Blutroter Teppich für Erdoğan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird am 28. und 29. September in Berlin und Köln sein. Er wird mit allen militärischen Ehren empfangen und einen Kranz am Mahnmal der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft niederlegen. Welch ein Hohn!
Die Liste der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ist ellenlang. Amnesty International oder Human Rights Watch haben ebenso wie EU, OSZE und UNO die Entlassungs- und Verhaftungswellen, die Gleichschaltung der Medien, die völkerrechtswidrigen Kriege, Vertreibungen und Enteignungen dokumentiert. All dieses ist ebenso bekannt wie Erdogans frauenfeindliche, antisemitische und antidemokratische Politik. Sie treibt die Türkei und den Nahen Osten zunehmend mehr ins Chaos.
Erdogan legitimiert Gewalt gegen Frauen
Wer auf Krieg statt Frieden, Diktatur statt Demokratie, Gefängnisse statt Freiheit setzt, wer Gewalt gegen Frauen rechtfertigt statt Gleichberechtigung anzustreben, der hat in Berlin keinen Staatsbesuch verdient.
Allein im 2017 kamen in der Türkei 409 Frauen durch Männergewalt ums Leben. Im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um über 25 Prozent! Seit Machtergreifung der nationalislamischen AKP sind Frauen tagtäglich Verteufelungskampagnen durch Prediger ausgesetzt und werden verstärkt Opfer von Gewalt in der Familie. Die Fälle von Vergewaltigung haben rapide zugenommen, moderne Frauen stehen auf verlorenem Posten im Kampf gegen die Zwangsehe minderjähriger Mädchen und den ständig wachsenden, männlichen Despotismus.
Als Frauen gegen all dieses vor dem Frauentag am 8. März 2018 auf die Straße gingen, wurden sie bei strömendem Regen von der Polizei niedergeknüppelt. Und trotzdem riefen sie: "Wir schweigen nicht! Wir haben keine Angst! Wir gehorchen nicht!"
Erdogan legitimiert diese Gewalt gegen Frauen: Schon aus „natürlichen Gegebenheiten“ – welche immer das auch sein mögen – könnten Frauen niemals gleichberechtigt sein. So wie für ihn auch ein Muslim niemals Demokrat sein kann.
Zu lange mit den Islamisten auf Kuschelkurs gewesen
Schon Anfang der 1990er hatte Erdogan als Bürgermeister von Istanbul sein wahres Gesicht gezeigt. In einer seiner berühmtesten Reden tönte er damals klar und unmissverständlich: "Du kannst nicht Muslim sein und säkular! Beides geht nicht!" Das ist das Islamverständnis der AKP und der dahinter stehenden Millî Görüş-Bewegung. Es ist die aktuelle Staatsideologie der Türkei.
Umso unverständlicher, dass diese Radikalen seit Jahrzehnten unbehelligt in Deutschland agieren konnten, um dann die Islamisierung der Türkei zu starten – ganz wie einst Khomeini von Paris aus die islamische Revolution im Iran eingeleitet hatte. Erdogan ist ein Zögling der Millî Görüş – und heute einer der mächtigsten Muslimbrüder weltweit mit einem faschistischen Regierungsapparat im Rücken. Schuld daran sind auch die Europäer. Viel zu lange sind sie mit den Islamisten auf Kuschelkurs gewesen.
Bis heute verbreiten AKP-Anhänger in Deutschland ihre Propaganda, mit freundlicher Unterstützung einiger sogenannter Linker, die lieber emanzipatorische Kritik als „Rassismus“ abstempeln, als sich einzugestehen, dass sie im Umgang mit dem radikalen Islam einen Jahrhundertfehler begangen haben.
Diesem nationalislamischen Macho-Despoten rollt unser Staat nun den Roten Teppich aus! Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller unterdrückten Frauen in der Türkei, sondern auch aller Deutschen, die Gleichberechtigung und Demokratie als unveräußerliche Grundwerte ansehen und leben.
Deutschland verrät die Unterdrückten
in der Türkei!
Doch die Fehlentwicklungen in der Türkei wurden und werden weiterhin politisch gedeckt, weil die deutsche Wirtschaft in der Türkei Bahnstrecken bauen und Waffen verkaufen möchte.
Deutschland verrät sich – und die unterdrückten Frauen und Männer in der Türkei. Deutschland lässt sich von Erdogan als „Nazi“ beschimpfen und seine DITIB-Kolonne missliebige Landsleute mitten unter uns bespitzeln. All das lässt unsere Bundesregierung unkommentiert geschehen – rollt ihm zum Dank einen blutroten Teppich aus. Das ist eine wahre Katastrophe.
Wir hier längst angekommenen türkeistämmigen Deutschen fühlen uns zunehmend heimatlos: von Erdogan entrechtet, von Deutschland verraten!
ALI ERTAN TOPRAK
Der Autor ist in der Türkei geboren und im Alter von zwei Jahren mit seinen kurdisch-alevitischen Eltern nach Deutschland gekommen. Der Unternehmens- und Politikberater ist Präsident der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände Deutschland“ (BAGIV) und Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland (KGD). Bis 2012 war er Mitglied bei den Grünen, trat jedoch aus Protest gegen deren Islampolitik – vor allem wegen der Haltung zu den orthodoxen Islamverbänden – aus und in die CDU ein. Er vertritt die Migranten im „Deutschen Institut für Menschenrechte“ und ist seit 2016 ZDF-Fernsehrat.