Fereshta Ludin - die Machtprobe
Entweder ist das Verfassungsgericht naiv oder es ist befangen. Gewachsen scheint es der so brisanten Frage auf jeden Fall nicht. Zu richten ist: Soll das Kopftuch in allen staatlichen deutschen Schulen zugelassen werden? Die für Juli oder September erwartete Entscheidung in Karlsruhe wird weitreichende Folgen haben. Sie verschließt oder öffnet dem Kopftuch alle deutschen Klassenzimmer oder auch dem Tschador und der Burka, warum nicht. Schließlich lassen sich zweifellos auch so gewandete Muslimas finden, die beteuern, aus ganz persönlichen religiösen Motiven so gekleidet zu sein und weil sie sich sonst ihrer Blöße schämen. Wie Ludin.
Für die Befangenheit des Zweiten Senats in dieser Frage spricht eine Äußerung seines Vorsitzenden, Winfried Hassemer, noch vor Beginn der Verhandlung. Er erklärte öffentlich, es ginge bei diesem Prozess auch um die Frage: Wie viel fremde Religiosität verträgt eine Gesellschaft? Damit setzt er voraus, dass 1. die auf das Recht auf Kopftuch klagende Lehrerin Fereshta Ludin wirklich religiöse Motive hat, und 2. das Kopftuch zwingender Bestandteil des Glaubens für eine Muslimin ist. Fragen, die eigentlich gerade im Laufe des Prozesses geklärt werden sollten. Einige Antworten liegen schon jetzt auf der Hand.
Denn die angeblich so naive Ludin befindet sich bei näherem Hinsehen in durchaus politischen Zusammenhängen. Und es gibt Millionen gläubiger Musliminnen ohne Kopftuch auf der Welt; zumindest in den Ländern, wo sie nicht mit Gewalt und Todesdrohung zum Verschleiern gezwungen werden. Außerdem: Auch anerkannte islamische Religiöse sind sich keineswegs einig in der Frage. Das Kopftuchgebot grassiert überhaupt erst seit 1979, seit der Gründung des ersten Gottesstaates in Iran, und der Finanzierung des weltweiten Kreuzzuges dank Saudi Arabien.
Bei ihrer Verfassungsklage argumentierte die gebürtige Afghanin Fereshta Ludin, die qua Heirat Deutsche wurde, mit dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem Recht auf freie Berufswahl. Dem hält die beklagte Ministerin Anette Schavan das strikte Neutralitätsgebot des Staates sowie das demokratische Grundprinzip der Trennung von Staat und Religion entgegen. Darüber hinaus vertritt die CDU-Ministerin die Auffassung: Das Tragen des Kopftuches gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin. Die Mehrheit der Frauen trägt weltweit kein Kopftuch. Vielmehr wird das Kopftuch auch in der innerislamischen Diskussion als Symbol für politische Abgrenzung gewertet.
Dagegen klagte Ludin seit 1998 und verlor in drei Instanzen. Jetzt ist sie also beim höchsten deutschen Gericht. Warum? Arbeitslos ist sie nicht, sie unterrichtet zur Zeit in dem Berliner Islam Kolleg, wo die junge Mutter sich ganz emanzipiert eine Stelle mit ihrem Ehemann teilt. Bemerkenswert: Das Islam Kolleg darf laut richterlicher Entscheidung frank und frei als Tarnorganisation von Milli Görüs bezeichnet werden. Die wiederum ist die größte islamistische Organisation in Deutschland und wird seit Jahren vom Verfassungsschutz als potenziell verfassungsfeindlich beobachtet. Ludin-Ehemann Raimund Prochaska konvertierte übrigens bereits vor der Ehe zum Islam.
Nicht nur in Berlin, auch zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen hätte Lehrerin Ludin problemlos mit Kopftuch unterrichten können, denn das rotgrüne Bundesland hat schon 15 Kopftuchlehrerinnen in Lohn und Brot (übrigens oft Konvertitinnen). Aber auch das will Ludin nicht. Sie will in Baden-Württemberg unterrichten! Und dafür zieht sie seit Jahren von Gericht zu Gericht, nach Kräften unterstützt von der als links geltenden Lehrergewerkschaft (wg. Berufsverbot) sowie von Milli Görüs und dem Zentralrat der Muslime (wg. Glaubensfreiheit), die beide bis zum 11. September noch offen mit der Scharia und dem Gottesstaat sympathisiert haben.
Ist Ludins Kopftuch also Privatsache? Nein. Es geht ums Prinzip. Und zwar auf beiden Seiten.
Umso eigenartiger, dass weder in den Medien noch im Prozess nach den wahren Motiven von Ludin gefragt wird. Selbst der Vertreter der verklagten Baden-Württemberger, Ferdinand Kirchhof, ging in vorauseilender Verharmlosung so weit zu erklären: Er nähme Ludin selbstverständlich ab, dass sie nicht missionieren will und für die freiheitlich-demokratischen Werte eintritt. Ist er da so sicher?
Fereshta Ludin ist wie seit 1997 in EMMA wiederholt berichtet die Tochter einer unverschleierten Lehrerin und eines afghanischen Ex-Ministers und Botschafters. Ihre großbürgerliche Familie war überrascht, als die damals 13-jährige in Riad plötzlich mit Kopftuch aus der Schule kam. In Saudi-Arabien, ausgerechnet. Neuerdings behauptet die als 14-jährige mit ihren Eltern nach Deutschland gezogene Ludin, sie habe sich dort gar nicht wohl gefühlt, denn: Ich habe überhaupt nicht verstanden, warum die Frauen dort benachteiligt werden und nicht Auto fahren dürfen.
Dieses Unbehagen ist neu. Als ich 1997 mit Fereshta Ludin telefonierte und sie nach ihrer Meinung zu dem Terror der Talibane und der Todesstrafe für unver-schleierte Frauen in ihrer Heimat fragte, da antwortete die Afghanin: Dazu möchte ich mich nicht äußern. Und als ich insistierte, hatte sie nicht ein Wort des Mitgefühls für die Afghaninnen, sondern erklärte: Solche Fragen möchte ich nicht beantworten, weil ich im Beamtenverhältnis bin. Hätte Ludins Antwort ihrem Beamtenstatus widersprochen, nach dem sie auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen muss?
Beobachter der Islamisten-Szene wissen, dass in den nicht islamischen Staaten mit hohem Muslimanteil auf die soziale jetzt die juristische Offensive folgt. Hierzulande haben die sehr rührigen Islamisten schon erreicht, dass auch mitten in Deutschland Ehen nach der Scharia geschlossen und Polygamie akzeptiert wird. Sie haben erreicht, dass die Schulpflicht für islamische Mädchen nur noch eingeschränkt gilt (indem sie zum Beispiel auf Willen der Eltern nicht mehr zum Sportunterricht müssen). Sie haben versucht, kritische Bücher zu verbieten (wie Ulfkottes Krieg in unseren Städten) - und nun versuchen sie, auch noch das Recht auf Kopftuchlehrerinnen zu verankern. Wird da schleichend, die Scharia in Deutschland eingeführt, im Namen der Toleranz ?
Die Parallelwelten existieren schon. Und das nicht nur in Schwäbisch Gmünd, wo Milli Görüs besonders aktiv ist. Dort leitete Ludin in den 90ern einen Frauenkreis und machte Führungen in der als besonders konservativ geltenden Moschee am Bahnhof, wo auch schon mal Formulierungen wie westliche Dekadenz fielen. Eines Tages gab die Pädagogik-Studentin Ludin Männern nicht mehr die Hand. Und in Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen erklärte sie, deutsche Frauen seien unrein und nur muslimische rein. Eine Teilnehmerin: Ich war so empört, dass ich mitten in der Veranstaltung rausgegangen bin.
Vor diesem Hintergrund ist das vom Verfassungsgericht so bereitwillig voraus gesetzte Motiv Glauben doppelt erstaunlich. Überraschend auch, dass das Gericht es plötzlich für angebracht hielt, vier GutachterInnen hinzu zu ziehen, die wissenschaftlich darlegen sollen, wie so ein Lehrerinnen-Kopftuch denn auf die lieben Kleinen wirke. Zur Freude des Ludin-Verteidigers und zum Befremden des Schavan-Anwaltes, der längst in der Defensive zu sein scheint.
Das deutsche Verfassungsgericht ist nach dem Erschrecken über den Unrecht-staat der Nazis geschaffen worden, um die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Urteilen zu prüfen und zu schützen. Es entspricht zwar einer allgemeinen fatalen Tendenz in der deutschen Rechtssprechung, sich aus der juristischen Verantwortung zu ziehen und dieselbe auf Psychologen abzuschieben (deren unvermeidlich subjektive Einschätzungen dann oft wie ein Gottesurteil genommen werden). Dass nun aber sogar das höchste Gericht eine so brisante politische Frage auf diese Art und Weise psychologisiert, ist alarmierend.
Warum wird stattdessen in Karlsruhe nicht auf die zahlreichen deutschen und internationalen Fakten und Erfahrungen zurückgegriffen? Warum fragt niemand die Betreuerinnen der geflüchteten, zwangsverschleierten jungen Musliminnen in Kreuzberg oder Köln? Warum fordert niemand einen Bericht bei Irene Khan, der Generalsekretärin von amnesty international an, die Muslimin ist und unverschleiert? Warum fragt niemand nach Studien bei Wassila Tamzali, der jahrelangen Unesco-Vorsitzenden für Frauen, Muslimin - und unverschleiert? Warum hört niemand bei der algerischen Ministerin Khalida Messaoudi-Toumi nach, die selbst jahrelang von einer Fatwa bedroht war und heute in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land an der Front gegen die islamistischen Zwangsverschleierer steht?
Die Amnesty-Chefin warnt vor jeglicher Art von Unterdrückung der Frauen im Namen einer anderen Kultur. Die Unesco-Anwältin appelliert öffentlich an die französische Justiz und Politik: Haben Sie den Mut, Nein zu sagen! (Nein zum Schleier an der Schule, für Lehrerinnen wie Schülerinnen). Für die Menschenrechtlerin Messaoudi-Toumi ist die Akzeptanz eines Andersseins von Frauen im Namen des Respektes vor anderen Kulturen eine regelrechte Kulturfalle. Sie fordert: Die Universalität der Menschenrechte, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion!
Die besonders in Deutschland tonangebende falsch verstandene Toleranz setzt die Ideologie einer islamistischen Minderheit gleich mit dem gesamten Islam und liefert so die Mehrheit der MuslimInnen der Minderheit der Kreuzzügler aus. In Frankreich, das doppelt so viele, nämlich etwa sechs Millionen MuslimInnen hat, geht man von 10-20 Prozent aktiven Gläubigen aus, von denen wiederum nur ein ganz geringer Teil Schriftgläubige sind. Der liberale Imam der Großen Pariser Moschee zum Beispiel warnt vor den von Saudi-Arabien bezahlten Islamisten und dem Schleier in der Schule, weil der das Anderssein betont und die Integration behindert. Und junge Musliminnen in den Vorstädten protestieren erstmals öffentlich gegen den religiös verbrämten Terror der eigenen Väter, Brüder und Männer, für die verschleierte Mädchen die Guten zum Heiraten sind - und unverschleierte die Schlechten zum Vergewaltigen.
Seit einem Vierteljahrhundert ist der Schleier der Frauen die Flagge der islamistischen Kreuzzügler. Er ist das Zeichen für Separierung. Zeit also, endlich Schluss zu machen mit der gönnerhaften Pseudo-Toleranz und anzufangen mit ernsthaftem Respekt. Respekt vor allem für die Millionen Musliminnen und Muslime, die von dem Terror aus dem eigenen Lager noch bedrohter sind als wir.
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Alice Schwarzer (Hrsg.) "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz" (KiWi) und "Krieg - Was Männerwahn anrichtet und wie Frauen Widerstand leisten" (Fischer TB, vergriffen).