute der Hals schwillt, dass erst 1977 der Paragraph 1356 im Bürgerlichen Gesetzbuch abgeschafft wurde, in dem es hieß: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“  Bis vor diesem historisch ­betrachtet noch nicht mal Wimpernschlag in der Menschheitsentwicklung brauchten Ehefrauen die Zustimmung ihres ­Ehemannes, wenn sie eine Erwerbsarbeit aufnehmen wollten, welchselbige sie dem Arbeitgeber bei der Einstellung schriftlich vorzulegen hatten.

Die Frau als Dazuverdienerin.

Was glaubst Du, liebe Renate, wie schnell sich solche sogar in Gesetze gegossene Geschlechterrollen-Stereotype aus dem kollektiven Bewusstsein verflüchtigen? Das dauert. In diesem gesellschaftlichen Reptilienhirn ist immer noch die Frau als kleine „Dazuverdienerin“ gespeichert, auch wenn die Daten und Fakten über besser und bestausgebildete Frauen, erfolgreiche Teamleiterinnen und Unternehmensführerinnen das Großhirn in einer ganz anderen Sprache ansprechen.

Also, liebe Renate: Geh hin zu Deinem Institutsleiter, handle Dir weitere 500 Euro Monatsgehalt heraus. Weil Du es Dir wert bist. Und mir erst recht!

In diesem Sinne: Allerherzlichste Grüße an Dich

Deine

Dagmar

 

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