Paralympics 2024: Müller zieht durch

Zielstrebig: Edina Müller ist auf Goldkurs. Foto: Sven Simon/IMAGO
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Edina war schon als Kind sportlich. 1983 kommt sie in Brühl bei Köln zur Welt, Volleyball und Judo werden ihr frühes Hobby. Mit 16 bekommt sie Rückenschmerzen, will sich einen Wirbel einrenken lassen. Das macht ihr der Arzt und beschädigt dabei ihr Rückenmark. In der Klinik ist an dem Tag kein Neurochirurg vor Ort, einen Tag später ist es zu spät. Edina ist querschnittsgelähmt. „Mit 16 ging für mich gerade alles los, und dann steht da dieser Rollstuhl.“ Eine Welt bricht zusammen.

Aber auch ein Netz breitet sich aus. „Meine Mutter, meine Familie, meine Schule, sie alle haben mich aufgefangen“, sagt Edina rückblickend. Vor allem ihre alleinerziehende Mutter Gisela gibt ihr Zuversicht und Kraft. „Meine Mutter ist eine Kämpferin. Sie hat mir immer Sicherheit und das Gefühl gegeben, dass es weitergeht. Dank ihr bin ich ein angstfreier Mensch geworden.“

Im Krankenhaus ist es die Sporttherapie, die für Edina eine neue Tür aufstößt. Dort spürt sie wieder Lust, sich zu bewegen, sich ihren Körper zurückzuholen. Und es tut gut, andere Menschen zu treffen, die auch im Rollstuhl sitzen. Sie beginnt mit Sitz-Volleyball, dann Tennis, dann Basketball. Mit Erfolg.

Regionalliga, Bundesliga, Gold bei der Europameisterschaft 2011, schließlich Mannschafts-Gold bei den Paralympics in London 2012. Dann will Edina was Neues, „neue Reize“. Sie steigt aufs Kanu um. „Diese Freiheit auf dem Wasser hat mich fasziniert“, sagt die Wahl-Hamburgerin.

Zwischen 2015 bis 2021 arbeitet sie sich wieder an die Weltspitze hoch. Bei Olympia in Tokio fuhr sie auf der 200-Meter-Strecke im Einer-Kanu allen davon: Gold. Ihr zweijähriger Sohn Liam jubelt am Ufer auf den Schultern vom Vater, ihr Trainer springt vor Glück zu ihr ins Wasser.

Viele haben nicht geglaubt, dass Edina Müller nach der Geburt ihres Kindes nochmal loslegt. „Es ist mir wichtig zu zeigen, dass Frauen das können, Leistungssportlerin sein und ein Kind haben!“, sagt sie. Nur sieben Wochen nach der Geburt ihres Sohnes, im Januar 2019, hatte sie das Training wieder aufgenommen. Sie wird als Pionierin gehandelt. „Dabei hatten es zu dem Zeitpunkt schon viele Frauen vorgemacht. Die Kanutin Birgit Fischer zum Beispiel. Die Medien haben ihr Kind einfach nicht erwähnt, als wäre es ein Makel, den niemand sehen soll“, sagt Edina empört.

Sichtbarkeit ist das zentrale Thema im Behindertensport – und für Frauen doppelt. „Die Wettkämpfe sind ja aus dem Veteranensport entstanden, waren als Reha-Maßnahme für Soldaten im Rollstuhl gedacht. Die Strukturen und Verbände sind also auf Männersport ausgerichtet. Wir Frauen müssen seit Bestehen des Para-Sports um eigene Ligen, Trainingsbedingungen, Turnierteilnahmen und natürlich Förderung kämpfen. Bis heute“, sagt die Athletin.

Kämpfen kann Edina – und anderen Mut machen auch. Sie arbeitet als diplomierte Sporttherapeutin für Menschen mit Behinderung an einem Klinikum in Hamburg. Sie macht also genau das, was ihr damals so geholfen hat: Sie hilft anderen, sich ins Leben zurück zu kämpfen.

Sie selbst hadert schon lange nicht mehr mit ihrer Behinderung: „Es liegt ganz viel an einem selbst, was du daraus machst. Wichtig ist, aktiv zu werden. Immer, wenn du etwas machst, öffnen sich neue Türen“, sagt sie pragmatisch.

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