Ab jetzt kann geheiratet werden!
Es war wie eine Sturzgeburt: Was lange, lange währte, wurde plötzlich gut: Knapp vor der Sommerpause, am 30. Juni, verabschiedete der Bundestag überraschend die Homoehe – die von nun an der Heteroehe vollständig gleichgestellt ist. Ein Kulturkampf à la française ist Deutschland erspart geblieben.
Angela Merkel hat versucht, es allen recht zu machen.
Interessant ist, dass drei von vier weiblichen Abgeordneten für die Homoehe gestimmt haben (76 %), aber nur jeder zweite Mann (54 %). Bei den Konservativen haben 25 Frauen gewagt, dafür zu stimmen; darunter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Kulturministerin Monika Grütters, Ex-Familienministerin Kristina Schröder und die frühere Vorsitzende der Frauenunion, Maria Böhmer. Die Kanzlerin hat dagegen gestimmt, das ist bekannt, aber für das Adoptionsrecht auch für verpartnerte Männer. Ein Schachzug, mit dem Angela Merkel versucht, es allen recht zu machen.
Es ist nicht ohne Komik, dass ausgerechnet die CDU-Kanzlerin den Anstoß zu diesem plötzlichen Handeln gab. Mit ihrem Satz zur „Gewissensfrage“ (beim Pro und Contra zur Homoehe) brachte sie den Stein ins Rollen. Opposition und SPD sprangen schnell auf den anfahrenden Zug. Sie alle schienen sich davon, dass sie das heiße Wahlkampfthema Monate vor der Wahl vom Tisch bringen, etwas zu versprechen.
Es ist ein gewaltiger Schritt, der nicht nur von juristischer, sondern auch von hoher symbolischer Bedeutung ist. Von nun an wird die Liebe zwischen Frauen bzw. Männern auch in Deutschland von rechts- und staatswegen so ernst genommen wie die Liebe zwischen Frau und Mann. Was für eine Gesellschaft keineswegs selbstverständlich ist, für die bis heute die Heterosexualität normativ ist und bis 1969 die männliche Homosexualität strafbar war. Umso mehr ist die Unermüdlichkeit und Entschlossenheit zu bewundern, mit der der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und so mancheR engagierteR PoltikerIn dafür gekämpft haben.
Dafür haben die Frauenbewegung und die Homosexuellenbewegung den Boden bereitet. Sie haben in den vergangenen 50 Jahren das Primat der patriarchalen Heterosexualität konsequent infrage gestellt und bekämpft. Im Westen. Resultat ist nicht nur die gesellschaftlich weitgehende Akzeptanz der Homosexualität, sondern nun sogar das Recht auf die Ehe.
Die Frauen- und Homo-Bewegung haben den Boden bereitet
Im Osten hat es diesen Kulturkampf gegen die (Zwangs)Heterosexualität nicht gegeben. Diese Ideen konnten erst nach Fall des Eisernen Vorhangs auch nach Osteuropa einsickern, also vor einem Vierteljahrhundert. Zu hoffen, dass es nicht noch ein Vierteljahrhundert dauern wird, bis auch in diesen Ländern ein -Bewusstseinswandel stattfindet und auch die Homoehe selbstverständlich wird. Mit aller Macht zu verhindern versuchen das in Osteuropa vor allem die katholischen und christlich-orthodoxen Kräfte.
Als ich 1984 in EMMA erstmals für das „revolutionäre“ Recht auf die Homo-Ehe plädierte („In einer zwangshetero-sexuellen Welt ist es eine Unerhörtheit, die homosexuelle Liebe so ernst zu nehmen die die heterosexuelle“), da schlug mir noch ein Schwall von Spott und Kritik entgegen. Allen voran von engagierten Schwulen und Lesben. Denn damals galt die Ehe noch als „reaktionär“. Und das war sie auch in der Tat. Inzwischen jedoch ist das Eherecht auch für Heterosexuelle so weitgehend reformiert worden, dass es Ehefrauen nicht mehr entrechtet.
Nur das Steuerrecht benachteiligt noch die Ehefrauen: Mit der hohen Steuerklasse 5, nach Wahl für „Zweitverdiener“, wenn beide berufstätig sind. Das ist das Ehegattensplitting, mit dem Vater Staat nicht nur mit Milliarden die Hausfrauenehe subventioniert, sondern das auch ein Argument ist für so manchen Ehemann, seine Frau an der Berufstätigkeit zu hindern („Bleibt eh nix übrig“).
Das wird von nun an auch für Homopaare gelten – so sie wollen. Und die meisten werden wollen, wenn einer von beiden deutlich weniger verdient. Denn dann kann ein Paar dank Splitting bis zu 15.000 Euro pro Jahr sparen. Auf Kosten aller Steuerzahler. – Doch ob Hetero– oder Homoehe: Es ist zu hoffen, dass das Splitting nach dreißigjähriger Kritik von Feministinnen in Bälde endlich abgeschafft wird!
Genauso lange fordert EMMA schon die Homoehe. Doch anno 1984 allerdings habe selbst ich nicht daran geglaubt, dass die von mir im Kontext einer EMMA-Titelgeschichte zur „Lesbenehe“ geforderte Homoehe wirklich kommen würde. Damals ließen sich die ersten Frauen von rebellischen PfarrerInnen trauen. Aber: „Ich bin sicher“, schrieb ich damals, „dass diese Gesellschaft homosexuellen Frauen und Männern nie das uneingeschränkte Eherecht zugestehen wird“. Manchmal ist „die Gesellschaft“ eben doch fortschrittlicher als befürchtet.
50 Jahre Kampf für die Akzeptanz von Homosexualität, das ist lang für ein Menschenleben, aber kurz für die Menschheitsgeschichte. In einem wahrhaft rasanten Tempo rückt der christlich geprägte Westen damit von dem Primat der „heiligen Ehe“ ab. Die Werte werden neu gemischt. Was verständlicherweise nicht allen passt, jedoch nun mehrheitlich Konsens ist. Und darüber dürfen sich nicht nur die direkt Betroffenen von Herzen freuen.
Die rasante Entwicklung steigert auch die Gefahr eines Rückschlags
Gleichzeitig steigert diese rasante Entwicklung die Gefahr eines Rückschlages. In Ländern wie Frankreich ist wegen der Homoehe die Bevölkerung gespalten. Und es gibt weite Regionen in der Welt – allen voran die islamischen Länder – für die Homosexualität eine der schlimmsten Sünden ist, auf die totale gesellschaftliche Ächtung bis hin zum Tod droht. Die Kluft zwischen den Kulturen ist also mit der Entscheidung für die Homoehe nicht kleiner, sondern größer geworden.
Es gehört nicht viel dazu, zu weissagen, dass die Akzeptanz der Homoehe die Verachtung nicht nur der schariagläubigen Muslime gegen den „dekadenten Westen“ steigern wird. Auch fundamentalistische Christen sowie weltliche Rechte sind rasende GegnerInnen der Akzeptanz von Homosexualität, von der Homoehe ganz zu schweigen.
Das müssen wir aushalten. Darauf können wir stolz sein. Das müssen wir verteidigen.