Ehefrauenmord: Kriegsopfer in Amerika

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Sie waren gerade vom Einsatz in Afghanistan ins heimische Fort Bragg zurückgekehrt. Doch wenige Tage und Wochen später killten die drei Elite-Sol­da­ten wieder – diesmal jedoch ihre eigenen Ehe­frauen. Der vierte Ehefrauen-Mord im US-Elite-Camp ging auf das Konto einer ihrer Ausbilder: Der Schock in der Army ist groß: Was ist los mit den Jungs?

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Strahlend blauer Himmel über Moga­dischu. Da tauchen, Habich­ten gleich, drei dunkle Punkte am Horizont auf. Von einem Moment auf den anderen ist alles grau vor Staub. Im Tiefflug fallen drei schwarze Helikopter (Black Hawks) über einen Platz im Stadt­zentrum her. Rotoren dröhnen, MG-Salven rattern. Unten fliehen panisch Menschen, während von oben auf sie geschossen wird. So beginnt der mit zwei Oscars prämierte Hollywood-Film „Black Hawk Down“, der gerade in Deutschland angelau­fen ist. Er handelt von einem Einsatz amerikanischer Elite-Soldaten der Spezial­einheiten „Rangers“ und „Delta Force“ im Oktober 1993. Über 1.000 Zivi­lis­­tInnen starben bei dieser so genannten „Rou­tine-Aktion“ gegen somalische Bürger­krieg-Warlords im Rahmen einer UNO-Friedensmission.
Brennend heißer Wüstensand im Nor­den Afghanistans. Ein Oberschenkelknochen verbleicht in der Sonne. Daneben ein Schädel, dann ein Brustkorb und schließlich ein ausgehobenes Massengrab. Diese Bilder aus dem Dokumentarfilm „Das Massaker von Mazar“ des irischen BBC-Re­porters Jamie Doran schockierten im Juni 2002 weltweit. Sie könnten ein Beweis dafür sein, dass im November 2001 Hunderte von Taliban – Kriegs­ge­fan­gene, die sich freiwillig ergeben hatten – gegen jedes Kriegs- und Völker­recht ermordet wurden: „Von 30 bis 40 Elite-Sol­daten einer amerikanischen Spezialeinheit.“
Ein schmutziges Morgenrot über Fayette­­ville. Die Menschen in der verschlafenen Kleinstadt in North Carolina werden heute, am 19. Juli 2002, über den vierten Frauenmord innerhalb von sechs Wochen entsetzt sein. Die erste Tote fand man am 10. Juni in ihrem Haus auf dem Areal von Fort Bragg. Auch die drei nächs­ten Frauen wurden dort umgebracht.
Der Militärstützpunkt Fort Bragg unweit von Fayetteville ist der Standort des Oberkommandos und der zentralen Schulungsstätte für die „Special Operation ­Forces“ (SOF) der US-Army, unter anderem für die Spezialeinheiten „Rangers“ und „Delta Force“, dargestellt in dem Hollywoodfilm „Black Hawk Down“. Die Ermittlungen von Militär- wie Zivilpolizei ergaben, dass die vier in Fort Bragg ermor­deten Ehefrauen allesamt von Elite-Kämpfern getötet wurden: Teresa Nieves am 10. Juni, Jennifer Wright am 29. Juni, Marilyn Griffin am 9. Juli und Andrea Floyd am 19. Juli. Nur: Die Killer gehörten nicht zu feindlichen Truppen – es waren die eigenen Ehemänner.
Zwei Tage nach seiner Heimkehr aus Afghanistan erschoss Hauptfeldwebel Rigberto Nieves zuerst Teresa und dann sich selbst. Vier Wochen nach seiner Heimkehr aus Afghanistan erwürgte Feldwebel William Wright Jennifer und vergrub sie in einem Müllsack. Unteroffizier Cedric Ramon Griffin war noch nie in Afghanis­tan, aber er war einer der Ausbilder für Auslandseinsätze der Elite-Killer: Am 9. Juli zerfetzte er die getrennt von ihm leben­de Marilyn mit 50 Messerstichen. Danach zündete er das Haus an, in dem sie mit den gemeinsamen Kindern wohnte. Am 19. Juli erschoss Hauptfeldwebel Brandon Floyd seine Frau Andrea mit seiner Dienstwaffe (und kurz darauf sich selbst). Er war gleich zu Beginn des Anti-Terror-Kriegs gegen Osama Bin Laden und die Taliban im Oktober 2001 nach Afgha­nistan geschickt worden. Laut Fayette Obser­ver zufolge war Floyd ein Mitglied von „Delta Force“, die geheimste der geheims­ten Spezial-Einheiten.
Teresa, Jennifer, Marilyn und Andrea – vier ermordete Ehefrauen in nur sechs Wochen auf einem einzigen Militärstützpunkt. Wie konnte das geschehen? Die wildesten Theorien kursieren: von „Eifersucht und Beziehungskrise“ über „Hitzestress im heißen Afghanistan“ bis hin zu „Nebenwirkung eines Malariamittels“. Generäle, Politiker, Psychiater, Journalis­ten – alle scheinen sich zu wundern, dass vier Männer mordeten, die zum Töten ausgebildet wurden.
Bewerber für „John F. Kennedy Special Warefare Centre and School“ müssen sich einem 24-tägigen Eignungstest unterziehen. In dieser Elite-Universität für Elite-Soldaten in Fort Bragg werden nicht nur „Delta Force“ und „Rangers“ für geheime und obergeheime Spezialeinsätze in Somalia, Afghanistan und anderswo geschult, sondern auch die „Green Berets“: eine Anti­terror-Truppe, die berühmt-berüchtigt wurde durch ihre Massaker der Zivilbevölkerung im Vietnamkrieg.
Auch Timothy McVeigh hatte sich in Fort Bragg beworben, bevor er 1995 in Oklahoma 149 Erwachsene und 19 Kinder in den Tod bombte. Der mehrfach wegen „Tapferkeit“ ausgezeichnete Golfkriegs-Veteran war für seinen Kampf gegen den Irak in einer Scharfschützen-Einheit mit dem Schlachtruf gedrillt worden: „Blood makes the grass grow. Kill! Kill! Kill!“ (Blut lässt das Gras wachsen. Töte! Töte! Töte!). Eigentlich optimale Voraussetzungen für eine berufliche Weiterqualifizierung an der Elite-Uni für Elite-Soldaten in Fort Bragg. Doch McVeigh schaffte die Aufnahmeprüfung nicht: „Wegen psychischer Labilität.“
Die vier Gattinnenmörder bestanden den Test. Brandon Floyd, Ehemann von Andrea sogar so gut, dass er für die obergeheime „Delta Force“-Truppe ausgewählt und im Umgang mit „allen vorstellbaren Kampfmitteln“ trainiert wurde: für Entführungen, Attentate und andere Opera­tionen namens „Hit and Run“ (Zuschlagen und wegrennen). Selbst das Schweigen unter Folter lernte Floyd in Fort Bragg. Und ebenso das Schweigen zu Hause. Alle Elite-Kämpfer von „Delta Force“ müssen schwören, nicht einmal der eigenen Ehefrau zu erzählen, was sie erlitten und getan haben.
„Extremer Kampfgeist“ und „unerschütterlicher Teamgeist“ sind das Markenzeichen der „Delta Force“-Spezialisten, die in kleinen Einheiten von maximal 15 Mann operieren. Nur mit ihren Kameraden dürfen sie über das sprechen, was ein Augenzeuge aus dem Dokumentarfilm „Das Massaker von Mazar“ gesehen haben will: „Die amerikanischen Soldaten haben den Taliban die Finger und die Zungen abgeschnitten. Sie schlugen die Gefangenen oder brachen ihnen das Genick. Manchmal taten sie es nur aus Spaß.“
Da wäre es vielleicht sinnvoll, den Ka­me­raden auch das Heiraten zu verbieten. Denn dann würden Andrea Floyd, Mary­lin Griffin, Jennifer Wright und Tere­sa Nieves noch leben: Diese vier Frauen, die von Männern ermordet wurden, die einfach nicht mehr aufhören konnten, zu töten und zu foltern. Dennoch bleibt die Frage: Wieso haben die Berufskiller gerade jetzt auch zu Hause zugeschlagen? Warum diese sich erschre­ckenden Serienmorde an den eigenen Ehefrauen?
Die Antwort lautet: Das Killen war schon immer der Job dieser Spezialeinheiten. Nie zuvor aber waren sie in einem Land wie Afghanistan. Ein mittelalterliches Land mit allmächtigen Patriarchen und ohnmächtigen Frauen, die gesichtlos unter ihren Burkhas verschwinden. Aufs Foltern und Morden waren die GIs von den „Special Operation Forces“ vorbereitet. Aber nicht auf ein Land mit Frauen, die weniger wert sind als Tiere, die bedingungslos gehorchen müssen und auf deren Aufbegehren die Todesstrafe steht. Und dann kehrt so ein monatelang in so mittelalterlichen Verhältnissen lebender Held zu einer Amerikanerin des 21. Jahrhunderts zurück – das muss ja krachen.
„Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass seine Ausbildung ihm vermittelte: Töte, was du nicht kontrollieren kannst!“, sagt Penny Flitcraft, die Mutter von der mit der Dienstwaffe erschossenen Andrea Floyd. „Ich kannte ihn wie mein eigenes Kind“, sagt Wilma Watson über ihren Schwiegersohn William Wright, der ihre Tochter Jennifer erwürgte: „Vor seinem Einsatz in Afghanistan habe ich mir nie Sorgen über Gewalt gemacht. Danach hatte er diese Wutausbrüche. Jennifer hatte Angst vor ihm. Ich habe sie angefleht, nach Hause zu kommen. Aber sie liebte ihn immer noch.“
Das Telefon von Yvonne Qualantone, in Fort Bragg zuständig für die Familienbetreuung, steht seit der Mordserie nicht mehr still: „Frauen rufen mich an und fragen, wie sie verhindern können, dass es ihnen genauso ergeht wie Teresa, Jennifer, Marylin und Andrea.“ Auch beim Fayetteville Observer laufen die Drähte heiß.
Die meist anonymen Anruferinnen sind ­Frauen aus Fort Bragg. Sie berichten über die „rasante Zunahme“ von häuslicher Gewalt durch Ehemänner, die aus Afghanistan zurückgekehrt sind: „Diese Frauen fürchten um ihr Leben.“
Aber sie sind alarmiert. Am 2. Oktober kamen 200 Menschen, überwiegend Frauen, in der Kapelle von Fort Bragg zusam­men und zündeten Kerzen an: für Teresa Nieves, Jennifer Wright, Marilyn Griffin und Andrea Floyd – sowie für weitere 35 in North Carolina allein in diesem Jahr von ihren Männern und Vätern getötete Frauen und Kinder. „Es wird Zeit, dass wir Frauen uns zusammenschließen und häusliche Gewalt nicht länger akzeptieren“, mahnte Sandi Clagett, weiblicher Commander für männliche Kriegsvete­ranen aus Auslandseinsätzen.
General William G. Boykin, oberster Kommandant der in Fort Bragg stationierten „Special Operation Forces“ (SOF), war bei dieser Gedenkfeier nicht dabei. Derzeit sind 3000 seiner Elite-Soldaten im Afghanistan-Einsatz. Vor ihrem Abtrans­port hatte General Boykin gemeinsam mit ihnen für „Gottes Segen“ gebetet. Die Ehefrauen seiner „Kämpfer, die sich für ihr Vaterland aufopfern“, waren allerdings nicht ins Gebet eingeschlossen. Motto des SOF-Generals, früher Einheitsführer bei der obergeheimen Killer-Truppe „Delta Force“: „I’m a warrior, not a peace­keeper“ (Ich bin ein Krieger und kein Friedensbewahrer).
Übrigens: Ein fünfter Mord in Fort Bragg macht gerade Schlagzeilen in Fayette­ville. Dieses Mal ausnahmsweise mit einer männlichen Leiche: Am 23. Juli wurde nachts im Schlaf Major David Shannon erschossen. Eine Woche später verhaftete die Polizei seine Ehefrau Joan. Als Motiv wurde ihr Geldgier unterstellt, da ihr Mann eine hohe Lebensversicherung auf ihren Namen abgeschlossen hatte. Doch inzwischen hat eine andere den Mord gestan­den: Shannons Tochter Elizabeth. Was wohl könnte das Motiv der 15-Jährigen gewesen sein …?
Cornelia Filter, EMMA 6/2002

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