Wehrdienst für Frauen?
Die einseitige Wehrpflicht für Männer verträgt sich durchaus mit der Gleichberechtigung der Geschlechter - zumindest, was das deutsche Grundgesetz angeht. Das hat 1956 beides, die Männer-Wehrpflicht wie die Frauen-Gleichberechtigung, als "gleichrangig" festgeschrieben. Befangen im Zeitgeist konnten auch die Grundgesetz-Väter (und -Mütter) es sich in den 50er Jahren gar nicht erst vorstellen, dass diese beiden Rechte einmal kollidieren könnten.
Ein knappes halbes Jahrhundert später wiesen die Karlsruher RichterInnen die Klage eines Potsdamer "Totalverweigerers" damit ab und schoben so den Fall an die Berliner PolitikerInnen zurück. Die müssen nun die Frage nach Rechten & Pflichten der Geschlechter und Wehrpflicht- oder Freiwilligenarmee selber entscheiden; und das auch noch mit "politischer Klugheit und ökonomischer Zweckmäßigkeit", hofft Karlsruhe.
Dieses die einseitige Wehrpflicht bestätigende Verfassungsgerichtsurteil vom 10. April löste reichlich Kommentare in alle Richtungen und von allen Richtungen aus. Dabei gerieten erfreulicherweise auch die traditionellen Lager ins Wanken, zumindest leicht. Denn ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU preschte mit einem beachtlichen Vorschlag nach vorn, der die Geschlechterrollen gründlich infrage stellen könnte: mit einer Dienstpflicht für beide Geschlechter, für den Zivil- oder Wehrdienst. Denn, so Friedrich Merz: "Es gibt gute Gründe, die für einen allgemeinen Dienst auch für Frauen sprechen." Schließlich wollten Frauen zu recht genauso behandelt werden wie Männer.
Da der Vorschlag von den Konservativen kommt und wir Wahljahr haben, fühlte sich die taz prompt an das Pflichtjahr für deutsche Mädel bei den Nazis und die allgemeine Dienstpflicht in der sozialistischen Militärdiktatur Burma erinnert.
Bei den kriegsführenden Grünen jedoch scheint die bisher stramme Anti-Frauen-Wehrdienst-Front zu bröckeln. Zwar argumentiert die grüne Frauensprecherin Irmingard Schewe-Gerigk noch ganz traditionell, Frauen hätten schließlich die Kinder zu erziehen, deshalb sei ihnen auch kein Pflichtjahr zuzumuten. Die einstige Pazifistin und heutige Verteidigungspolitikerin der Grünen, Angelika Beer, orakelte jedoch gleichzeitig, für die "Wehrgerechtigkeit und Gleichberechtigung" müsse ihre Partei noch "Antworten finden". Eines jedoch bleibt, wie es ist: Grüne wie taz sind gegen die Wehrpflicht, auch für Männer.
Seltene Einheitsfront: Auch EMMA ist gegen die Wehrpflicht. Ich habe mich zwar seit 1978 für das Recht von Frauen zum Dienst an der Waffe eingesetzt, war aber gleichzeitig immer gegen die Pflicht zum Wehrdienst, auch für Männer. Mit dem Kampf gegen das Berufsverbot für Frauen in der Bundeswehr stand ich rund 20 Jahre ziemlich allein und nicht gerade unbehelligt da ("Flintenweib").
Seit dem 1.1.2001 nun ist der uneingeschränkte Zugang zur Bundeswehr, inklusive Dienst an der Waffe, endlich auch für deutsche Frauen eine Selbstverständlichkeit. Der Einzug der Frauen in die männerbündischen Kasernen löste prompt die zu erwartenden Probleme aus.
Doch diesen verspäteten Geschlechterausgleich hat Deutschland keineswegs freiwillig eingeführt. Er ist das Resultat eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes, der eine Klage der Elektronikerin Tanja Kreil auf Dienst an der Waffe in der Bundeswehr recht gab. In Luxemburg ist übrigens schon wieder eine Klage wg. Geschlechtergerechtigkeit in der Bundeswehr anhängig: Die des heute 19-jährigen Jurastudenten Alexander Dory aus Konstanz, der nicht zur Bundeswehr will und mit der Geschlechterungleichheit bei der Wehrpflicht argumentiert. Gut möglich, dass die europäischen Richter auch in dieser Frage - keine Wehrpflicht oder Pflichtjahr für beide? - Deutschland eines Tages gar keine Wahl mehr lassen...
Aber noch schlägt die innerdeutsche Debatte hohe Wellen. Auch die SPD hat eine lange Tradition in der Sonderbehandlung von Frauen. So überrascht es nicht, wenn das SPD-Familienministerium den CDU-Vorschlag mit dem Argument abbügelt: Eine "Dienstpflicht für Frauen würde die bestehende Ungleichheit zwischen Frauen und Männern noch verschärfen". Und der superliberale FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle schiebt gleich hinterher: "Zwangsdienste gehören nicht ausgeweitet, sondern abgeschafft." Er ist eh für eine Berufsarmee.
Real geht der Trend in der Tat in die Richtung, und das nicht nur wegen der unumgänglich notwendigen Qualifizierung einer Interventionstruppe. Denn selbst die Wehrpflicht für Männer ist in Wahrheit ja keine mehr. Von rund 400.000 Wehrdienstpflichtigen deutschen Männern pro Jahr verweigert inzwischen knapp jeder Zweite (2001: 182.420); vom Rest ist rund jeder Dritte "wehrdienstuntauglich" (2001: 83.500). Nur etwa jeder vierte junge Mann im Wehrdienstalter rückt also wirklich ein in die Kaserne (2002: 120.000).
Umso unhaltbarer scheint es, dass es ein Pflichtjahr für Männer gibt - aber keines für Frauen. Frauen haben dafür ihre Pflichtjahre im Haushalt? Aber gerade das wollen wir doch abschaffen! Und wenn wir von den Männern ernsthaft erwarten, dass sie die Hälfte des Hauses übernehmen - ja, dann müssen wir Frauen auch die Hälfte der Welt übernehmen.
Ich plädiere darum für eine Art "Gemeinschafts-Pflichtjahr" für beide Geschlechter. Dann könnten die Männer sich nicht länger hinter dem Argument verstecken: "Schließlich leisten wir ja Wehrdienst", und die Frauen würden entweder auch mal kämpfen lernen (was nicht schaden kann), oder aber früh genug real erleben, was so ein soziales Jahr wirklich bedeutet - bevor sie sich auf 20 soziale (Kinder)Jahre einlassen.
Und zu tun gäbe es in der Gemeinschaft wahrlich genug gegen die Vernachlässigung von Menschen, Tieren und Natur. Gleich aber warnt das Familienministerium, amtszuständig für die Zivildienstleistenden, vor einer drohenden "Entprofessionalisierung" in den sozialen Berufen. Da mag was dran sein, aber das wäre ja auch schon bei den jetzigen 182.420 Zivis der Fall. Sicherlich lösbar wäre auch das Argument, ein Pflichtjahr für beide Geschlechter verstoße gegen "das Grundrecht auf Freiheit vom Arbeitszwang". Schließlich ist das Grundgesetz keine Gottestafel, sondern ein Menschengesetz, das sich unter veränderten Verhältnissen ändern kann, ja muss. Außerdem: Genau dieses Grundrecht wird bei den zivildienstleistenden Männern ja schon heute eingeschränkt.
Hinzu kommt, dass alle ExpertInnen sich einig sind über das Ende der Freiwilligenarmee und die Zukunft der Berufsarmee (für Männer wie Frauen). Ein Grund mehr, darüber nachzudenken, ob damit die Pflicht nun ganz abgeschafft oder durch ein Gemeinschaft-Pflichtjahr für beide Geschlechter ersetzt werden sollte: je nach Wahl für den Dienst an der Waffe oder den Dienst am Menschen.
Auch den jungen Frauen und Männern selbst könnte so ein Gemeinschaftsjahr gut tun. Vielleicht würde es dem im ungezähmten Kapitalismus zunehmenden Trend zur Individualisierung sowie dem im TV/Computer-Zeitalter mitgaloppierenden Realitätsverlust entgegensteuern.
Bleibt noch die Gretchenfrage: Wie vereinbare ich eigentlich mein Engagement für Pflichtjahr und Soldatinnen mit meiner Kritik am Krieg? Ganz einfach: Die Frage von Krieg&Frieden ist eng verknüpft mit den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern. Je stärker diese Hierarchie durch die Emanzipation der Frauen ins Wanken gerät, umso kriegerischer wird die Stimmung bei den Männern. Es steigt die Bereitschaft, Konflikte mit Gewalt auszutragen - auch im Weltmaßstab. Das beweist die aktuelle Konfliktforschung und dokumentiert das EMMA-Dossier in diesem Heft über "Neue Helden". Je wehrhafter also die Frauen werden und je einfühlsamer die Männer, umso größer sind die Chancen für Gleichheit und damit Frieden: zwischen den Geschlechtern wie den Völkern.