Egal, ob Hosen oder Röcke
In jüngster Zeit haben wir mehrfach einen ganz ähnlichen Spektakel in der Politik ganz unterschiedlicher Länder erlebt: Männer an der Macht, die sich überschätzen – und Frauen auf dem Weg zur Macht, die unterschätzt wurden. Das ging der konservativen Angela Merkel 2005 nicht anders als der sozialistischen Ségolène Royal 2007; da reagierten die so genannten „Elefanten“ der französischen Parti Socialiste, die es bisher gewohnt waren, die Macht unter sich aufzuteilen, nicht anders als der sozialdemokratische Gerhard Schröder.
All diese Männer scheinen es irgendwie kaum fassen zu können, dass die Macht nicht länger automatisch qua Geschlecht ihre Domäne ist, sondern sie neuerdings auch mit dem anderen Geschlecht zu rechnen haben. Sicher, es sind nur allererste Vorbotinnen, zwölf gewählte Staatschefinnen bei weltweit 123 Demokratien, also zehn Prozent. Doch es zeichnet sich ein Trend ab, vor allem in den Ballungszentren der Macht.
Schon ist im Ausland vom „Merkel-Effekt“ die Rede. In Frankreich gehen politische Beobachter selbstverständlich davon aus, dass bei der Wahl von Ségolène Royal zur Präsidentschaftskandidatin der taffe Auftritt der deutschen Kanzlerin eine Rolle gespielt habe. Und auch der überfällige Antritt von Hillary Clinton mag von good old Europe mit inspiriert sein.
Im Ausland ist schon vom "Merkel-Effekt" die Rede
Auffallend dabei ist, dass die Staatschefinnen es selten der Unterstützung oder gar Protektion ihrer Kollegen und anderer mächtiger Kräfte in der Gesellschaft zu verdanken haben, wenn sie an die Spitze kommen, sondern fast immer nur der Basis. Das gilt für die deutsche Kanzlerin ebenso wie für die finnische und chilenische Präsidentin oder die französische Kandidatin.
Letztere würde übrigens, wenn sie es schafft, eine ungleich größere Machtfülle auf sich vereinen als ihre Kolleginnen. Denn der Posten des französischen Präsidenten – der Präsidentin? – ist der Machtfülle des deutschen Kanzleramtes plus dem halben Schloss Bellevue vergleichbar; dank de Gaulle, der sich das Amt einst sonnengottgleich auf den mächtigen Leib geschneidert hatte.
Doch zurück zu den Frauen. Noch etwas fällt auf: Sie sind nicht länger, wie einst Golda Meir in Israel oder Maggie Thatcher in Großbritannien, Ausnahmefrauen, die sich in weibliche Klischees zwängen lassen: wie Meir in den 60er Jahre als mütterliche Retterin im nationalen Notstand oder Thatcher in den 80ern als Eiserne Lady im ökonomischen Tiefstand. Nein, sie kommen in relativ normalen nationalen Verhältnissen an die Macht. Und vor allem: Sie lassen sich in keine Schublade mehr stecken. Sie sind „weiblich“ und „männlich“ zugleich und agieren als komplexe Persönlichkeiten, die nur noch unter anderem eben weiblichen Geschlechts sind.
Werden Frauen eines Tages an ihren Qualitäten gemessen?
Das Spektrum, auf dem diese unterschiedlichen Frauen gemäß ihrer unterschiedlichen Qualitäten und Erfordernisse agieren können, beginnt also sich zu erweitern. Der Kokon, in dem Frauen bisher als Geschlechtswesen eingeschlossen waren, bekommt Risse.
Selbstverständlich geht das nicht einfach so durch. Schon rüsten pseudoreligiöse Fundamentalisten und pseudowissenschaftliche Biologisten (die „christliche“ Variante der Islamisten) auf zum fröhlichen Jagen. Wir Frauen sollten uns da keine Illusionen machen. Der Aufbruch in die Welt wird uns auch in Zukunft nicht geschenkt werden.
Aber vielleicht sind wir ja – endlich – wirklich nicht mehr aufzuhalten. Egal, zu welcher Partei wir gehören; egal, ob wir Hosen tragen oder Röcke; egal, ob wir Kinder haben oder keine. Vielleicht werden wir ja eines nicht zu fernen Tages nicht länger gemessen an unserer Geschlechtsrollen-Konformität – sondern ganz einfach an unseren menschlichen Fähigkeiten und Qualitäten. Das wäre doch mal was.
So antworteten 33 Prozent aller Männer Allensbach auf die Frage, ob es besser wäre, "wenn Frauen sich wieder stärker um ihre Familie und den Haushalt kümmern würden, statt Karriere zu machen", mit einem glatten: Ja. (Aber übrigens "nur" 25 Prozent aller jungen Männer unter 30. Es gibt also Hoffnung.) Das ist das Drittel, das sich seit Jahren durch alle Umfragen und Studien zieht. Das Drittel, das auch in der Allensbach-Umfrage auf allen Ebenen auftaucht: 31 Prozent aller Frauen klagen über mangelnde Gleichberechtigung in der Beziehung und 34 Prozent aller Männer finden EMMA "männerfeindlich". Es ist das Drittel, das nicht im Verdacht steht, EMMA abonniert zu haben. Das Drittel, das Frauen vergessen sollten.
Wenden wir uns den anderen zwei Dritteln zu. Den Männern, die die neuen Verhältnisse genießen oder zumindest versuchen, sich mit ihnen zu arrangieren. Auch wenn die Herausforderung groß ist. Denn schließlich wurden innerhalb weniger Jahrzehnte über Jahrtausende gewachsene Machtverhältnisse und Privilegien erschüttert. Das tut weh. Den Ex-Privilegierten. Auf diese Erschütterung gibt es heute zwei Antworten im Weltmaßstab: den Fundamentalismus und den Biologismus. Beide haben nicht zufällig die Fortschreibung der traditionellen Geschlechterrollen im Visier: Frauen sollen Frauen bleiben - und Männer Männer. Was immer das heißen mag.
Kein Zurück hinter einmal Erkanntes und Erreichtes.
Zeiten der Veränderung sind Zeiten der Verunsicherung. Für Verunsicherte kann das Angebot ewiger Wahrheiten zum rettenden Anker werden. Ein solches Angebot macht sowohl der religiöse Fundamentalismus mit seinen göttlichen Dogmen, wie auch der pseudowissenschaftliche Biologismus mit seinen natürlichen Determinierungen. Beide sind Waffen im - hoffentlich letzten - Gefecht des Patriarchats, Schutzschilde für "gekränkte Männerehre" und beleidigte Weiblichkeit. Und das nicht nur im Islam.
Doch es gibt kein Zurück hinter einmal Erkanntes und Erreichtes. Nicht nur für Frauen. Auch der moderne Mann will nicht länger den alten Adam mimen; will nicht länger Alleinverdiener sein mit einer starken Schulter, an die sein schwaches Weib sich für immerdar anlehnt - und schon gar nicht das Geschlecht mit dem harten Herzen, das ohne einfühlsame Frau stehen bleibt.
Der moderne Mann genießt es, auch mal schwach sein zu dürfen - und vor allem, nicht mehr allein zu sein in dieser Welt. Denn er hat es - trotz aller so manches Mal schmerzlichen Turbulenzen - durchaus schätzen gelernt, eine Gefährtin an seiner Seite zu haben: als Frau, Freundin, Schwester oder Kollegin. An der Seite dieses modernen Mannes steht heute die moderne Frau, auch sie nicht immer ohne Widersprüche. Doch scheint sie entschlossen, Schulter an Schulter mit ihm die Welt zu tragen, drinnen wie draußen. Gehen wir es also an.
Gemeinsam: Die modernen Frauen und modernen Männer - gegen die alten Männlein und neuen Weibchen. Gehen wir es an. Gemeinsam: Die modernen Frauen und modernen Männer - gegen die alten Männlein und neuen Weibchen.